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Der Schmalztopf ist ein politischer Topf!

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In Zeiten wo die Ausbeutung durch die "neoliberale Sau" ein unerträgliches Maß angenommen hat, stimmt es einen nachdenklich in eine Theatervorstellung zu geraten, die von Realität eigentlich nur der Umstand trennt, dass das Theater sich nicht zur Realität sondern der Metapher selbst bekennt. Umso überraschender war es "Die Mutter", ein politisches Stück von Berthold Brecht in einer Inszenierung von Claus Peymann zum 85. Todestag Rosa Luxemburgs am Berliner Ensemble sehen zu dürfen. Das express- ionistische Bühnenbild betonte geometrische Figuren. Die Bühne in Form eines Dreiecks erinnerte an die Gesellschaftspyramide und lieferte so eine gute inhaltliche Ergänzung zu dem Stück.

Brecht begann seien Arbeiten an der „Mutter“ im September 1931 auf Grundlage eines gleichnamigen Romans von Maxim Gorki. An Aktualität hat das Stück sicherlich nichts eingebüsst, auch wenn sich linksliberale gegen die Parallelen zwischen der Abwicklung der Weimarer Republik und ihrem fließenden Übergang zum Faschismus sowie dem durch die rot-grüne Regierung vollzogenen Sozialabbau, noch so stark wehren möchten.

Die Schließung des Electrolux-Werkes in Nürnberg wäre Anlass genug, um die SPD’ler, Grünen, CDU’ler, Gewerkschafter und Bioladen-Wohlstands-Chauvinisten zwangsweise ins Berliner Ensemble zuzuführen. An ihrem Verhalten hätten wir dann auch die Unterschiede zwischen damals und heute analysieren können.

„Der Kapitalismus ist krank und du bist der Arzt. Du bist also für die Annahme der Lohnkürzung?“

Die ArbeiterInnen des Suchlinowwerks werden um ihre Kopeke gebracht und wollen sich nicht wie die heutigen 5 Millionen Beschäftigten in Minijobs seit mehr als 10 Jahren in Lohnzurückhaltung – bei gleichzeitiger Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeiten - trainieren lassen. Der „Arbeitervertreter“ Karpow warnt jedoch vor dem Abbruch der Verhandlungen mit der Direktion. Er versteht sich als Arzt des Kapitalismus und schlägt vor den Sumpf am Osttor der Fabrik für die strittige Koepke trockenlegen zu lassen. Durch diesen „Kompromiss“ könnte die Fabrik erweitert werden und so auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Anders als heute, wo die Arbeiter ihren Gewerkschaften folgen und gerade trotz Flexibilität und Verzicht die Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhe verharrt, lassen sich die Metaller von Suchlinow nicht auf Karpows Geschäfte ein. Sie wollen nicht nur ein Stück, sondern den ganzen Kuchen. Sie gehen, zusammen mit anderen Branchen in den Streik. Da macht der Gutsmetzger auch mit und versorgt die Streikenden mit Essen: „ Als Metzger bin ich gewohnt, dass zuletzt ich lache und nicht die Sau“.

Heute spielt es keine Rolle mehr, ob der Betrieb (wie AEG) schwarze Zahlen schreibt. Bei der Zerlegung transnationaler Produktionsstätten geht es lediglich darum die Differenzgewinne von Finanztiteln auf dem globalen „Unternehmensmarkt“ zu sichern. Die ArbeiterInnen sind somit für die Kapitalisten außerhalb deren Ausbeutung eigentlich nur Last. Wer hier an Heilung denkt, versteht die Krankheit nicht. Auf den Protestkundgebungen finden sich nun auch dieselben Betriebsratsmitglieder und Gewerkschaftsfunktionäre, die seit Jahren auch im Aufsichtsrat des Konzernes sassen und die Vorstandspolitik mitgetragen haben. Der Betriebsratsvorsitzende Harald Dix und sein Stellvertreter Roland Weiß gehören nach Angeben von Markus Salzmann ebenso dem Aufsichtsrat an, wie der örtliche IG Metall-Vize Jürgen Wechsler, der als zuständiger Gewerkschaftssekretär sowohl bei den offiziellen Protesten, als auch bei den Sozialplanverhandlungen die Fäden zieht.

Wenn du keine Suppe hast
Wie willst du dich da wehren?
Da musst du den ganzen Staat
Von unten nach oben umkehren
Bis du deine Suppe hast
Dann bist du dein eigener Gast

Wenn für dich keine Arbeit zu finden ist
Da musst du dich doch wehren!
Da musst du den ganzen Staat
Von unten nach oben umkehren
Worauf für dich Arbeit vorhanden ist.

Wenn man über deine Schwäche lacht
Darfst du keine Zeit verlieren.
Da musst du dich kümmern drum.
Dass alle die schwach sind marschieren.
Dann seid ihr eine große Macht.
Worauf keiner mehr lacht.

Man könnte auch auf den Polizeistaat eingehen, der auch aus einem halbleeren Schmalztopf einen politischen macht. Man muss jedoch Menschen, die es in der heutigen freiheitlichen Demokratie riskieren ihre Meinung zu sagen und dafür im Knast enden nicht hiervon überzeugen.

Die Ausbeuter nennen ihn ein Verbrechen,
Aber sie wissen:
Er ist das Ende ihrer Verbrechen.
Er ist keine Tollheit, sondern
Das Ende der Tollheit.
Er ist nicht Chaos
Sondern die Ordnung.
Er ist das Einfache
Das scher zu machen ist.

Überzeugend war insbesondere Carmen-Maja Antoni in der Titelrolle. An ihrer Seite schaffte es Therese Affolter als Rosa Luxemburg leider nicht die Auszüge aus Rosas Schriften in angemessener Weise zu präsentieren. Dies sollte jedoch nicht davon Abschrecken sich ihre Schriften anzueignen. Gestört haben in der Vorstellung eigentlich nur die feinen Damen mit ihren voll gepackten Galerie-Lafayette Tüten. Während sie noch über ihre Schnäpchenjagt disskutierten stimmte der Chor das "Lob des Kommunismus" und "Lob der Partei" an. Wohl deshalb verpassten sie am Ende als die Mutter sich von der Polizei zusammengeschlagen dem Publikum zuwandte und schrie: "Wer noch lebt, sage nicht: niemals! Das Sichere ist nicht sicher. So, wie es ist, bleibt es nicht." Wenn bürgerliche Salon-Pop-Linke nicht zuhören, verwundert dies einen nicht. Nachdenklich sollte es aber einen stimmen, dass der Mutter am Schluss, auch die zwei Proletarier nicht mehr zuhören wollten.

Nächste Vorstellungen: 3.02 um 19:30 Uhr und 28.02 um 19:30 Uhr

Zitate nach dem Erstdruck-Text von 1933
Musik zu den Brecht-Songs: Hanns Eisler

Michal Stachura | 22.01.06 19:58 | Permalink