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Auf der Suche nach einer neuen Sprache in Polen

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Titelseite der neusten Ausgabe der polnischen Le Monde Diplomatique

Przemysław Wielgosz, Chefredakteur der polnischen Edition der Le Monde Diplomatique im Gespräch mit Kamil Majchrzak

Kamil: Seit Anfang März 2006 bringst Du zusammen mit Stefan Zgliczyński und Zbigniew M. Kowalewski eine polnische Edition der Le Monde Diplomatique heraus. Wie kam es dazu?

PRZEMYSŁAW WIELGOSZ: An die Herausgabe einer polnischen Version der Le Monde Diplomatique dachten wir seit mehreren Jahren. Eine linke Zeitschrift auf den polnischen Markt zu bringen, in der herausragende SpezialistInnen der Soziologie, Wirtschaft und Politikwissenschaften publizieren war nicht nur Gegenstand unsere Träume, sondern eine politische Notwendigkeit.

Nach 1989 wurde der politische Diskurs in Polen durch konservativen Neoliberalismus regiert. Ein Fundamentalismus des Marktes, wurde durch Apologeten des Internationalen Währungsfonds wie Premierminister Leszek Balcerowicz aufgezwungen. Dieser hat nicht nur einen Grossteil der Gesellschaft in die Armut getrieben, sondern auch eine ideologische Wüste hinterlassen. Unter der Leitung der Neoliberalen entwickelte sich auf dieser sozialen Wüste eine neue Sorte einzig wahren Denkens. Die Vulgata des Monetarismus predigte Privatisierung, Deregulierung der Arbeitsverhältnisse, Sozialkahlschlag und Lohnsenkung. Sie bildet eine Einheit zwischen einer autoritär-klerikalen Weltanschauung und der Verschärfung des Strafgesetzbuches, der Verachtung von Minderheiten und dem Servilismus für den us-amerikanischem Imperialismus. Diese ideologische Hegemonie begründete eine neue Religion der Rechten und der post-kommunistischen Linken.

Insbesondere hat sie den Mainstream der Medien erfasst und trug damit zur Konservierung der Überzeugungen über die Alternativlosigkeit zum Fundamentalismus des Marktes. Diesem destruktiven Einfluss entkam nicht einmal die radikale Linke und anarchistische Kreise. Auch sie benutzen eine von neoliberalen Begriffen durchsiebte Sprache. In den spärlichen linken Medien (Die Tageszeitung „Trybuna“ und die Wochenzeitschrift „Przegląd“) beschreibt man die Welt oft nach Rechten Folien. Zeitschriften die diesen Vorgaben nicht folgen bleiben marginal. In der politischen Debatte Polens bedeuten ArbeitnehmerInnen-Rechte Vergünstigungen. Deren Einforderung gilt als ungerechtfertigte Bereicherung, die Auszahlung von Renten als Attentat auf den Staatshaushalt, Abtreibung als Mord von ungeborenem Leben, Homosexualismus wird zur Pädophilie. GewerkschafterInnen-Proteste sind eine Störung des Verkehrs und der Angriff auf den Irak eine Stabilisierungsmission. Der Partisanenkrieg in dem Land ist Terrorismus usw.

In einer solchen Situation gewinnt die Herausarbeitung einer anderen, kritischen Sprache die in der Lage ist die vernebelte Wirklichkeit ans Tageslicht zu bringen eine Schlüsselfunktion für jede emanzipatorische Bewegung. Es ist unsere Welt und wir müssen diese ideologische Hegemonie durchbrechen. Ich denke dass die Le Monde Diplomatique dazu etwas beitragen kann. Dank dem Renomé und inhaltlichen Vorzügen ist diese Zeitschrift in der Lage einen linken Diskurs aus akademischen und intellektuellen Nischen - in denen er heute vor sich hin vegetiert - herauszuführen. Das ist eine große Chance um die der gesellschaftlichen, mentalen und logistischen Einschränkungen - die bislang erfolgreich die Ausbildung eines kritischen Bewusstseins blockierten – zu überwinden und eine authentische öffentliche Debatte in Polen voranzubringen.

Wie finanziert ihr die Zeitschrift?

Die polnische Edition verfügt über keine Kapitalbeteiligung der französischen Seite. In diesem Sinne sind wir ein nicht-kommerzieller Titel. Wir sind auf uns selbst angewiesen. Die Zeitschrift wird durch Eigenmittel der Stiftung Instytut Wydawniczy „Książka i Prasa” finanziert. Da wir über keine großen Haushaltsmittel verfügen können wir uns auch keine Werbung erlauben. Die RedakteuerInnen arbeiten für lächerlich niedrige Entschädigungen.

Ist es möglich die LMD aufzukaufen oder durch andere Medien zu übernehmen?

Die genannte Stiftung ist der polnische Herausgeber. Es ist ein kleiner Verlag, der mit keinem Medien-Konzern verbunden ist. Das bedeutet einerseits eine wirtschaftliche Schwäche aber gleichzeitig auch einen Vorteil. Wir sind einfach unabhängig, sowohl im politischen wie im wirtschaftlichen Sinn. Darüber hinaus haben wir mit dem französischen Mutterverlag einen solchen Vertrag geschlossen, der die Übernahme durch ein drittes Subjekt nicht vorsieht. Ich glaube auch nicht, dass uns eine „feindliche Übernahme“ droht. Es gibt einfach in ganz Polen keinen Mainstream-Verlag der ein so kritisches Blatt, auf so einem hohen Niveau wie die polnische Edition der LMD herausgeben will.

Wie wollt Ihr dieses hohe Niveau auch bei eigenen polnischen Texten gewährleisten? Wie wollt Ihr Recherchereisen, Interviews etc. finanzieren?

Wir können uns Extravaganzen wie Reisen der RedakteurInnen nicht leisten. Aber solche Ausgaben kann sich ohnehin nur die Mainstream-Presse leisten. Unsere kleinen Mittel wollen wir lieber für gute Übersetzungen und die Redaktionsarbeit aufheben.

Mindestens drei Redaktionsmitglieder sind auch direkt an der Herausgabe linksradikaler Zeitschriften wie „Lewą Nogą“ und „Rewolucja“ beteiligt. Wie kommt das?

Das ist das Ergebnis der neoliberalen Hegemonie über die ich anfangs sprach. In Polen sind die Zentrumslinken einfach Neoliberale mit kommunistischen bzw. post-kommunistischen Wurzeln. Sie denken lediglich in Kategorien eines politischen Spektakels, der Anbiederung an ein mythisches Elektorat und an Wahlkampagnen. Deshalb unternehmen sie alles um keine kontroversen Themen aufgreifen zu müssen (Frauenrechte, Arbeitnehmerinnenrechte oder die Infragestellung des herrschenden Fundamentalismus des Marktes). Sie haben panische Angst vor einer Analyse der herrschenden Verhältnisse mit Tiefgang. Angesichts der Tatsache dass polnische Liberale zum Populismus der rechten Eliten abdriften und Sozialdemokraten sich in ihrer Politik fast ausschließlich von den Reaktionen der Finanzmärkte leiten lassen, ist es nur natürlich (und gleichwohl tatsächlich etwas paradox), dass die einzigen die ein Interesse an einem verlegerisch- intellektuellem Projekt wie die polnische LMD haben, Personen sind, die radikale Ansichten vertreten.

Wie verortet ihr euch demnach politisch? Versteht ihr euch als linksliberale wie die deutsche taz bzw. schweizer WOZ, die eine deutschsprachige Ausgabe der LMD herausbringen?

Ich glaube nicht dass man die LMD als linksliberales Blatt bezeichnen kann. Das wäre eine sehr ungerechte Qualifizierung. Unabhängig davon wie die politische Verortung der taz oder der WOZ ausfällt ist die Le Monde Diplomatique etwas völlig anderes. Man muss nur irgendeine Nummer durchblättern um den Unterscheid zu sehen. Heute ist die LMD eine der wichtigsten intellektuellen Zentren der Alterglobalisierungs-Bewegung. Ihre Redakteure (Alain Gresh, Ignacio Ramonet, Dominique Vidal) waren unter den Mitbegründern der Welt Sozial Foren. Man sollte auch nicht vergessen, das Attac heute in seinen Reihen mehr als 100.000 MitgliederInnen weltweit vereint. Inspiriert wurde dessen Entstehung durch ein Editorial von Ignacio Ramonet in der Dezember Ausgabe der LMD von 1997. Wenn man in einem Satz die politische Option der LMD nennen will, müsste man sagen dass es eine Orientierung auf den Widerstand gegen die neoliberale Globalisierung ist.

Selbstverständlich stimmt es auch, dass viele Forderungen der alterglobalistischen Bewegung sich in das Programm europäischer Sozialdemokratie einfügen. Dies ist jedoch nicht Beweis für den Opportunismus der Bewegung. Es geht darum, dass die seit nahezu drei Jahrzehnten andauernde Expansion des Neoliberalismus so grundlegend das Kräfteverhältnis zu ungunsten der ArbeitnehmerInnen im Süden verändert hat, so tief greifend die in den vergangenen zwei Jahrzehnten erkämpften sozialen Errungenschaften herabgesetzt, so ernstlich das Fundament eines demokratischen Projektes erschüttert hat, dass Parolen die früher als gemäßigt galten heute einen revolutionären Charakter annehmen.

Ihr habt bereits in der ersten Ausgabe einen Text von Robert Kurz herausgebracht. Mit welchen AutorInnen wollt ihr zusammenarbeiten? Hat der Kontakt zu Deutschland eine besondere Rolle?

In der polnischen Edition nehmen Übersetzungen aus der französischen Version 70 % des Inhaltes ein. Die restlichen 30% stehen für Artikel zur Verfügung, die durch die polnische Redaktion bestellt werden. Dort wird es polnische Texte u.a. von Zygmunt Bauman, Tadeusz Kowalik, Krzysztof Teodor Toeplitz, Adam Chmielewski geben. Wir messen dem eine große Bedeutung zu, da wir durch das Aufgreifen lokaler Themen die Befreiung unseres öffentlichen Diskurses von der Provinzialität erreichen wollen. Es geht darum die polnischen Probleme in einem globalen Kontext darzustellen. Das ist sehr wichtig, da seit dem polnischen Überfall auf den Irak und der völligen Kritiklosigkeit gegenüber der us-amerikanischen Politik eines permanenten Verteidigungs-Krieges Polen mitverantwortlich ist für die Welt. Wir müssen den engen Polen-Zentrismus des öffentlichen Lebens stürzen. Er ist Teil der liberal-konservativen Hegemonie. Wir wollen aber auch mit ausländischen AutorInnen zusammenarbeiten. Unter ihnen werden Slavoj Ziżek, Naomi Klein und Robert Kurz sein.

Wir haben vor eng mit linken Kreisen in Deutschland zusammenarbeiten. Und sind offen auf verschiedene Optionen. Mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung wollen wir z.B. ein Projekt mit polnisch-europäisch-jüdischen Thematik durchführen. Wir denken auch über eine Weiterentwicklung der Kontakte mit der Monatszeitschrift Analyse & Kritik. Auch die deutsche Seite könnte an einem Austausch mit uns profitieren. Wir müssen erst sehen wie sich das entwickelt. Es ist sehr wichtig das Linke aus beiden Ländern anfangen gemeinsam zu diskutieren und zu agieren. Unabhängig von den unterschiedlichen gesellschaftlichen Formationen beider Länder stehen wir vor den gleichen Herausforderungen. Um ein Beispiel zu nennen: die Weiterentwicklung des europäischen Projektes.

Die Fragen stellte Kamil Majchrzak

Anmerkung: gleichzeitig erschienen im "Neuen Deutschland" vom 18.05.06, S. 9.

Michal Stachura | 18.05.06 08:32 | Permalink