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"Haiti wird nicht der Irak Brasiliens"

Rätselraten um Selbstmordmotive des brasilianischen Generals
Slums in Brasilien und Haiti mit ähnlichen Machtstrukturen
--von Klaus Hart, Sao Paulo--
Anfang Januar hat sich Brasiliens General Urano Bacellar, der die UNO-Friedenstruppen in Haiti führte, gemäß den offiziellen Ermittlungen mit seiner Dienstpistole erschossen. Der überraschende Freitod des Generals, so analysieren die brasilianischen Medien, bedeutet einen Rückschlag für die Außenpolitik der Regierung von Staatschef Lula, dem die USA als Gegenleistung für den Haiti-Einsatz einen ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat versprochen haben sollen. In Brasilien wurde der Truppeneinsatz von Anfang an selbst von vielen Politikern aus Lulas Arbeiterpartei sowie von der katholischen Kirche heftig verurteilt - in Haiti wurde den brasilianischen Militärs zunehmend vorgeworfen, die Friedenstruppe nicht effizient genug zu führen.

Sie ist seit Juli letzten Jahres im Einsatz, zählt 7265 Soldaten aus 21 Ländern. Jordanien stellt mit 1500 Mann vor Brasilien das größte Kontingent.
In Brasilien ist ein intensives Rätselraten darüber entbrannt, warum der 58-jährige General Urano Bacellar aus Rio de Janeiro ausgerechnet auf dem Höhepunkt seiner militärischen Karriere Selbstmord begangen hat. Bacellar war ein erfahrener Fallschirmspringer in Eliteeinheiten, die während des Militärregimes in den siebziger Jahren Diktaturgegner, darunter armselig bewaffnete Guerillheiros jagten, folterten, zur Strecke brachten. Dem äußerlich scheinbar hartgesottenen Offizier war bei diesen Einsätzen indessen überhaupt nicht wohl, sie stürzten ihn sogar in Depressionen. Einem Freund, Offizier wie er, teilte er damals häufig seine Zweifel an den Repressionsmethoden mit:“All das dürfte einfach nicht geschehen – ich würde mich deshalb am liebsten umbringen!“
--Grünen-Abgeordneter und Ex-Stadtguerillheiro Fernando Gabeira—
Zu den Gejagten und Gefolterten gehörte damals auch der Stadtguerillheiro Fernando Gabeira aus Rio, der mehrere Jahre im Westberliner Exil zubrachte. Heute ist Gabeira Parlamentsabgeordneter in Brasilia, letztes Jahr verließ er aus Protest gegen den Regierungskurs die Arbeiterpartei Lulas, wechselte zu den Grünen, ist Mitglied des außenpolitischen Kongreßausschusses. Mögliche Motive für den Freitod des Generals sieht er viele.
“Seine Funktion hielt ihn zweifellos unter starker innerer Spannung. Haitis konservative Geschäftsleute, aber auch die Amerikaner setzten ihn unter Druck, damit er härter gegen Slumregionen vorgeht, in denen bewaffnete Gruppen agieren. Einsätze des chilenischen Kontingents wurden ausdrücklich gelobt, weil die chilenischen Soldaten die nötige Gewalt angewendet hätten. Doch die brasilianische Taktik war ja gerade, statt einer harten Linie in den Slums auf Annäherung, Integration, vertrauensbildende Maßnahmen zu setzen – und auf diese Weise bewaffnete Gruppen zunehmend zu isolieren. Doch Druck bekam der General auch von internationalen Menschenrechtsorganisationen. Sie zeigten Gewaltakte der UNO-Friedenstruppen sowie der Polizei Haitis an und warfen dem General vor, derartige Mandatsverletzungen nicht zu verhindern. “
Laut Gabeira ist die versprochene Wirtschaftshilfe ausgeblieben, ohne die Haiti keine Fortschritte machen, die sozialen Ursachen der Gewalt nicht beseitigen könne. General Urano Bacellar wollte unnötige Opfer unter den brasilianischen Soldaten vermeiden, kritisierte immer wieder, daß diese schlecht ausgerüstet seien, daß Fahrzeuge und Hubschrauber fehlten. Mehrfach habe er erklärt:“Haiti wird nicht der Irak Brasiliens!“
--Parallelstaat der Slums in Haiti und in Brasilien—
Dem brasilianischen Justizminister hatte der Abgeordnete Gabeira vor dem Beginn der Militärmission vorgeschlagen, die für Haiti vorgesehenen Gelder besser in den Kampf gegen die Gewalt in Rio de Janeiro zu investieren. In Rio kämen mehr Menschen ums Leben als bei den politischen Unruhen in dem Karibikstaat.
Auch heute fordert die Gewalt im sogenannten unerklärten Bürgerkrieg Brasiliens weit mehr Opfer als in Haiti. Fakten, die indessen nur zu gerne unterschlagen werden.
Brasiliens Medien stellen immer wieder als widersprüchlich heraus, daß für Haiti vorgesehene Einheiten in Slums von Rio trainiert werden. In Haiti sollten brasilianische Soldaten gegen Milizen des organisierten Verbrechens in den Elendsvierteln vorgehen – in Brasilien bleibe indessen die Parallelmacht der neolfeudalen, ebenfalls mit der Politik verquickten Gangstersyndikate über die Favelas unangetastet, überlasse der Staat die Slumbewohner ganz bewußt dem Terror der hochbewaffneten Verbrechermilizen. General Bacellar wohnte in Rio de Janeiro unweit der Slums, wußte um die Parallelen zwischen der Lage in Haiti und etwa in Rio nur zu genau. Auch unter Lula sei die Banditendiktatur über die Slums, die Parallelregierung der Gangstersyndikate legitimiert, akzeptiert worden, beklagen Intellektuelle. „Wir leben in Zeiten der Barbarei“, betont der brasilianischen Gewaltexperte und Anwalt Ib Teixeira aus Rio jetzt in der Qualitätszeitung „O Globo“. „Doch unser Militär soll in Haiti tun, was hier viel nötiger wäre. Der Staat ist absolut unfähig, sich der Welle der Barbarei entgegenzustellen.“
Laut Fernando Gabeiro sollten die brasilianischen Soldaten so rasch wie möglich aus Haiti zurückgeholt werden. „Länder wie die USA, Kanada und Frankreich haben doch historisch viel engere Beziehungen zu Haiti gepflegt als wir. Der Karibikstaat driftet derzeit erneut in eine ähnliche Lage wie vor der militärischen Besetzung – große Instabilität, Radikalisierung zwischen den politischen Lagern. Nach dem Tod des Generals muß unser Haiti-Engagement zum Schwerpunkt der politischen Debatten werden.“


Klaus | 11.01.06 13:34 | Permalink