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Waffenhandelsverbot in Brasilien?

Referendum über Ende des Kleinwaffenhandels
Land mit meisten Morden - jährlich über 50000
--von Klaus Hart, Sao Paulo--
Angesichts eines erschreckenden Klimas der Gewalt entscheiden die Brasilianer kommenden Sonntag in einem Referendum, ob der Handel mit Kleinwaffen und Munition künftig verboten werden soll. Denn selbst laut UNO-Angaben werden in keinem anderen Land mehr Morde verübt - nach jüngsten Angaben sind es jährlich über fünfzigtausend. Die Rate liegt um das dreißigfache höher als in Deutschland, Großbritannien oder Schweden.

Von der katholischen Kirche wurde daher an alle abstimmungspflichtigen Bürger appelliert, mit „SIM“ zu stimmen und somit einen wichtigen Schritt für den inneren Frieden zu unterstützen. Täglich würden in Brasilien über einhundert Menschen erschossen, durch Waffen endeten nur zu oft banale Streitereien in Tragödien. Zu den Opfern gehörten überdurchschnittlich viele Jugendliche, Frauen und Kinder. Eine Waffe im Hause gebe gemäß den Statistiken keineswegs mehr Schutz gegen Verbrecher:“In zehn Fällen, bei denen jemand wegen eines Überfalls die legale Waffe ziehe, sei der Bandit in neun Fällen schneller.“ Die Kirche, die das Tropenland in einem „unerklärten Bürgerkrieg“ sieht, hält ein Handelsverbot aber nur für eine erste, keineswegs ausreichende Maßnahme, um den Brasilianern mehr persönliche Sicherheit zu garantieren. Nicht zufällig ist die Nation vor dem Referendum tief gespalten, kommt gemäß jüngsten Meinungsumfragen das Verbot nicht durch. Denn für einen Großteil der Brasilianer erscheint absurd, wenn der Staat unbescholtenen Bürgern den Kauf einer Pistole oder eines Gewehrs verbieten will, zur Entwaffnung von Verbrechern jeder Couleur, vor allem aber der hochgerüsteten Banditenmilizen des organisierten Verbrechens so gut wie nichts unternimmt. In Brasilien sind 2,2 Millionen Feuerwaffen legal registriert – doch etwa zwanzig Millionen illegal im Umlauf. Das Arsenal der Gangsterkommandos, zu dem NATO-Sturmgewehre deutscher, französischer, britischer und nordamerikanischer Marken ebenso wie Granatwerfer gehören, erschreckt die Bevölkerung am meisten. Über die Hälfte der Bewohner von Großstädten wie Rio de Janeiro wurde bisher mindestens einmal überfallen – gewöhnlich mit vorgehaltener Waffe. Die als tiefkorrupt geltende Polizei, welche nur zu oft mit dem organisierten Verbrechen kooperiert, Banditen mit Mpis und Munition versorgt, wird für unfähig gehalten, Gewalt und vorherrschende Straflosigkeit effizient zu bekämpfen. Gemäß regierungsunabhängigen Organisationen wie „Viva Rio“ aus der Zuckerhutstadt ist die öffentliche Sicherheit für die Regierung von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva keineswegs Priorität, wurden vorgesehene Mittel sogar auf ein Minimum gekürzt. Geradezu mit Bestürzung registrieren auch die Intellektuellen, daß von Brasilia die neofeudale Diktatur der Banditenmilizen über riesige Großstadtslums sogar demonstrativ anerkannt wird: Mehrere Minister ließen sich gemäß Presseberichten ihre Besuche in diesem sogenannten Parallelstaat zuvor ausdrücklich von den jeweiligen Gangsterbossen genehmigen, verzichteten dort, wie von den Banditen gefordert, auf Polizeischutz und Bodyguards. Dazu gehörten kein geringerer als Kulturminister Gilberto Gil sowie der bisherige Arbeitsminister Ricardo Berzoini. Letzterer wurde im Zuge der jüngsten, die Regierung erschütternden Korruptionsskandale jetzt ausgerechnet zum Chef von Lulas rechtssozialdemokratischer Arbeiterpartei PT bestimmt. Für Historiker Josè Murilo de Carvalho, Mitglied der brasilianischen Dichterakademie, legitimierten die Minister das organisierte Verbrechen als Parallelregierung, als Institution. Dahinter stecke Kalkül:“Die Verbrechersyndikate blockieren die Politisierung der Slumbewohner, halten diese ruhig, verhindern Rebellionen, dienen somit der Aufrechterhaltung von politischer Stabilität.“ Mißliebige, darunter Menschenrechtler, die sich dem Normendiktat der Banditenmilizen widersetzen, werden zur Abschreckung nicht selten sogar geköpft, zerstückelt oder lebendig verbrannt.
Vor einem Waffenhandelsverbot, so meinen daher nicht wenige Brasilianer, müßte der Staat zuerst mit dem Terror der Verbrecherkommandos Schluß machen.

Klaus | 20.10.05 14:16 | Permalink