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Geschichte auf Lettisch

„Frau Vike-Freiberga ist offenbar nicht gewillt, nach Moskau zu fahren.“ Dieser Satz kommt aus dem russischen Außenministerium und gemeint ist damit die lettische Präsidentin Vaira Vike-Freiberga. Der Grund für das kühle Statement sind verschiedene Äußerungen der Präsidentin der baltischen Republik im Vorfeld der Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Sieges über die Nazis. Bis jetzt ist auch sie dazu nach Moskau eingeladen. Doch Moskau ist verärgert.
Für Frau Vike-Freiberga ist offensichtlich, genau wie für so manch einen aus dem braunen Lager, das was da vor sechzig Jahren geschah keine Befreiung, sondern nur der Beginn der 46-jährigen sowjetischen Besatzung.

In einem Interview sagte sie „die Idee, dass wir 1944/1945 von der Roten Armee befreit worden sind, empfinden wir als unerhört“. An anderer Stelle bedauerte sie zwar den Mord an über 90% der lettischen Juden, verschwieg aber das Mitwirken vieler Letten daran.

Moskau ist verstimmt und wirft ihr die Entstellung der Geschichte vor. Ebenfalls würden die jüngsten Äußerungen der lettischen Präsidentin die Rolle der Sowjetunion bei der Zerschlagung des faschistischen Deutschland und bei der Befreiung Europas von der „braunen Pest" abwerten.

Lettlands Umgang mit der eigenen Vergangenheit wird seit langem von der internationalen Öffentlichkeit und vor allem von jüdischen Verbänden scharf kritisiert.

Anlässe dafür gab es genug. So nahm zum Beispiel vor einigen Jahren der Oberkommandierende der lettischen Armee, Gundars Abols, an der Einweihung eines Denkmals für die lettischen Waffen-SS Einheiten teil und der Verteidigungsminister Girts Kristovskis war höchstpersönlich anwesend als eine Feierstunde für diese abgehalten wurde.

Im September 2003 wurde der mit staatlichen Mitteln errichtete Gedenkfriedhofs für die Waffen-SS in Lestene, siebzig Kilometer von Riga entfernt, eröffnet. Dabei führte Erzbischof Janis Vanags aus, die lettische Waffen-SS habe „mit dem Gewehr in der Hand versucht, den Einfluß der sowjetischen Truppen zu stoppen“. Zur Lettischen Legion, auch 15. Waffen-Grenadier-Division der SS, gehörten 100.000 Mann. 1998 erklärte das lettische Parlament den 16. März zum »Tag des Soldaten«. Es ist das Gründungsdatum der Lettischen Legion.

Auch die beiden anderen baltischen Republiken haben offensichtlich kein Problem mit Teilen ihrer nationalen Geschichte:

„Litauen. Die jüdische Bevölkerung – 230.000 Menschen – wurde nahezu ausgelöscht. Besonders tat sich dabei die litauische Hilfspolizei Saugumas hervor. Ein Denkmal für die Waffen-SS gibt es in Litauen allerdings nicht – es war Heinrich Himmler dort nicht gelungen, eine derartige Truppe zu formieren.

Estland (EU-Musterknabe). Wir geben eine dpa-Meldung vom 23. Juli 2003 im Wortlaut wider:

‚Estnische Waffen-SS wird mit Denkmal geehrt
Tallinn/Pärnu (dpa) – Estnische Veteranenverbände ehren die estnischen Mitglieder der deutschen Waffen-SS mit einem Denkmal. Wie die Tageszeitung Postimees am Dienstag in Tallinn meldete, soll das Denkmal in Kürze im Küstenort Pärnu enthüllt werden. Es zeigt einen estnischen Soldaten in SS-Uniform mit Sturmgewehr. Die Inschrift lautet: ›Für alle estnischen Soldaten, die im Zweiten Freiheitskrieg für ihr Vaterland und ein freies Europa zwischen 1940 und 1945 gefallen sind.’“ (Wolfgang Sabath, Waffenbrüder, Das Blättchen 26. April 2004)

"Im neulich erschienenen Buch 'Geschichte Lettlands: Das 20. Jahrhundert', das persönlich von Vaira Vike-Freiberga - Präsidentin eines EU-Staates (!), vorgestellt wurde, wird Salaspils, eines der schrecklichsten Vernichtungslager des Zweiten Weltkrieges bei Riga, wo barbarische Experimente an Kindern durchgeführt wurden, als 'Besserungs- und Arbeitsanstalt' bezeichnet, so wie es in der Goebbels-Terminologie hieß. Die ehemaligen lettischen SS-Angehörigen werden in dem Buch als Kämpfer gegen die roten Besatzer verkauft. Laut Angaben der lettischen Wochenzeitung "Stunde" wurde die Arbeit an dieser schändlichen Ausgabe teilweise durch die US-Botschaft finanziert." (Pjotr Romanow, politischer Kommentator der RIA Nowosti)

Als letztes Jahr auf der Leipziger Buchmesse die damalige lettische Außenministerin, Sandra Kalniet, ähnlich wie ihre Präsidentin heute, die Letten als Opfer zweier ausländischer Diktaturen darstellte, kam es zum Eklat: Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, verließ aus Protest den Saal. Er empfand die Ausführungen als Relativierung des Holocausts.


Quellen:

Moskau empört über die Rhetorik der lettischen Präsidentin

Russischer Botschafter in Lettland tritt gegen Verzerrung der Geschichte ein


Interview: "Befreit von der Roten Armee? Unerhört!"

Eine peinliche Einladung

Erklärung von H.E. Dr. Vaira Vike-Freiberga,
Präsidentin der Republik Lettland, zum 9. Mai 2005


Denkmal für die Lettische SS-Einheit


Waffenbrüder von Wolfgang Sabath

Kommentar des Informations- und Pressedepartments des Aussenministeriums Russlands im Zusammenhang mit der offiziellen Eroeffnung und Einweihung der Gedenkstaette der in der „Waffen SS“ gekaempften lettischen Legionaere


Lettische Geschichtspolitik

Der Zweite Weltkrieg will nicht Geschichte werden

A.S.H. | 01.02.05 15:33 | Permalink