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Folter ohne Ende

Ein Ulmer Bürger wird nach Afghanistan verschleppt, ein Taliban-Funktionär wird nach Guantánamo geflogen und der deutsche Grossfeuilletonist entdeckt seine Leidenschaft für den Orient.
Schöne neue Welt

von Andreas Fanizadeh

Nach dem 11.9.2001, aber auch mit den Anschlägen auf die Züge in Madrid und London, hat sich die Akzeptanz «harter» Polizeimethoden in der westlichen Welt erhöht. Umgekehrt ist aber auch die Zahl derjenigen gestiegen, die einen Zusammenhang zwischen dem Bruch rechtsstaatlicher und völkerrechtlicher Normen durch «den» Westen und dem islamistisch motvierten Terror sehen. Während sich Islamisten keinen Deut um die Einhaltung universell geltender Menschenrechte kümmern, glauben viele Menschenrechtler, dass der Kampf gegen sie auch genau auf diesem Terrain gewonnen wird. Anderenfalls, so die Befürchtung, könnte der jetzige Ausnahmezustand bald zum Normalzustand werden und die Welt sich umfassend in ein xenophob-darwinistisches Schlachtfeld verwandeln.

Der Fall el-Masri
Die Logik von Folter und juristischer Willkür hat viele Gesichter. Da gibt es zum Beispiel den Fall des deutschen Staatsbürgers Khaled el-Masri. Der in Ulm lebende Mann befindet sich Sylvester 2003 auf einer Reise in den Süden. An der mazedonisch-serbischen Grenze wird er verhaftet und einige Tage später übergeben ihn mazedonische an US-amerikanische Beamte. El- Masri bekommt das volle Programm: Todesdrohungen, Flugreisen mit verbundenen Augen, Vegetieren in irgendwelchen Drecklöchern in Afghanistan. Er spricht fliessend Deutsch, versteht aber schlecht Englisch. Die US-Agenten treten ihm vermummt gegenüber. In den Verhören interessieren sich vor allem für die Ulmer Islamistenszene. Es kommt nichts dabei heraus. Fünf Monate später wird er über Albanien zurück nach Deutschland transportiert. Als er im Juni bei seiner bis dahin völlig ahnungslosen Familie in Ulm wieder auftaucht, wiegt er dreissig Kilo weniger.
Seine Verschleppung sei «ein Irrtum» gewesen, so heisst es. Offiziell gibt es keinen Fall el-Masri. Inoffiziell räumten US-Vertreter gegenüber den deutschen Amtskollegen jedoch frühzeitig Probleme ein. Es gäbe da eine Namensverwechslung mit einer Person, die im Zuge der Anschläge vom
11.9.2001 gesucht würde. El-Masris Ulmer Anwalt Manfred Gnjidic glaubt kein Wort von der angeblichen Namensverwechslung. Soweit Gnjidic feststellen konnte, ergibt sich zwischen den CIA-Verhören seines Mandanten in Afghanistan und den Anschlägen vom 11.9. in den USA keinerlei Verbindung. Die Gründe des Kidnappings müssten woanders liegen. Nur wo?
Gegen el-Masri liegt in Deutschland nichts vor. Dies sagen die deutschen Ermittlungsbehörden, die wegen der Entführung ein Verfahren eingeleitet haben. Sie scheuten auch keine Mühe wesentliche seiner Aussagen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Inzwischen liegt im Fall el-Masris eine Klage in den USA gegen den früheren CIA-Chef Tenent vor. Das europäische Parlament beschäftigt sich ebenso mit dem Fall wie demnächst ein Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestags.

Das System Guantánamo
Laut dem Schweizer Ständerat Dick Marty, der für die EU den Antiterrorkampf des CIA in Europa untersucht, deutet vieles darauf, dass die Verschleppung el-Masris kein Einzelfall ist. Von etwa 100 Personen ist die Rede, die von westlichen Diensten aus Europa in so genannte Folterstaaten wie Ägypten oder Syrien überführt wurden.
Interessanter Weise kennt das US-System des Antiterrorkampfes aber auch den Weg in die entgegengesetzte Richtung. Seit Jahren werden so genannte feindliche Kämpfer in Militärgefängnisse der USA wie Guantánamo auf Kuba verbracht. Die Gefangenen in Guantánamo bleiben dort zum Teil jahrelang anonym, wurden aber von Anfang in Käfig und orangenen Overall öffentlich zur Schau gestellt. Anfang März wurden die US-amerikanischen Justizbehörden durch eine erfolgreiche Klage der Presseagentur AP gezwungen, bislang geheime Verhördokumente aus Guantánamo freizugeben. Per richterlicher Verfügung sind seitdem 5000 Seiten Verhörprotokolle von 317 namentlich bekannten Gefangenen auf einer Webseite einsehbar. Natürlich weiss man nicht, was weiter geheimhalten wird und was nicht. Laut Pentagon sollen insgesamt 490 Menschen in Guantánamo inhaftiert sein. Aber der Teil der ungeordnet auf der Homepage des Pentagon veröffentlichten Protokolle, macht nicht den Eindruck, als ginge es im Militärgefängnis Guantánamo um die Gewinnung besonders relevanter Daten. (http://www.defenselink.mil/
pubs/foi/detainees/csrt/index.html)
Eher erwecken die Mitschriften den Eindruck, als verliefen die Verhöre unaufgeregt und routiniert. Die eine Seite weiss, dass sie nichts erfahren wird, die andere will oder hat ganz einfach nichts preiszugeben. Ein Mann möchte sich an der Waffe nur für die Hasenjagd in Saudi-Arabien ausgebildet haben, andere bezeichnen sich als religiöse aber unpolitische Gemüsebauern usw.
Es ist nicht leicht, über die moralische Empörung hinaus eine Antwort zu finden, was da vor sich geht und welchen Sinn es machen soll. Jedenfalls spielt der individuelle Nachweis von Schuld und Unschuld in Guantánamo eine untergeordnete Rolle. Anscheinend soll die Käfighaltung vor allem der symbolischen Abschreckung und Demoralisierung eines weltweit operierenden islamistischen Millieus dienen. Um «schmutzige Folter», wie sie die Bilder aus dem irakischen Abu-Ghraib-Gefängnis dokumentieren, scheint es in Guantánamo weniger zu gehen. Die Gefangenen unterliegen hier vor allem der so genannten «weissen Folter», allen möglichen Praktiken, die keine unmittelbar sichtbaren körperlichen Spuren hinterlassen.

Grossfeuilleton und Islamisten
Sollten sich unter den Insassen von Guantánamo auch Verbrecher befinden, ihre begangene Ungerechtigkeiten blieben durch die Entindividualisierung und die Rechtlosigkeit der Methoden ungesühnt. Tatsächlich begangene Menschenrechtsverbrechen der Talibans oder anderer islamistischer Gruppen in Afghanistan werden hier nicht aufgeklärt und scheinen für die Idee des Lagers keine grosse Rolle zu spielen.
Das hat Konsequenzen: Potentielle Täter von gestern können sich so sehr schnell als Opfer von heute betrachten und entsprechend darstellen. Immer häufiger richtet sich auch aus diesen Millieus die menschenrechtliche Kritik gegen die USA und ihre Verbündeten selbst. Die grausamen Verbrechen der Taliban oder anderer Gruppen beginnen hingegen im Bewusstsein vieler zu verblassen. Dies wird auch bei der Lektüre des gerade erschienenen Buches von Roger Willemsen «Hier spricht Guantánamo» deutlich. Willemsen, Schwergewicht des deutschen Feuilletons, lässt in dem Interviewband fünf ehemalige Häftlinge aus Guantánamo zu Wort kommen. Ein Teil der Fragen zielt auf die Haftbedingungen in Guantánamo, ein anderer auf die biografische Vorgeschichte, die politische Laufbahn der früheren Häftlinge. Auch die politischen Selbstdarstellungen bleiben gänzlich unüberprüft. Keine Gegenrecherche. Nichts.
Wer so wie Willemsen an die Dinge herangeht, bekommt die Antworten, die er braucht. «Die fünf Häftlinge vereinigte in ihrem Auftreten und ihrer Erscheinung eine eigene Festigkeit und Haltung, hinter der man den Grund vermuten möchte für jene Unzerstörbarkeit, die sie in Guantánamo bewiesen.» Bereits im Vorwort ersetzen gestelzte Formulierungen die Analyse. Im Verlauf der Gespräche erstaunt die Emphase des Interviewers für Männer, die sich immerhin als Anhänger und Mitläufer von Unrechtsregimen zu erkennen geben. In der Kritik an Guantánamo und den USA steht Willemsen blind vor den islamistischen Ideologien und Regimen. Der rasende Reporter erhebt in seinen Interview-Buch selbst Taliban- Funktionäre wie Abdulsalam Daeef in den Rang einer verfolgten Unschuld.
Der frühere Taliban-Botschafter in Pakistan wird – vom Autor gnädig sekundiert - zur Anklage gegen die USA geführt.
«Sie müssen geahnt haben, dass es in dieser Situation keinerlei Rechtssicherheit für Sie gab.» So naiv stützt der Interviewer die Aussagen seiner Gesprächspartner, wenn sie den Zusammenbruch des alten Regimes und ihre Verhaftung schildern. Wie kann ein europäischer Grossfeuilletonist ignorieren, dass es so etwas wie die behauptete «Rechtssicherheit» unter einem Talibanregime nie gab? «Orientschwärmerei» ist noch ein sehr freundliches Wort (aus der Rezension einer schweizer Sonntagszeitung), um das ahnungslose und selbstgerechte Schwadronieren zu bezeichnen.
Die grundlegende Fehlanahme von Willemsen liegt darin, zu glauben, wer aus Guantánamo entlassen würde, sei ein «unschuldiger» Mensch, ein reines Opfer. Genausowenig macht der Umkehrschluss Sinn («wer in Guantánamo weiter sitzt, ist ein Schuldiger», Täter). Täter- und Opferbiografien können sich mischen. Den US-Amerikanern geht es mit Guantánamo aber wie gesagt nicht um individuelle Aufklärung sondern um kollektive Abschreckung. Die Ablehung von Guantánamo, Gefängnissen wie Abu Ghreib oder Bagram begründet sich von daher aus den dortigen Zuständen und nicht aus der Verniedlichung oder Romantisierung der möglichen Absichten und Ziele ihrer Insassen, ihrer möglicherweise begangenen oder nicht begangenen Taten.
Hätte die CIA Khaled el-Masri verschwinden lassen dürfen, wenn er tatsächlich etwas über den 11.9. gewusst hätte? Sicher nicht. Man hätte ihm nach rechtsstaatlichen Kriterien in Deutschland ein Verfahren zugestehen müssen, in dem er sich im Schutze von Öffentlichkeit und praktizierter Gewaltenteilung hätte verteidigen können. Ebenso hat auch ein Fanatiker und notorischer Menschenrechtsbrecher wie Abdulsalam Daeef einen ordentlichen Prozess zu erwarten, statt jahrelang ohne Anklage in einem Käfig in Guantánamo zu schmoren. Die Proklamierung der Menschenrechte hat nur einen Sinn, wenn sie für alle - und gerade für Schutzbedürftige in Ausnahmesituationen wie gefangengenommene «feindliche Kämpfer» - gilt. Deswegen braucht man sich allerdings noch lange nicht, zu deren politisch-propagandistischen Fürsprecher zu machen. Etwas mehr rationalisierende Nüchternheit statt emotionalisierende Betroffenheit würde so mancher Debatte gut tun.

Roger Willemsen: «Hier spricht Guantánamo», Zweitausendeins Frankfurt, März 2006, ISBN 3-86150-757-9. Empfehlenswert aus dem gleichen Verlag:
Alfred McCoy, «Foltern und Foltern lassen. 50 Jahre Folterforschung und –praxis von CIA und US-Militär», Juli 2005, ISBN: 3-86150-729-3

natter | 15.04.06 18:16 | Permalink

Kommentare

Die US Regierung verhält sich so absolutistisch wie die europäische Könige vor der Revolution.

Verfasst von: chartaland | 13.06.06 09:10

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