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Die Rückkehr des Antagonismus und der Niedergang der Links-Liberalen

von Przemysław Wielgosz aus Warschau

Der Preis einer echten demokratischen Linken besteht in der Demokratisierung an sich, der Politisierung solcher Lebenssphären, die in kapitalistischen Gesellschaften eine Schlüsselfunktion bilden und bislang brutal entpolitisiert werden. Mit anderen Worten muss die Ebene der Produktion für die Politik wiedererlangt werden. Sozialdemokratische Entwürfe eines Dritten Weges sind grandios gescheitert.

Die Wahl-Katastrophe der polnischen Sozialdemokratie (SLD), die vier Jahre lang treu dessen Dogmen vertrat bietet ein repräsentatives Beispiel dafür und wird durch die Bundestagswahl in Deutschland nochmals bestätigt. Im letztgenannten Fall spiegelt sich die Krise der Linksliberalen nicht so sehr in der Stärke der CDU/CSU, sondern in dem relativ guten Ergebnis der Linkspartei wieder, die in kürzester Zeit zu einem ernsten linken Rivalen der SPD aufstieg. Die britische Ausnahme bestätigt nur die Regel, da New Labour sich vielmehr aufgrund des Zweiparteien-Wahlsystems und der Unfähigkeit der Konservativen Partei an der Macht hält als dank eigener Erfolge. Bezieht in die Betrachtung auch den Sieg der radikalen Linken in Frankreich beim EU-Verfassungsreferendum (zusammen mit dessen Niederländischen Variante) und die Stärkung der linken Opposition in Portugal, können wir durchaus von der Ebbe des Dritten Weges sprechen.

Die dargestellten Tatsachen drängen sich zur Untersuchung des genannten Richtungswechsels auf, um die Umstände des Niedergangs des vom britischen Soziologen Anthony Giddens stammenden Erneuerungskonzeptes der Sozialdemokratie zu ergründen als auch Wege aus dessen verheerenden Folgen aufzuzeigen. Ausgangspunkt ist die sich verschlechternde sozialen Lage, steigende Arbeitslosigkeit, gesellschaftliche Defragmentierung, wachsende Zahl der „Deregulierten-Armut“ bei gleichzeitig stagnierenden bzw. fallenden Realeinkommen und Forcierung von Wirtschafts-Projekten wie der polnische Hausner-Plan, das deutsche Hartz IV-Gesetz oder europaweit die Lissabon-Strategie. Daraus ergibt sich unweigerlich der reale Kerngehalt der linksliberalen Phraseologie. Die Risikogesellschaft und die mit ihr gefeierte größere Autonomie des Individuums in der Verwaltung der eigenen Gesundheit und Bildung ist nichts anderes als die Kapitulation vor dem liberalen Wirtschaft-Fundamentalismus. Sie bildet auch die Hauptursache für die Niederlage der Konzepte der europäischen Premierminister Schröder-Blair-Miller. Im Falle Polens und Groß-Britanniens wird diese kritiklose Haltung durch ihre Unterstützung für den US-Amerikanischen Imperialismus beim Angriffskrieg gegen den Irak und der Strategie der präemtiven Selbstverteidigung ergänzt.

In der Analyse der Linksliberalen Ideologie liefern PostmarxistInnen wie Chantal Mouffe und Ernesto Laclau sehr interessante sind Ansatzpunkte. In deren Verständnis gründet sich das philosophische Selbstverständnis des Linksliberalismus auf der Idee der deliberativen Demokratie die von John Rawls und Jürgen Habermas entwickelt wurden. Im Zentrum des demokratischen Systems stehen bei ihnen die Frage der Kommunikation, der Dialog und die Versöhnung von Antagonismen. Das Ziel der demokratischen Ordnung soll die Gewährleistung eines Dialogs verschiedener Interessengruppen sein. Der Glaube an eine transparente Kommunikation zwischen verschiedenen politischen Kräften und Weltanschauungsmodelen ist in der Idee von politisch neutraler Vernunft verwurzelt. Deren weitergehende Ausprägung bildet das Konzept der kommunikativen Vernunft bei Habermas. Da eine vernunftgeleitete Kommunikation Ziel von demokratischen Prozessen ist, behaupten die Deliberationisten, dass der Pluralismus in Weltanschauungs- und Interessensfragen und unter ihnen bestehende Antagonismen lediglich den Ausgangspunkt einer Politik darstellen, die zu deren Versöhnung führen soll. Alles kann verhandelt, jede/r überzeugt, jeder Konflikt durch eine win-win-Situation gelöst werden. Im Grunde besteht in einer solchen Darstellung kein Platz für Opposition. Diejenigen, die sich nicht in den vernunftgeleiteten Dialog einbeziehen lassen wollen, bekommen nur eine Rolle zugewiesen. Sie werden zu einer Gefahr für eine solche Demokratie.

In der Praxis folgen daraus drei Konsequenzen. Als erstes, das Einverständnis zum Kapitalismus als einem unüberschreitbaren Horizont der Vergesellschaftung und der Reduzierung der Politik auf eine Expertenverwaltung des Systems. Dies zieht als weiter nach sich, dass antikapitalistische Kritik per se als irrational und antidemokratisch diskreditiert wird. Drittens wird damit die Verbindung zwischen der politischen Repräsentanz der Parteien und dessen gesellschaftlicher Basis verweigert. Die Verfechter des Dritten Weges entheben damit die gesellschaftliche Basis ihrer politischen Repräsentanz und degradieren sie zur technischen Vorrichtung: dem Wahlvolkes. Die Linksliberalen widersetzen sich damit die Vertretung der LohnarbeiterInnen zu übernehmen. Dies ist umso leichter, als in den Augen deren ideologischen Gurus vom Zuschnitt eines Giddens, der Klassenkampf, und die gesellschaftlichen Klassen an sich (also das was Habermas als das produktivistische Paradigma bezeichnet) Geschichte darstellen. Die New Economy, Informatisierung und Globalisierung schufen eine postkapitalistische Gesellschaft. Nichtsdestotrotz zeigt die steigende gesellschaftliche Defragmentierung, Verarmung, imperialistische Konflikte und die Stärkung des Rechtsextremismus, dass die Konflikte, Widersprüche und die antagonistische Natur der kapitalistischen Vergesellschaftung noch immer nicht der Vergangenheit angehören.

Dramatisch wird dies in der Politik der Linksliberalen selbst sichtbar, die im Namen der Interessen der gesamten Gesellschaft, bereitwillig die Verwirklichung der Interessen ausgegrenzter Gruppen opfert. Der Bedarf an dem Urnengang des Wahlvolks ist gleichbedeutend mit der Privilegierung der stärksten gesellschaftlichen Gruppen: den Kapitalisten, der Kirche, den liberalen Medien des Mainstreams, der einflussreichen Berufs-Verbände (wie Juristen und Ärzte) oder dem mythischen Mittelstand. Der Versuch der Eliminierung der ideologischen Politik, die auf der Verschiedenheit der Interessensgruppen beruht, endet im Servilismus. In Bezug auf die gefährlichsten Ideologie der herrschenden Klasse auf der Unterstützung für deren Partikularismus.

Die PostmarxistInnen versuchen eine Alternative zu bieten. Sie rufen zur Wideraufnahme der Antagonismen auf. Demokratie beruht für sie im Gegensatz zur liberalen Technokratie immer auf dem Antagonismus, der Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Vorstellungen und Interessen. Der eigentliche Kern der Ausübung von Macht durch die Gesellschaft liegt im Pluralismus der Meinungen und deren unvermeidbaren Konflikt. Ihr eigentlicher Sinn ist somit gerade die Schaffung eines politischen Raumes zur Artikulierung dieses Konfliktes. Deshalb ist eine Unterscheidung zwischen Links und Rechts immer noch aktuell. Der Preis ist somit nicht die Versöhnung der antagonistischen politischen Optionen, sondern die Erringung der Hegemonie durch eine von ihnen. Die Linke sollte deshalb der Überwindung der Rechten und der Hegemonisierung des öffentlichen Diskurses entgegenarbeiten und sich nicht auf eine Entschärfung des eigenen Kurses zwecks Gewinnung rechter Wähler einlassen.

Postmarxistische Konzepte treffen den Kern des Problems. Dies ist jedoch nicht gleichbedeutend, sie lieferten zugleich eine emanzipative Alternative zu den kompromittierten Linksliberalen. Sowohl die PostmarxistInnen als auch die Linksliberalen verbindet deren Ablehnung des marxistischen Erbes. Beide rühmen sich darin, sich vom vulgären Ökonomismus befreit zu haben. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass diese Befreiung eine Flucht vor einem fundamentalen Problem ist.

Die Schwäche der Theorien von Mouffe/Laclau liegt in der Entwurzelung des Antagonismus vom Mechanismus der gesellschaftlichen Reproduktion. Politik gehört bei ihnen zu einer völlig autonomen sozialen Sphäre – sie erhebt sich über das reale Leben als übergeordnete Ebene höherer Werte. Die Gründe für die hierin verankerten Antagonismen liegen im Bereich menschlicher Emotionen. Im Grunde bilden politische Einstellungen lediglich eine Frage der moralischen Einstellung oder individueller Prädispositionen, nicht der objektiven Verwurzelung in der jeweiligen Gesellschaftsstruktur. Dieser formalistische Politik-Ansatz führt in eine gefährliche Nachbarschaft zur konservativen Tradition. Nicht verwunderlich ist deshalb welche Anerkennung Mouffe für das Werk eines Carl Schmitt hegt. Die Konzepte des Hauptjuristen Nazideutschlands zum Politischen und zur Macht beruhten auf einer ähnlichen - wie bei Mouffe - antimarxistischen Tradition. Schmitt suchte ebenfalls die Ursachen für den gesellschaftlichen Antagonismus in den Unzulänglichkeiten der menschlichen Natur, in der Sphäre der irrationalen Emotionen. Schmitt kam so zum Schluss über die Unmöglichkeit einer liberalen Demokratie. Die Zustimmung zu einer solchen fatalistischen Polit-Anthropologie führt immer unweigerlich zu rechts-konservativen Erklärungen. Auch dann, wenn Mouffe ausdrücklich die faschistischen Schlussfolgerungen Schmitts ablehnt.

Der Dritte Weg führt nach Rechts aufgrund des Glaubens an die ideologische Neutralität und die liberale Rationalität. Postmarxisten gelangen zum selben Ziel infolge des Verlustes der Hoffnung auf irgendeine Rationalität. Sie gehen davon aus, es besteht kein Kriterium zur Unterscheidung eines richtigen oder falschen Standpunktes, nur Macht ist entscheidend (diese folgt jedoch nicht aus der Einsicht des Klasseninteresses). So stehen die Klassen-Interessen der ArbeitnehmerInnen und der Kapitalisten gleichberechtigt gegenüber. Den PostmarxistInnen entgeht dabei eine wesentliche Tatsache der Existenz des kapitalistischen Systems: der Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital drückt einen basalen Konflikt zwischen Macht und der ihr gegenübergestellten Opposition aus. Ein Gleichheitszeichen kann es aus diesem Grund nicht geben.
Das Problem welches gegenwärtig die Linke lösen muss ist deshalb viel komplizierter. Die Alternative liegt nicht zwischen Linksliberalen und einer auf Antagonismen orientierten Linken. Es geht heute nicht darum um jegliche Antagonismen des „Wie?“ wiederzuerlangen, aber um die Belebung solcher Antagonismen, die über die Form der Gesellschaft entscheiden. Um dies zu erreichen muss die Linke die Linksliberalen Träumereien von einer Politik über den Grenzen hinweg verwerfen, genauso den postmarxistischen Glauben an eine Politik über dem Kapitalismus. Das heißt sie muss ihre Handlungs- und Tätigkeitsebene wechseln.

Eine echte Veränderung in der linken Politik kann nur dann erfolgen, wenn sie bereit ist sich am Antagonismus von Arbeit und Kapital zu verorten. Sie muss einen Platz einnehmen an der Front, die durch diesen Antagonismus gesetzt ist. In der Praxis bedeutet dies sie muss die Idee einer Autonomie der politischen Szene verneinen. Dies kann durch die Demaskierung der ideologischen Funktion der formalen Demokratie geschehen. Gegenwärtig bleibt die Demokratie – unabhängig davon, ob die Kritik auf eine Versöhnung oder die Erringung einer Hegemonie das Ziel darstellt – lediglich ein formelles Spektakel, welches die undemokratische Herrschaft des Kapitals legitimiert. Dieser Zustand wird solange anhalten bis man diese in die Sphäre der materiellen Reproduktion zurückbringt.

Der Preis einer echten demokratischen Linken besteht in der Demokratisierung an sich, der Politisierung solcher Lebenssphären, die in kapitalistischen Gesellschaften eine Schlüsselfunktion bilden und bislang brutal entpolitisiert werden. Mit anderen Worten muss die Ebene der Produktion für die Politik wiedererlangt werden.

Przemyslaw Wielgosz ist Publizist, Schriftsteller und Mitherausgeber der Zeitschrift Lewa Noga. Vor kurzem erschien in Polen sein Buch "Opium der Globalisierung". Der Autor betreibt die Homepage "Teza jedenasta".

Übersetzung aus dem polnischen für den Ostblog von Kamil Majchrzak

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Michal Stachura | 28.12.05 11:06 | Permalink