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Brasilien: Entschädigung für Sklavenarbeiter?

"verdeckte Sklaverei" auf Zuckerrohrplantagen

--von Klaus Hart, Sao Paulo--

In einer bislang einmaligen Gerichtsentscheidung hat die brasilianische Arbeitsrichterin Rosangela Cipriano dos Santos den Staat dazu verurteilt, an vierundfünfzig ehemalige Sklavenarbeiter Entschädigungen von jeweils umgerechnet rund 22000 Euro zu zahlen. Die Landarbeiter waren 2003 auf einer Farm im Amazonas-Teilstaate Rondonia von einer Sondereinheit der Bundespolizei und des Arbeitsministeriums befreit worden. Wie die brasilianische Presse berichtete, will die Regierung das Urteil anfechten, weil sie eine Flut gleichgearteter Entschädigungsforderungen befürchtet. Zur Vorgeschichte gehört, daß die Regierung 2003 an den früheren Sklavenarbeiter Josè Ferreira eine Entschädigung von ebenfalls heute umgerechnet rund 22000 Euro zahlte, nachdem sich die Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten mit dem Fall befaßt hatte. Staatschef Luis Inacio Lula da Silva hatte sich damals persönlich verpflichtet, Ferreira aus Mitteln des Präsidentenpalastes abzufinden. Zudem wurde ein nur auf diesen Landarbeiter zugeschnittenes Entschädigungsgesetz erlassen. Die Arbeitsrichterin Santos argumentiert, daß laut Verfassung ein Gesetz nicht nur eine einzige Person begünstigen dürfe und deshalb jene vierundfünfzig ehemaligen Sklavenarbeiter den gleichen Anspruch hätten.
Laut Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation arbeiten in Lateinamerikas größter Demokratie noch etwa 25000 Menschen unter sklavereiähnlichen Bedingungen, der größte Teil auf riesigen Farmen des Nordostens und Nordens. Auf Druck der katholischen Bodenpastoral CPT wurde unter der Lula-Regierung die Kontrolle dieser Farmen verstärkt. Gewöhnlich erstattet die Bodenpastoral Anzeige gegen mutmaßliche Sklavenfarmen, worauf die Sondereinheit in vielen Fällen aktiv wird. Gemäß offiziellen Angaben wurden seit Lulas Amtsantritt rund 12000 Sklavenarbeiter befreit. Brasilianische Menschenrechtsorganisationen weisen auf Fortschritte beim Kampf gegen die Sklavenhalter von heute, halten indessen ein stärkeres Engagement der gesamten brasilianischen Gesellschaft für nötig. Bis zur Austilgung der Sklavenarbeit sei noch ein langer Weg zurückzulegen.
In jüngster Zeit hatte die katholische Wanderarbeiter-Seelsorge Brasiliens internationale Menschenrechtsorganisationen und die Vereinten Nationen über "verdeckte Sklaverei" auf den Zuckerrohrplantagen des Tropenlandes unterrichtet. Betroffen seien vor allem hunderttausende Zuckerrohrschneider. Brasilien ist seit mehreren Jahren der weltgrößte Exporteur von Zucker sowie von Biosprit, der ebenfalls aus Zuckerrohr gewonnen wird.

Klaus | 16.02.06 12:55 | Permalink