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Essen ist Politik

„We Feed The World“ von Erwin Wagenhofer ist der erfolgreichste österreichische Dokumentarfilm seit Jahrzehnten. Am 27. April kommt er in unsere Kinos.

Angelika Nguyen hat ihn sich für den OST:BLOG schon einmal angesehen:


Globale Ernährung im Film „We Feed The World“

Was haben Geflügelmassenzucht in der Steiermark, eine hungernde Familie im brasilianischen Pernambuco, autonome Fischer in der Bretagne, Brotabfälle in Wien, gentechnisch verändertes Soja in Rumänien, afrikanische Emigranten in Paris und verbrannter Mais miteinander zu tun?

Sie sind Puzzleteile der filmischen Dokumentation „We Feed The World“ des österreichischen Filmemachers Erwin Wagenhofer. Zusammengesetzt ergeben sie ein Bild der globalen Nahrungsmittelproduktion als Resultat politischer und wirtschaftlicher Machtverhältnisse. Dabei kommt der Film ohne quälende Tabellen oder verbal ermüdende Abhandlungen aus. Er ist lebendig, mit sinnlich erlebbaren Wirklichkeiten und zuweilen spannend wie ein Thriller.
In diesem Thriller aber spielen wir selbst mit.

Roter Faden des Films ist ein Interview mit dem leidenschaftlich engagierten UNO- Sonderberichterstatter für das „Menschenrecht auf Nahrung“ Jean Ziegler, der uns mit einigen Tatsachen konfrontiert. Weltweit werden so viel Nahrungsmittel produziert, dass sie für 12 Milliarden Menschen reichen würden. Jedes Kind, das alle paar Sekunden auf der Erde verhungert, sagt Ziegler, ist ein ermordetes Kind. Ziegler kann und muss sich diese Rigorosität in seinem Job leisten, und sie ist als Tonfarbe in diesem Film sehr wichtig. Denn auch Täter wie der Chef vom größten Nahrungsmittelkonzern Nestlé, Peter Brabeck, kommen zu Wort. Er bezeichnet die Forderung des Grundrechts auf Wasser als extreme Position und erntet das Lachen des Publikums. Der Pioneer-Produktionschef Karl Otrok, der als Saatguthersteller Gentechnik nach Rumänien bringt, dagegen bekennt sich zur Sinnlosigkeit seiner Arbeit: „Erst haben wir den Westen fertig gemacht und jetzt kommen wir nach Rumänien und werden hier die Landwirtschaft kaputtmachen.“ Natürliche Pflanzen, sagt er lächelnd, schmecken ihm auch besser.
Leute wie Brabeck und Otrock zeigen, dass die Absurditäten der globalen Widersprüche in Sachen Essen nicht Zufall sind, sondern System haben und gewollt sind. Dass ein senegalesische Bauer irgendwann seinen Hof verlässt, unter Lebensgefahr nach Europa gelangt, um in Paris Straßen zu kehren, so Jean Ziegler, hängt direkt von den EU-Exportsubventionen ab. Weil das EU-Gemüse auf dem Markt in Dakar ein Drittel von dem kostet, was der Bauer braucht, um leben zu können. Daraufhin zeigt der Film minutenlang einen Slum mit afrikanischen Emigranten, beobachtet ihre abendlichen Verrichtungen, Musik von einem aus Abfällen gebasteltem Instrument, Haare waschen, verlorenes Lächeln - ein Gefühl der Entwurzelung.

In Europa werden zuweilen Lebensmittel verbrannt, um Strom zu erzeugen. Wie ein Mahnbild sieht es aus, wenn der rot glühende Mais zu Beginn und am Schluss des Films vor den Augen der Zuschauer verbrennt.

Alarmierend an Wagenhofers Film ist auch der Blick in die Zukunft. Das alles ist nämlich nur der Anfang. Die guten frischen Fische der Kutterfischer werden verschwinden, dafür wird es nur noch die schlappen Fische aus dem Großfang geben. Gentechnik schleicht sich in Form von Tierfutter durch die Hintertür in die Landwirtschaft. Die teuren EU-Subventionen werden nicht abgeschafft. „We feed the world“ ist ein erschreckender, ein aufrüttelnder Film. Kein Fachfilm nur für Umweltschützer oder Ernährungsexperten, sondern für alle denkende Menschen.

Nach dem Abspann des Films sind wir auf uns selbst zurück geworfen. Wer kauft denn die verschweißten Treibhaus-Cherrytomaten? Wer blickt in die geplatzten Fischaugen im Supermarkt? Wer isst das Fleisch der Tiere, die vielleicht schon munter mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert werden? Wer schmeißt Essen weg?
Das sind wir.

A.S.H. | 31.01.06 13:57 | Permalink