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Beten für den moralischen Aufstand

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Höre hier einen mp3-Auschnitt von 1939/Przed Burza [1939 /Vor dem Sturm]
und den Titelsong "Powstanie Warszawskie" [Warschauer Aufstand] in voller Länge.

Kamil Majchrzak sprach für den telegraph mit Mariusz Denst (Denat) und Kuba Pokorski (Krojc) von der polnischen Band „Lao Che“ über Nationalismus, "polnische" Werte und Geschichtsprojektionen. Kürzlichst brachte Lao Che eine Platte "Powstanie" [Aufstand] über den Warschauer Aufstand von 1944 heraus.

Kamil: Eure neuste Platte "Powstanie" [Der Aufstand - Anm. K.M.] überrascht mit einer starken Überdosis Romantismus und nationaler Martyrologie. Sollte man angesichts des militärischen Überfalls von Polen auf den Irak nicht etwas kritischer mit der Betrachtung polnischer Geschichte umgehen?

DENAT: Mit der Geschichte kann man kritisch umgehen, aber wir wollten ein wertvolles Individuum im geschichtlichen Kontext zeigen. Wir zeigten einen Menschen, der um seine Ideale kämpft und der daran glaubt was er tut. Geschichte ist vor allem eine Politik der Manipulation. Wir bemühten uns davor soweit es geht abzugenzen. Uns interessierte was aus einem solchen Menschenethos übrig bleibt, wenn die Grundlagen und Umstände sich einengen und verhärten. Die Führung Inversuchung. Der Angriff von Polen auf den Irak ist etwas Böses. Irakische Aufständische haben sehr viel mit den Aufständischen des Warschauer Aufstandes [gegen die Deutschen von 1944 – Anm. K.M.] gemeinsam. Die Sympathie sollte auf deren Seite liegen.

Warum beruft bzw. bezieht ihr Euch dann überhaupt in positiver Weise auf die Konstruktion "Nation"?

Es ist vielmehr das zweite. So ist halt das Thema und dieses zwingt uns zu einer solchen Auseinandersetzung. Wir dachten darüber nach in welcher Richtung wir gehen sollen. Sollen wir das aus der politischen Perspektive zeigen oder sollen wir uns vielmehr auf die historische konzentrieren, oder aber die rein menschliche Seite zeigen? Letztendlich gibt es auf der Platte keine Politik, es gibt auch nicht allzuviel Geschichte im engen Sinne dieses Wortes, es gibt dafür sehr viel Mensch. Als Spiety, unser Vokalist die Erinnerungen von jungen Menschen, die zum Aufstand gingen las, bemerkte er, dass für diese Leute Angelegenheiten der Politik nicht besonders interessant waren. Das wichtigste war loszugehen, weil man sich für ein bestimmtes Ethos entschied. Für das Gute. Nehmen wir zum Beispiel die Erinnerungen der Jungs von dem Batalion "Parasol" [dt. Schirm, eine Pfadpfinder Untergundbewegung während des II Weltkrieges - Anm. K.M.].

Als sie den Kampf- Befehl bekammen, sprangen sie in die Luft vor Freude, so wie wir es tun, wenn unsere neue Platte rauskommt oder wir ein gutes Konzert gegeben haben. Das ist zwar eine völlig andere Situation aber doch vergleichbare Emotionen. Es ist als, ob du die ganze Zeit wartest, was aus einer Sache wird und dann gibt es am Schluss irgendeinen Effekt. Sie saßen im Untergrund, warteten die ganze Zeit, aber waren auch bis zum Schluss nicht sicher, ob der Kampf-Befehl kommt. Als er dann doch kam, war das eine riesige Freude. Dann kamen auch Entäuschungen, aber sie hatten – jednefalls nicht in den Pfadpfinderbatalionen – keine Zweifel.

Bis zum Schluss glaubten sie an das was sie taten. Das sieht man auch in ihren Erinnerungen. Das ist für uns hier, heute das wichtigste. Diese Werte, wenn der Mensch an etwas Gutes glaubt, versucht er es zu tun, und dann wird später daraus unterschiedlicher Betrug, unterschiedlicher Dreck. Trotzalledem bleiben sie bei ihrer Sache treu, auch um den Preis ihres Lebens. Und das ist schon etwas wert. Das ist eine Sache die man in dieser Welt voller Menschen, die sich so Verhalten wie Fahnen am Wind, sehr schwer wiederzufinden.

Gibt es denn so etwas wie die "polnischen" Werte?

Das was wir gezeigt haben gehört eben zu dieser Art der Wertschätzung. Heldenhaftigkeit, Unbeugsamkeit, Mut, Vorstellungsvermögen angesichts der Katastrophe. Liebe.

Ihr habt dabei eine der wichtigsten Geschichts-Perioden ausgewählt die massgeblich sind für die Selbstverortung und das Selbstverständnis der Polen. Wer sind denn die Polen, was charakterisiert sie denn?

Die Polen sind Aufständische. Für diese Platte sagten wir uns, wir müssen sehr viel Punk reingeben, viele Untergrund Ausdrucksmittel finden. Damit der heutige Untergrund den damaligen Untergrund wiederentdeckt. Es waren andere Umstände, andere, teilweise unvergleichbare Situationen, andere Kontexte, aber es waren doch genauso junge Menschen wie wir, die uns sehr ähnlich sind. Ich denke, dass wir durch eine solche Zusammenstellung dieser Platte nichts eingebüßt haben. Wir haben vielmehr etwas dazugewonnen, weil die Menschen sich mit ihr identifizieren können. Stell dir vor, dass das ja auch die Zeiten der Auflehnung waren. Einer völlig anderen und schwierigeren, dramatischeren, aber dennoch einer Auflehnung.

Zur Zeit ist die Gesellschaft in Polen stark polarisiert. Die Mythologie der Zwischenkriegszeit und des Warschauer Aufstandes von 1944 bietet für viele eine Projektionsfläche für Träume nach grossartigen Werten, Heroismus und der Liebe zum Vaterland. Dies werden der heutigen Zeit, die nicht mehr schwarz oder weiss ist entgegengesetzt. ImGegensatz dazu fordern Minderheiten und Ausgegrenzte im nunmehr freien Polen ihre Rechte. Kaczynski, der Präsident von Warschau verbietet jedoch sogar eine Gleichberechtigungsdemo von Schwulen. Warum widmet ihr euch in diesem Zusammenahng gearade dem Aufstand, anstatt euch mit den von polnischen Nachbarn ermordeten Juden von Jedwabne zu identifizieren?

Es ist wichtig für uns, um sich mit Sachen auseinaderzusetzen die uns nahe stehen. Und unsere Band liegt uns am Herzen. Wenn wir uns für politische oder soziale Belange entscheiden würden, hätten wir Schwierigkeiten um das zu vertiefen. Wennn wir über eine neue Platte sprechen, versuchen wir immer irgenwelche anderen Vorschläge durchzudiskutieren. Diesmal redeten wir über Emigration, weil das auch ein wichtiges Thema für uns ist. Oder über die Schule. Aber uns ist das doch nicht so nahe.Wir dachten sogar über die Liebe. Diese ist doch auch ein grosser Wert, aber es schiesst nicht so direkt ins Gesicht. Zur Zeit sind das nur Überlegungen, verschiedene Gespräche, wir werden sehen, vielleicht gehen wir in einer anderen Richtung. Aber mit Sicherheit werden wir über die Gegenwart sprechen.

Auf der vorherigen Platte fand ich ein Lied unter dem Titel "Jestem Slowianinem" [Ich bin ein Slave - Anm. K.M.]. Warum singt ihr über die Slaven und deren Kultur?

Weil diese uns umgiebt und wir das am besten verstehen.

Wir haben uns geeinigt eine Welt zu schaffen, die bekannt und beschrieben wurde, auf Grundlage verschieder Quellen sollte diese zusammengestellt werden. Die Töne verkleben wie Fragmente eines Zelluloid-Bands. Für das Ohr und die Vorstellung sichtbar werden lassen. Ein genau vorbereitetes und arrangiertes Bild, der zum Nachdenken anregt. Du schliesst die Augen, du hörst, du erkennst und bist. So ist unsere vorherige Platte "Gusla" ["Gusla" ein slawisches Ritual des Vorhersagen – Anm K.M.] entstanden.

Was denkt ihr über die neue Platte "Druga strona medalu" [Die zweite Seite der Medalie – Anm. K.M.] der warschauer Raper "Ziperia" die unmittelbar Bezug nimmt auf die heutige präkere soziale Lage in Polen und sie mit dem Warschauer Aufstand verbindet. Ähnlich wie eure neuste Platte wurden im Sommer letzten Jahres enige Lieder offiziel im Museum des Warschauer Aufstandes ausgestrahlt.

Ich kenne dieses Stück nicht. Vielleicht habe ich es gehört aber ich habe dem nicht, soviel Beachtung geschenkt um es zu schlucken und zu interpretieren.

Was ist denn zur Zeit die grösste Gefahr für die polnische Kultur?

Rechtsschreibfehler

Plant ihr Konzerte in Deutschland?

Das wird sich noch herausstellen. Zur Zeit haben wir eine Zusammenarbeit mit Leuten aufgenommen, die sich um die Organisation unserer Konzerte im Ausland kümmern werden. Ob da auch etwas in Deutschland dabei ist, ist noch unklar.

Was denkt ihr wie kann eure Platte "Aufstand" im Ausland aufgenommen werden? (Ich nehme sie jetzt auch mit nach Berlin)

Kann schon unterschiedlich ausfallen:
1. Ohne Echo und ohne ein besonderes Verständnis für uns, kulturelle Barierrer könnten hierbei nicht zu überweltigen sein für die Masse. Ein Individum muss sehr viel da hineininvestieren, um das zu verstehen, wie mein Nachbar. Lesen, Einfühlsamkeit, guter Wille, Wiederholung des Verstehens.
2. Als etwas exotisches, aber darum geht es uns nicht.

Ich habe eure Platte "Powstanie" im Fronda-Shop in der Tamka-Strasse in Warschau gesehen. Ist das ein Zufall?

KUBA: Ich weiss dass die Platte dort im Schaufenster ausgestellt ist. Die Leute von Fronda [fundamental-katholische Organisation/Verlag – Anm. K.M.] haben mich auch mal angerufen und wollten sie auf der Katholischen Messe aussstellen. Dafür haben sie mein Einverständnis bekommen.

Keiner von uns sympathisiert jedoch mit solchen, wie soll man das nennen... "Bewegungen". Wir haben da mit ihnen nichts gemeinsames, aber wenn die Leute etwas für sich auf unserer Platte wiederfinden, dann sollen sie es doch hören und verkaufen (lacht)

Im Alltag sind wir stark liberal, in keiner Weise sollte man uns mit Rechten Gruppen oder deren Jugendorganisationen in Verbiundung bringen.

Davor rennen wir weg soweit es geht, weil einem der Schauer über den Rücken läuft, wenn man die Młodzież Wszechpolska [Allpolnische Jugend – antisemitische und faschistoide Partei, die an die gleichnamige Vorkriegsorganisation von Roman Dmowski anknüpft – Anm. K.M.] sieht.

Kamil: Danke für das Interview
Kuba: Gruß

Am 25.04 (Dienstag ) um 22.00 Uhr spielt Lao Che im Maschinenhaus der Kulturbrauerei (Schönhauser Allee 36-39 10435 Berlin Prenzlauer Berg) im Rahmen der zweiten Auflage von TERrA POLSKA.


Anmerkungen:

Offiziellen Seite von Lao Che: http://www.laoche.pl

Michal Stachura | 22.04.06 19:06 | Permalink