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Brasiliens Prostituiertenheere - nur ein Bruchteil der Freier sind ausländische Touristen

Sexueller Mißbrauch von Minderjährigen meist fernab der Fremdenverkehrszentren
--von Klaus Hart, Rio de Janeiro--
Alle Jahre wieder dasselbe Ritual: Stets zur jetzigen Ferien-Hochsaison prangert Brasiliens Presse die skandalöse, stetig wachsende Kinderprostitution an, veröffentlicht Fotos von deutschen, österreichischen, schweizerischen Touristen und ihren minderjährigen Gespielinnen. Spendenabhängige NGO tuten politisch korrekt in das gleiche Horn,nennen Männer aus der Ersten Welt als die Haupttätergruppe. Und stets kurz darauf verspricht die Regierung mit großem Tamtam ein weiteres Mal ganz energische Maßnahmen, um das Übel nun aber wirklich zu beseitigen. Auch Staatschef Luis Inacio Lula da Silva propagierte zum Amtsantritt vor zwei Jahren den Kampf gegen die Kinderprostitution als Priorität.

Doch jetzt belegt eine vom UNO-Kinderhilfswerk UNICEF und seinem eigenen Justizministerium erstellte Studie, daß den Worten wie üblich kaum Taten folgten und Minderjährige weiterhin vor allem fern der Touristenorte sexuell ausgebeutet werden. Für jedermann im Macholand Brasilien eine altbekannte Tatsache. Jene, die extreme Armut von Mädchen schamlos ausnutzen, ihnen für ein „Programa“ umgerechnet nur etwa einen Euro zahlen oder etwas zu essen geben, sind zuallererst Brasilianer aller sozialen Schichten, nur ein Bruchteil sind Ausländer. Laut Studie prostituieren sich Kinder und Jugendliche in etwa eintausend meist kleineren und mittleren Städten, die größtenteils weit im bitterarmen Hinterland, fernab der Strandorte liegen. Doch am gravierendsten ist die Lage im wirtschaftlich führenden, industriell hochentwickelten Teilstaat Sao Paulo, gefolgt von Minas Gerais. Der Teilstaat Rio de Janeiro beispielsweise liegt erst an zwölfter Position. Laut Maria Lucia Leal, die das UNICEF-Forscherteam leitete, sei eine Lösung ohne mehr soziale Gerechtigkeit nicht denkbar. „Straflosigkeit, Armut und Ungleichheit sind das Problem – die Zahl der Städte mit Kinderprostitution ist erschreckend hoch.“ Bei der Vorstellung der Studie in Brasilia machte Menschenrechts-Staatssekretär Nilmario Miranda merkwürdigerweise keinerlei Angaben über die Zahl der betroffenen Mädchen und Jungen – in früheren Erhebungen war von mehreren Millionen die Rede. „Wichtiger ist doch, was wir tun, um das Problem zu beseitigen.“ So sollen künftig Hotelangestellte belangt werden, die Touristen erlauben, Minderjährige mit aufs Zimmer zu nehmen. Viele fragen sich, ob das in einem Land mit sehr hoher, eingewurzelter Korruption wohl funktionieren kann. Zudem versucht das Hotelpersonal vielerorts, den Gästen die „Garotas de Programa“ regelrecht aufzudrängen, erwartet dafür ein Trinkgeld. Doch in kleineren Städten, sogar Dörfern des Hinterlands ist das soziale Phänomen der Kinderprostitution viel schwerer zu bekämpfen. Nicht nur in den nordöstlichen Dürregebieten beispielsweise werden die Minderjährigen von den eigenen Eltern dazu angeregt oder gar gezwungen, sich zu prostituieren. Daß sich Mädchen an die Straßen stellen und sich Autofahrern feilbieten, gilt vielerorts bereits als normale, ganz „banale“ Beschäftigung, werde von den Familien legitimiert, sagen Sozialarbeiter. Weitverbreiteter sexueller Mißbrauch zuhause lasse zudem viele Minderjährige auf die Straße fliehen, wo sie dann in der Prostitution landeten. Mitarbeiter des Anti-Hunger-Programms der Regierung sollen künftig geschult werden, um solche Fälle zu erkennen und anzuzeigen sowie Aufklärungsarbeit zu leisten. In ganz Brasilien widmen sich zudem 169 regierungsunabhängige Organisationen dem Kampf gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern.
Im Ländervergleich suchen Brasilianer laut Studien am häufigsten Ersatzbefriedigung, Billigsex bei Huren – entsprechend groß ist die Zahl der Bordelle und deprimierenden Strichstraßen.
Das Mangue-Viertel von Rio de Janeiro hat in Brasilien einen ebensolchen Ruf wie die Reeperbahn in Hamburg. Erst wenige Jahre ist es her, daß die dortigen „Putas“ zum Umzug in einen anderen Distrikt gezwungen werden:
Bagger, Planierraupen und Bauzäune sind bereits bis dicht an die famose „Zona“ herangerückt – doch drinnen, im Menschengewühl vor den vierundvierzig aneinandergeklebten Häuschen ist von Abschiedstristesse noch wenig zu spüren. Alba, eine 25-jährige Mulattin wie aus der brasilianischen Tourismuswerbung, bekleidet nur mit durchsichtigen weißen Dessous, hat den Gringo sofort erspäht, beginnt eine leichtfließende Unterhaltung über die Dinge des Lebens, spart das Thema „Prostituicao“ völlig aus, schimpft indessen auf den Präfekten Cesar Maia von der Rechtspartei PFL:“Die wollen uns hier wegtreiben, doch wir haben noch keinen Alternativplatz, nirgendwo will man uns - die Sambaschule Estacio nebenan soll auch abgerissen werden.“ Alba hätte wohl auch Chancen auf den deutschen Märkten für mietbares Frauenfleisch – ein Großteil ihrer Kolleginnen nicht. Unglaublich dicke Huren mit riesigen Hinterbacken und hängenden Bäuchen, enormen Brüsten – aber in Mini-Tangas, stehen ebenfalls an die Häuschen gelehnt, manche um die zwanzig, andere aber weit über fünfzig; dazu das Gegenstück, entsetzlich abgemagerte Gestalten. Ist das hier auch ein menschliches Kuriositätenkabinett, teils zum Gruseln, für merkwürdigste Perversionen?
Rio de Janeiros Altstadt zählte zu den kunsthistorisch wertvollsten Lateinamerikas – Präfekten und Gouverneure sind indessen Teil jener Elite, die Liedermacher Chico Buarque nicht zufällig „kulturloser als je zuvor“ nennt. Die Altstadt wird deshalb besonders seit 1985, dem Ende der einundzwanzigjährigen Militärdiktatur, systematisch zerstört, sieht in Teilen aus wie nach einem Bombenangriff. Nun ist – ohne Not – die theoretisch denkmalsgeschützte „Vila Mimoza“ der Putas dran, soll Parkplätzen und Geschäftshäusern weichen, die man problemlos auch anderswo errichten könnte.
Für die fünfhundert, bisweilen sogar zweitausend Huren, die ab acht Uhr morgens in drei Schichten die Bordellgasse bevölkern, macht sich indessen niemand stark. Die Vila Mimoza gehört zum einst hocheleganten Mangue-Viertel, in Sichtweite des damaligen Kaiserpalastes. Von 1860 an, rund dreißig Jahre vor der offiziellen Abschaffung der Sklaverei, werden in Mangue wichtige Kapitel der Sittengeschichte Rios geschrieben. In den ersten Bordellen der Aristokratie dienen noch schwarze Sklavinnen; um die Jahrhundertwende kommen immer mehr Europäerinnen, darunter in ganzen Schiffsladungen gleich Hunderte von Jüdinnen. Stefan Zweig hat sie in Mangue besucht, bestaunt, studiert.
Janete, inzwischen über siebzig, erinnert sich noch wehmütig der Jahre, als sie und die nicht weniger als siebentausend anderen Putas in den Freudenhäusern die berühmtesten Poeten, aber auch Sambakomponisten der 30er und 40er Jahre empfingen, deren Musik heute in ganz Europa auf CDs verkauft wird: Cartola, Nelson Cavaquinho, Ismael Silva, Luiz Gonzaga, Moreira da Silva...“Die Zeit war so gut, daß niemand sich ein Ende vorstellen konnte.“ Diktator Getulio Vargas, Hitlerverehrer, beginnt in den 30ern mit dem Abriß von Mangue, läßt eine Aufmarsch-Avenida faschistischen Zuschnitts anlegen, in manchen Karnevalssambas ist allen Ernstes Adolf Hitler d a s Thema. Kein geringerer als Leonel Brizola, jahrelang Vizepräsident der Sozialistischen Internationale, und sein Bildungsexperte Darcy Ribeiro, beide Vargas –Anhänger, geben in den 80ern mit dem fehlkonstruierten Beton-Sambodrome, der Karnevals-Paradestraße, dem Mangue-Viertel fast den Rest. Nur in der Vila Mimoza widerstehen die Putas. Ihre Führerin, die schwarze Euridice Coelho, ein Energiekoloß von Frau, werkelt ein paar Häuser von der Gasse entfernt, in ihrem Büro. Sie produziert gerade Kunstdrucke, ihre vier Kinder, einige minderjährig, helfen mit. Direkt nebenan steht die Fernsehstation einer mächtigen Sektenkirche, bekämpfte die Huren jahrelang:“Erst lockten sie mit Entschädigungsangeboten, dann drohten sie mit Gewalt und Mord, wollten mit Waffen kommen, uns alle ins Grab schicken – alles Ex-Militärs der Diktatur, jetzt beim Sektenfernsehen!“ Den Streit entschieden die Frauen für sich, bekamen das Bleiberecht sogar schriftlich von der Präfektur.
„Brasilien ist das einzige Land der Erde, in dem die Prostituierten einen Orgasmus kriegen“, sagt Fernando Gabeira, Kongreßabgeordneter, einst ins europäische, darunter Westberliner Exil getriebener militanter Diktaturgegner, erfolgreicher Schriftsteller. Der schmächtige Menschenrechtsaktivist bekundete stets öffentlich seine Sympathie für Prostituierte, redete auch auf deren Kongressen. Euridice Coelho stimmt Gabeira lachend zu:“Wenn wir über unsere Orgasmen während der Arbeit reden, nennen wir sie Betriebsunfall.“ Achtzehn Jahre ist sie in der Gasse aktiv, erinnert sich an hohe Kundenzahlen, die fix und fertig machten: “Wenn du dreißig Freier am Tag hast, fühlst du natürlich nicht bei allen Lust, aber mit so manchem. Immer gibt es jemanden, mit dem man sich beim Sex versteht, dessen Geruch man mag, mit dem man sich gerne unterhält. Mein jetziger Companheiro war fast ein Jahr lang mein Kunde - es war hart am Anfang, ihn nicht spüren zu lassen, daß er mich befriedigt, mir Genuß verschafft, andernfalls hätte er mich nicht mehr bezahlt. Mein Herz sprang vor Freude, wenn Antonio in die Zona reinkam, aber äußerlich verhielt ich mich total indifferent.“ Die Hurenpräsidentin garantiert, daß Antonio wegen ihres Berufs nie Eifersucht spürte – jetzt allerdings hat sie Beziehungsprobleme. Er mag nicht, daß sie als Chefin der „Associacao das Prostitutas do Estado do Rio de Janeiro“ quasi vierundzwanzig Stunden am Tag nur für das Überleben der Vila Mimoza kämpft. Wie ist das, Euridice, zerstört ihr nicht Heim, Familie und Ehe im größten katholischen Land der Erde? „Im Gegenteil, wir tragen zur Harmonie bei, sind oft eher Sozialarbeiter, Psychologen. Da kommt ein Manager aus der reichen Südzone Rios, will nur stundenlang reden, keinen Sex. Seine Frau betrügt ihn mit dem Therapeuten, der Sohn ist rauschgiftsüchtig, die Tochter lesbisch. In seinem sozialen Umfeld kann er sich niemandem anvertrauen, muß er so tun, als wäre alles okay. Eines Tages kommt er wieder, hat seine familiären Probleme gelöst, bedankt sich bei uns.“ Gabriela Silva Leite studierte Sozialwissenschaften an der Universität von Sao Paulo, entschied sich dann aber für die Prostitution, arbeitete fünfzehn Jahre vor allem in der Vila Mimoza. Inzwischen ist sie verheiratet mit einem Journalisten, hat zwei Kinder - Zeit und Energien fließen vor allem in den Dachverband der brasilianischen Huren. Auch sie meint, man sollte Putas nicht nur stets als Opfer einer gräßlichen Sozialsituation sehen.
Ein „Programa“ kostet umgerechnet an die sechs bis zwölf Euro, und kann, wenn es den Huren Spaß macht, bis zwei Stunden dauern. Einem bekannten Schweizer Profifotografen bieten sie an, sich mitten in der Arbeit am Kunden ablichten zu lassen, natürlich gratis. Die Mauer an Mauer angrenzende Sambaschule Estacio belebt das Geschäft – doch Sambas dringen aus Musikautomaten und Bordell-Lautsprechern sehr selten. Bevorzugt wird ultraromantische Sertaneja-Musik, Marktführer in Brasilien.. Kleinbusse voller Behinderter, aber auch Homosexuelle kommen in die Zona, gelegentlich rennt zur Belustigung aller ein splitternackter Mann, die Sachen unterm Arm, durch die Gasse. Manager, Künstler und Schauspieler, Bauarbeiter noch in Arbeitsklamotten schlendern herein, aber auch Zuwanderer und Fernfahrer des Nordostens. Die, erklärt mir Euridice, reden auffällig häufig über ihre ersten sexuellen Erfahrungen - mit Tieren, darunter Eseln, Ziegen, Hühnern – manche können davon auch für den Rest des Lebens nicht lassen. Nichts besonderes in Brasilien. Ostern 1994 jagt Gouverneur Leonel Brizola eigenhändig auf der malerischen Ilha Grande bei Rio per Knopfdruck einen berüchtigten Kerkerkomplex mit tonnenweise Dynamit in die Luft. Die Explosion, sagen Gefängniswärter und Inselbewohner, zerfetzt auch an die dreihundert Hunde, die von den rund siebenhundert Knastinsassen einzig und allein für die sexuelle Abartigkeit der Zoophilie gehalten wurden. Die Gefangenen verteilt man auf andere Anstalten, doch die teils von Lepra und anderen Krankheiten befallenen Hunde, läßt man extra drinnen. Proteste etwa von Tierschützern bleiben aus.
Richtige Krisen wie Rest-Brasilien scheint die Vila Mimoza nicht zu kennen, sonntags werden sogar kirchliche Messen zelebriert. Viele Huren geben jenen guten Kunden Preisnachlaß, die in besseren Zeiten mehr zahlen werden, den Familien der Frauen bei finanziellen Problemen aushelfen, Freunde wurden.
In Rio grassiert Aids, politische Flüchtlinge aus Afrika bringen den in Brasilien bislang nicht verbreiteten HIV-2-Virus mit – „keine Frage, daß wir uns der Prävention widmen, sogar auf Aidskongressen in Berlin und Amsterdam Erfahrungen weitergeben, mit- diskutieren“, bekräftigt Euridice. Doch kein Zweifel, eine unbekannte Zahl von Frauen der Vila Mimoza benutzte keine Kondome, hat sich infiziert, steckte Kunden an. „Ich kann nicht dafür garantieren, daß alle Kolleginnen hundertprozentig nur noch mit Camisinhas arbeiten – aber du siehst es in der Gasse, bei vielen steckt der Gummi gut sichtbar im BH.“
Ein Drittel der Frauen bleibt im Grunde das ganze Leben in der Vila Mimoza, die restlichen kommen aus Goldgräbercamps, Dschungelmetropolen oder Küstenstädten des Nordostens wie Recife.
--Sextourismus im Nordosten—
Wenn dort die europäischen Charterjets landen, spielt sich auf dem Airport Kurioses bis Makabres ab. Zig Mädchen, junge Frauen haben grade tränenreich ihre Ferien-Gringos ein allerletztes Mal geherzt, geküßt, umarmt – die checken jetzt für den Rückflug ein und sehen nicht, wie die eben noch Tiefbetrübten keck, fröhlich, mit leuchtenden Augen zum Empfang des Nachschubs, der Neuankömmlinge laufen, ein dichtes Spalier bilden. Da kommen sie, die kalkweiß-leichenblassen Männer, werden auf der Stelle angeschwärmt, gestreichelt, mit einigen Brocken Liebesdeutsch beworfen, leicht in den Hintern gekniffen, mit Blumen beschenkt, daß es, von weitem betrachtet, eher lustig wirkt. Direkt danebenstehend, schauderts einem gelegentlich, denn da tobt härtester Konkurrenzkampf – viel zu viele Huren für viel zu wenige Euro-Männer. Besser angezogene, besser gewachsene Nordestinas haben sichtlich größere Chancen auf dem Menschenmarkt – jene ohne Gardemaß, mit den billigeren Klamotten reagieren frustriert, aus Ärger werden Wut und Haß nicht auf die Konkurrentinnen, sondern auf diese Kerle, die gar nicht wissen, wie ihnen geschieht. Einigen Deutschen des LTU-Flugs wird so heftig mit spitzen langen Fingernägeln und aller Kraft in den Hintern gekniffen, daß sie erschreckt aufschreien, den Wagen mit den Koffern stehenlassen, die Hände schützend hinten an der Hose davonrennen, nach Reiseleitern suchen. Ein Mädchen kneift einen Deutschen ruppig mit der Linken in die Hoden, mit der Rechten reißt sie an seinem Glied. Er rennt ziellos, total verwirrt in der Airport-Halle herum, weiß nicht, wie ihm geschieht. Andere junge Huren, eine davon im fünften Monat schwanger, treten möglichst vielen der ankommen Männer mit beeindruckender Schnelligkeit kräftig ins Hinterteil – nur Paare werden von Attacken ausgespart. Aber dann gehts ins Touristen-Strandviertel Boa Viagem, Gute Reise, und da ist es herrlich. Die Herren Sextouristen fühlen sich wie im Reich der Sinne, genießen sichtlich, von so vielen exotischen Frauen umschwärmt zu werden. Vor allem, weil die ihr Geschäft nicht so eiskalt-professionell wie ihre Kolleginnen auf der Reeperbahn betreiben. Nicht-Sextouristen fällt deshalb oft sehr spät, oder gar nicht auf, daß sie mit einer Prostituierten anbändelten. Man trifft sich auf der Strandpromenade, flirtet, geht essen, tanzen, verabredet sich für den nächsten Tag, oder geht gleich ins Bett. Findet sich nett, verbringt wieder ganze Tage zusammen und die Nächte mit. Über Geld, Preise wird nicht geredet. Logisch, daß die Gringos Restaurant-Zechen der Mädchen bezahlen und was Schickes in den Boutiquen. So vergehen die Urlaubswochen, die Mädchen, viele noch minderjährig, sagen oft, noch Schüler oder Studenten zu sein, grade Ferien zu haben. Manchem Gringo kommt der Ferienflirt verdammt jung vor – nein, bekräftigt die kindliche Nordestina, ich bin schon achtzehn, hält ihm den Ausweis vor die Nase, da stehts, das Geburtsdatum. Gefälscht. Kein Problem in Brasilien. In einer großen deutschen Zeitung steht, die Kunden minderjähriger Putas seien hauptsächlich Ausländer. Feministinnen und Hilfsorganisationen beten es politisch korrekt nach. Doch das stimmt nicht in Thailand, wo sich Frauen für den Gegenwert einer Flasche Coca Cola feilbieten – dort sind nur um die fünf Prozent aller Freier keine Einheimischen – und in Brasilien erst recht nicht. Das Massenelend, die barbarischen Zustände in den rasch wachsenden Slums sind hauptverantwortlich dafür, daß sich weit mehr Kinder und Jugendliche als in früheren Jahrzehnten prostitutieren . Die Kunden sind Brasilianer aller sozialen Schichten, nur ein Bruchteil Ausländer. Die allerdings fallen auf, werden von jedermann beäugt, durch sie wurde das Geschäft mit dem Sex vielerorts sichtbarer, offenkundiger, vor allem in Recife. Die meisten einheimischen Männer dort sind archaische Machos, die man so in Mitteleuropa nicht mehr findet.
--Slums, Machismus, Sexualität—
Die Stadt zählt über dreieinhalb Millionen Einwohner, um die siebzig Prozent hausen in Slums. Lehmhütten kleben auf matschigem Grund, Pfahlbauten wurden reihenweise über Kloakenschlamm errichtet, die Cholera flackert immer wieder auf. Keine brasilianische Sozialwissenschaftlerin hat die dortigen Strukturen so genau untersucht wie Fatima Quintas von der Forschungsstiftung „Joaquim Nabuco“, unweit der Favelas: Die Hütten gehören fast immer den Frauen, sie sind das Oberhaupt der Familie. In häufigem Wechsel, der sogenannten Rotatividade masculina, ziehen Männer ein, zeugen manchmal ein bis zwei Kinder und gehen dann mit verblüffender Leichtigkeit, ohne Intervall, direkt zu einer anderen, bereits ausgewählten Partnerin. Somit haben die Mütter ihre fünf, acht oder mehr Sprößlinge häufig jeweils von einem anderen Mann. Diese Machos, so Fatima Quintas, sind hochgradig verantwortungslos, ohne familiäre Ethik. Die Frauen in den Slums von Recife haben ein sehr niedriges Selbstwertgefühl, das Leben in absoluter Misere macht hoffnungslos und nihilistisch. Die Mädchen werden sehr früh, mit zehn oder zwölf Jahren entjungfert, meist durch die ersten Freunde und die Männer der Familie, der Verwandtschaft – Brüder, Väter, Stiefväter sind die Vergewaltiger. Später, als Erwachsene, haben auch die Mütter in den Pfahlbauten von Recife ein sehr aktives Sexualleben, etwa ebenso wie ihre Geschlechtsgenossinnen aus der Mittelschicht. Nur – über siebzig Prozent, so Fatima Quintas, erleben dies, so unglaublich es scheint, ohne Lustempfinden und Orgasmus, dieser wird nur beim häufigen Masturbieren erreicht. „Menschen dieses Miserestadiums haben kein Liebesspiel, kein Spiel der Verführung, alles geschieht sehr direkt, als mechanischer Akt. Der Mann kommt müde und oft sehr schmutzig nach Hause, benutzt so die passive Frau kurz sexuell, dreht sich um und schläft wie sie.“ Gewalt gegen Frauen – Normalität. Haut wird verbrannt, Ohren werden abgeschnitten, Brüste und Vagina verstümmelt. Der Wildwuchs des Männlichkeitswahns wird sogar als Entwicklungshemmnis gesehen.
Diese Art von Machos in allen ihren Schattierungen sind die Mädchen und Frauen gewöhnt. Die „Gringos“ auf der Promenade von Boa Viagem, ein paar Kilometer entfernt, wirken anders. Wer Auslandsreisen macht, ist für Durchschnitts-Recifenser jemand von der Mittelschicht aufwärts, aber nicht jemand wie sie - Arbeiter, Fleischer, Bäcker, LKW-Fahrer, Polizist, Fließbandmonteur, mies bezahlt, für immer Unterschicht. Und dann entdecken sie plötzlich, daß diese Chartertouristen ebensolche Berufe haben. Ein Strandsheriff von Boa Viagem sagt fassungslos:“Ich treffe hier andauernd deutsche Polizisten – daß die sich sowas leisten können! Für mich absolut unmöglich.“ Anwältin Ana Vasconcelos, Brasiliens renommierteste Sextourismus-Expertin, ist wohlhabend, lebte in den USA und Europa, studiert seit vielen Jahren, wie diese Art von Zusammentreffen der Kulturen funktioniert, schockt die politisch Korrekten der Ersten und Dritten Welt mit ihren Schilderungen und Bewertungen.“Die Realität ist hier so hart, daß viele Leute von ihr nichts sehen und hören wollen“, erläutert sie im Auffang-und Betreuungsheim für etwa fünftausend junge Putas, unterhalten auch mit Spenden von Caritas, Brot für die Welt und Misereor. Laut Ana Vasconcelos stellen deutsche Männer die übergroße Mehrheit der Sextouristen, auf sie haben sich an die zweitausend Prostituierte regelrecht spezialisiert. „Deutsche sind hier gut angesehen, stehen nicht im Ruf, die Mädchen auszubeuten. Von denen wollen alle Deutsche, das gibt Status, lohnt sich, Deutsche sind finanziell großzügiger. Väter und Mütter der Unterschicht schicken ihre Töchter schon von acht Jahren an los, einen Deutschen aufzugabeln. Vai pra Rua, pra procurar um alemao, das ist die Regel und nicht die Ausnahme. Der deutsche Mann ist der Märchenprinz. Italiener, Holländer, Franzosen und Briten werden gar nicht bevorzugt.“
Auch in Rio de Janeiro haben Prostituierte deutliche Vorlieben bei der Kundensuche, denken über Männer der Ersten Welt ähnlich wie die gewöhnlichen Brasilianerinnen. Wegen des mediterranen Temperaments und Charmes sind Italiener am beliebtesten, während Franzosen - nicht nur in Liebesdingen – als witzlos und pedantisch gelten. Österreicher, Deutsche und Deutsch-Schweizer schneiden besser ab, sind generöser und weitaus häufiger bereit, eine Prostituierte auch zu heiraten und ins Traumziel Europa mitzunehmen. Am wenigsten schmeichelhaft ist allgemein die Bewertung der Briten und US-Amerikaner – ihnen wird ein Grad an unangenehmer Obszönität und Perversion nachgesagt, der selbst die meisten käuflichen Mädchen anwidert. Argentinische Sextouristen, heißt es, behandeln Brasilianerinnen zumeist noch machistischer als die einheimischen Männer, werden entsprechend eingestuft. Ana Vasconcelos konstatiert, daß die Deutschen gewöhnlich ein sehr gutes Verhältnis zu den Einheimischen Recifes haben. Die Alemaes gehen mit jungen Prostituierten Hand in Hand, kaufen zusammen ein, wohnen zusammen, schmusen mit ihnen in der Öffentlichkeit, was ein brasilianischer Kunde nie machen würde. Sie lernen die Großfamilien der Mädchen kennen, so daß schließlich deutsch-brasilianische Freundschaften, Bekanntschaften, Intimität und Nähe entstehen. Viele Deutsche kommen immer wieder, heiraten sehr oft Prostituierte, nehmen sie mit, etwa einhundertfünfzig pro Jahr nur aus Recife. Auch das gibts – Frauen lassen ihre Nordestino-Ehemänner stehen, gehen lieber mit einem Deutschen nach Europa. Ein Deutscher verliebt sich in eine Fünfzigjährige aus tiefster Misere, nimmt sie mit, samt allen ihren Kindern. Ana Vasconcelos, selber über fünfzig, lacht:“So ist das eben bei uns menschlichen Wesen – da gibts gottseidank das Unvorhergesehene, die unerwarteten Gefühle, Leidenschaften.“
Söhne, Töchter, die in Hamburg oder München Deutsch lernten, machen bei Recife-Aufenthalten die Übersetzer für Puta-Familien. Wer mehr Verwandte in Deutschland hat, ist mehr respektiert. „Für diese Art von Männern zwischen dreißig und vierzig ist die deutsche Frau zu unabhängig, zu emanzipiert, sie unterwirft sich nicht mehr – hier dagegen fühlen sie sich wie Kinder, gemocht, umschwärmt, geliebt, erklären es mir so. Hier spielen, tanzen, saufen sie. Und finden leicht Frauen, die abwaschen, kochen, bügeln und bereit sind, sich nur um den Gemahl zu kümmern.“ Ein Italiener sagt am Strand, es sei richtig ungerecht, die Mädchen um ihn herum als Huren herunterzumachen. „Die behandeln uns mit soviel Zärtlichkeit und Zuwendung, wie ich es nie irgendwo in Europa erlebte.“ Sein Deckennachbar aus der Schweiz beeindruckt, wie fröhlich und sinnlich die Mädchen sind.“Zuhause gibts im ganzen Land nicht eine einzige, die so ist.“ Weiß er, daß nicht wenige Gringo-Freundinnen auf ihre Art „fremdgehen“? Wenn der Märchenprinz, Principe encantado, nachmittags für einige Stunden wegen der ungewohnten Tropenhitze im Hotel schlummert, machen sie unterdessen ein paar schnelle Programas, auch mit Brasilianern.
Über den Weg der Prostitution gibts die Chance, einen Ausländer zu heiraten, denken viele Eltern, und außerdem holt sich dann die Tochter nicht anderswo, bei den einheimischen Männern Aids oder die häufigen Geschlechtskrankheiten. Denn die Deutschen, so ein weiterer Gedankengang, haben die Immunschwächekrankheit nicht, da gehts auch ohne Präservativ. Im Slum Brasilia Teimosa sagts eine Mutter ganz deutlich:“Meinen drei Töchtern konnte ich nichts bieten – also habe ich alles getan, daß sie Gringos kriegten. Bitte denk deshalb nicht schlecht über mich. Jetzt leben sie in München und Frankfurt, fahren Autos, sind gesund, in Sicherheit.“ Ana Vasconcelos: “Wir sind ein rassistisches Land, alle wollen eine klare Haut haben. Wenn die dunkelhäutige Tochter einen deutschen Touristen heiratet, denkt der Vater, verbessert sich durch die Vermischung meine Rasse, wird meine Enkelin blaue Augen haben, schöner sein als eine Schwarze – und das gibt Prestige.“ Die Nachkommen sollen nicht das gleiche Schicksal erleiden – dem die Eltern nicht mehr entfliehen können. Väter bringen jungfräuliche Mädchen nach Boa Viagem, um einen guten Preis zu erzielen - in den Slums von Recife töten Eltern Kinder, nur um deren Weinen nicht mehr hören zu müssen. Vergewaltigung und Inzest gehören zum Alltag. Wer von den Recifenserinnen in Deutschland nicht heiratet, mit dem Partner Probleme hat, gar von ihm mißhandelt wird, keine Visumverlängerung erreicht, versucht dennoch zu bleiben. Manche sagen offen, wie asexuell sie Deutschland finden. Einer in Süddeutschland lebenden Brasilianerin fällt auf, wieviele Prostituierte ihres Landes jetzt illegal anschaffen, sich als Studentinnen ausgeben. Genau das führte nicht selten zum Krach mit dem Partner. „In Recife lügen sie die Deutschen an, sagen, sie wären an der Uni. Dann, in Deutschland, schaffen sie nicht mal einen simplen Deutschkurs – Männer fühlen sich ausgetrixt, hinters Licht geführt, werden stinksauer. Dann ist der Spaß zuende.“ Ana Vasconcelos gibt zu bedenken: „Deutschland bedeutet für viele, genügend zu essen, Gesundheitsbetreuung und Bürgerrechte zu haben, als Person geachtet und respektiert zu werden. Hier in Recife bliebe ihnen nur Prostitution und Elend bis zum Tod“.
Es gibt Unterschichtsmädchen, die sich in Deutschland am Herzen operieren lassen – „hier würden sie sterben.“ Wer drüben ist, schickt Geld - zahlreiche verelendete Familien wären ohne die hundert Euro monatlich verloren. „Viele Mädchen, die wir vor Jahren auf der Straße aufgelesen haben, reisen heute selbstbewußt alleine nach Europa, bis nach Neuseeland, bringen von dort sogar Spenden für unser Projekt mit.“ Ana Vasconcelos prangert nicht nur den Sextourismus an:“Ich verurteile das internationale ökonomische System, das ist der große Ausbeuter.“ In manchen deutschen Städten bieten sich auffällig viele Brasilianerinnen feil. Das macht den Freiern Appetit, doch mal im Herkunftsland nachzuschauen, wo die Ware Mensch, Sexdienstleistungen für verkorkste Männer, weit billiger sind. Brasilianische Machos stellen in Deutschland, einem Staat, in dem das Argument „Prostitution als Elendsfolge“ nicht gilt, erstaunt fest, daß weit mehr als zuhause das Hurengewerbe öffentlich propagiert wird. Selbst lächerlichster Telefonsex boomt in der deutschen Ersatzbefriedigungsgesellschaft mehr als in dem Tropenland, wo die privaten TV-Sender bei weitem nicht so intensiv dafür werben. Brasiliens Befreiungstheologe Frei Betto:“Wie lassen sich Vergewaltigungen verhindern, wenn die Reklame für Telefonsex suggeriert, daß das totale Lustempfinden im Körper einer Unbekannten zu finden ist?"
--makabre Versteigerung von Jungfrauen—
Sicher nur eine Frage der Zeit, bis Mitteleuropas Sexmarkt eine makabre Anregung aus Brasilien aufgreift – die Jungfrauen-Auktionen. Laut Natalia Soares, Leiterin einer Frauenseelsorge im Nordost-Teilstaate Maranhao, werden dabei Mädchen, zwischen neun und vierzehn, auf einen Tisch gestellt – und immer bieten bis zu fünfzig Männer umgerechnet jeweils bis zu viertausend Euro. Die Mädchen werden von gerissenen Anwerbern meist im Hinterland besorgt, den durchweg bitterarmen Eltern regelrecht abgeschwatzt, oft nur für einen Sack Bohnen oder Reis – gegen das Versprechen einer guten Anstellung in der Stadt, einer Wohnung. Ahnt das Opfer, was ihm blüht, wird es notfalls in Privatgefängnissen gefügig gemacht, ist später wegen Morddrohungen gewöhnlich nicht bereit, gerichtsverwertbare Aussagen zu machen.
Eine Jungfrau zu ersteigern, gilt als aufregend, gibt Status, man avanciert zum Tagesgespräch unter den Männern der High Society. An dem obszönen Vergnügen beteiligen sich fast durchweg nur Politiker, Großgrundbesitzer, Unternehmer, Ärzte und gutverdienende Freiberufler. Die interessierte Klientel erhält persönliche Einladungen. Der Meistbietende erwirbt das Recht auf eine einzige Nacht in einem Stundenhotel – bereits am nächsten Tag werden die Mädchen gewöhnlich gezwungen, als Prostituierte zu arbeiten – manche enden in den Wild-West-Goldgräbercamps Amazoniens.

Klaus | 10.02.05 02:07 | Permalink