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Lateinamerikas Bürgerrechtler: Wiener Gipfel soll sich mit schweren Menschenrechtsverletzungen befassen

"Wir brauchen Druck und Solidarität aus Europa"

--Von Klaus Hart, Sao Paulo--

Alltägliche Folter, Terror gegen Landlose und Slumbewohner sowie Rassismus und Sklavenarbeit sollten nach Auffassung lateinamerikanischer Bürgerrechtler auf dem bevorstehenden Wiener Gipfeltreffen einen Schwerpunkt bilden. Wie der österreichische Priester Günther Zgubic in der brasilianischen Wirtschaftsmetropole Sao Paulo erklärte, erwarteten die lateinamerikanischen Menschenrechtsaktivisten, daß Europa auf dem Gipfel entsprechende Forderungen stelle. Laut Zgubic, der in Brasilien die nationale Gefangenenseelsorge der Bischofskonferenz leitet, kommt es gerade in Lateinamerikas größter Demokratie und wirtschaftlicher Führungsmacht nach wie vor wegen unmenschlicher Haftbedingungen zu Aufständen.

Gerade im Polizeiapparat sei Folter nach wie vor alltäglich, Verhöre folgten dem Inquisitionsmodell. "In Lateinamerika wird viel mehr gefoltert als in jungen Demokratien", betonte der Priester. "Gefoltert wird, wenn die Polizei die Leute auf der Straße aufgreift, danach beim Verhör und dann in den Polizeigefängnissen." Erschreckend sei zudem das Ausmaß der Gewalt in den Städten als Folge absurdester Sozialkontraste. "In unseren Städten kommen genau so viel oder mehr Menschen um als in den Konflikten zwischen Israel und Palästina. In einem Jahr sind allein in Sao Paulo mehr Menschen getötet worden als im gesamten Ex-Jugoslawien-Krieg." Zgubic, der mit der UNO und zahlreichen internationalen Menschenrechtsorganisationen zusammenarbeitet, hatte sich im Vorfeld des Wiener Gipfels auch mit dem österreichischen Bundeskanzler und derzeitigen EU-Ratspräsidenten Wolfgang Schüssel getroffen und ihm ein Dokument zur Lage der Bürgerrechte in Lateinamerika überreicht. "Das Präsidententreffen ist eine Chance, um auf eine Besserung der Situation hinzuwirken", meinte Zgubic. "Wir brauchen den Druck von Europa auf jeden Fall, aber auch Solidaritätsaktionen." Zwar sei Brasilien als dreizehnte Wirtschaftsnation ein sehr reiches Land, dennoch habe der Staat kaum Mittel für Gesundheit, Bildung und Wohnen, für ein besseres Rechtssystem. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung kämpfe ums Überleben. Mehr als die Hälfte der Brasilianer hätten keine rechtlich abgesicherte Arbeit. Die tatsächliche Erwerbslosigkeit sei weit höher als die offizielle Rate. Auf dem Wiener Gipfel, so Zgubic, sollte daher auch auf ökologische und arbeitsrechtliche Mindeststandards in Lateinamerika gedrungen werden. Ebenso wie der österreichische Seelsorger kritisierte auch der Landlosenführer Joao Paulo Rodrigues in Sao Paulo, daß die Regierung von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva eine selbst in der Verfassung geforderte gerechte Bodenverteilung von der Prioritätsliste gestrichen habe. Stark begünstigt werde dagegen das exportorientierte Agrarbusiness, das wegen des ungezügelten Soja-und Zuckerrohranbaus sowie der Umwandlung von Tropenwäldern in Weideland riesige Umweltschäden verursache. "Die hochtechnologisierten Großfarmen schaffen kaum Arbeitsplätze - im Gegensatz zu den vernachlässigten Klein-und Mittelbetrieben", argumentierte Rodrigues von der Landlosenbewegung MST, die auf dem Alternativgipfel in Wien vertreten ist. Er warf der Lula-Regierung zudem vor, zugelassen zu haben, daß in ihrer Amtszeit bei Landkonflikten über einhundert Menschen ermordet worden seien - und in allen Fällen Straffreiheit herrsche. Ein bereits vor zehn Jahren von Militärpolizisten an Landlosenfamilien verübtes Massaker bleibe auch unter der Lula-Regierung ungesühnt. Wichtigste Partner der Politik Brasilias seien leider der internationale Währungsfonds und die Welthandelsorganisation. "Lula wird bei der Wiederwahl im Oktober Schwierigkeiten haben, da er seine Versprechen nicht einmal zur Hälfte erfüllt hat", meinte der MST-Führer. Fernando Gabeira, Kongreßabgeordneter der brasilianischen Grünen, erklärte zur Menschenrechtslage in den brasilianische Städten, daß es in Rio de Janeiro geheime Friedhöfe gebe und in den Felsen Menschen lebendig verbrannt würden.

Klaus | 09.05.06 14:17 | Permalink