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Deutsche Brasilien-Soli-Gruppen stark geschrumpft - Tropenland weiter Folterstaat

"Gebt uns hier nicht auf!"
--von Klaus Hart, Rio de Janeiro--
In mitteleuropäischen Staaten wie Deutschland gibt es nach den Worten des Pfarrers und Gefangenenseelsorgers Günther Zgubic immer weniger Sensibilität für die gravierenden Menschenrechtsverletzungen in dem Tropenland. Der aus Österreich stammende Zgubic konstatierte in Sao Paulo, daß Brasiliens Menschenrechtler von den Europäern immer weniger unterstützt werden. "In guten Zeiten gabe es in Deutschland über siebzig Gruppen der Brasilien-Solidarität - jetzt nur noch etwa zehn." Die stärkste Brasiliengruppe der deutschen Sektion von Amnesty International arbeite in Köln, habe aber immer weniger Mitglieder.

Zgubic, 45, der die nationale katholische Gefangenenseelsorge leitet, richtete deshalb einen Appell an die europäischen Menschenrechtsaktivisten: „Gebt uns hier nicht auf!“ Innenpolitisch wichtig sei, daß man in Brasilien spüre, wie die Menschenrechtslage von außen beobachtet werde.“ Laut Zgubics Analyse ist Lateinamerikas größte bürgerliche Demokratie auch rund zwei Jahre nach dem Amtsantritt von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva weiterhin ein Folterstaat. „Ich sehe nur punktuelle Fortschritte in einem Meer von Mißständen. Folter, reine Willkür sind in den meisten Gefängnissen, Polizeiwachen völlig normal – am schlimmsten ist es in Teilstaaten wie Rio de Janeiro, Espirito Santo, Rondonia, Mato Grosso.“ Immer wieder Gefängnisaufstände, mit bis zu dreißig Toten, sogar Massenausbrüche. Staatschef Lula hatte nach seinem Amtsantritt auch unter dem Beifall des Auslands einen Aktionsplan ausgerufen, der vorsah, endlich die Rechte von Kindern, aber auch von jugendlichen Häftlingen zu respektieren. Pfarrer Zgubic urteilt schonungslos:“Der Aktionsplan wurde überhaupt nicht umgesetzt.“ Die nordamerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sieht es genauso, die Jugendhaftanstalten Rio de Janeiros glichen mittelalterlichen Verließen – verfallen, dreckig, total überfüllt. Wärter, die die Insassen brutal mißhandeln, würden nie bestraft. Rios Behörden wiesen die Kritik von Human Rights Watch als falsch und ungerecht zurück – doch Pfarrer Zgubic beschreibt die Zustände noch weit dramatischer. Revolten der minderjährigen Häftlinge seien daher normal. “Und dann werden Kinder, Jugendliche eben genauso niedergeschlagen, niedergeschossen wie im Krieg – und wie man es mit den erwachsenen Gefangenen tut. Und züchtet somit schon die künftigen professionellen Kriminellen, anstatt mit den betroffenen Kindern und Jugendlichen pädagogisch zu arbeiten.“ Ob im Gefängnis oder in den Slums der Großstadtperipherien, wo immer mehr Heranwachsende wegen der hohen Arbeitslosigkeit beim organisierten Verbrechen mitmachen, schwerbewaffnet sind. „Das ist dann deren Art von Gemeinschaftserlebnis, von Kollektiv, von Heldentum.“ Dieser Altersgruppe böten sich kaum andere Alternativen. Doch die Regierenden wollten die Zustände verstecken: „Information wird verhindert, um den Eindruck zu erwecken, die Probleme seien gelöst – ein politischer Trick. Medien und Menschenrechtsorganisationen werden nicht in die Anstalten gelassen. Vielerorts wird Seelsorge nur erlaubt, wenn man nichts kritisiert.“ Laut Pfarrer Zgubic ist es der Öffentlichkeit bedrückenderweise relativ egal, ob in Haftanstalten für Erwachsene gefoltert wird. „Doch bei Brutalitäten gegen Kinder und Jugendliche würde die Bevölkerung eben sensibler reagieren.“ Weil die Lula-Regierung „ganz folgsam“ die Auslandsschulden u.a. an die Weltbank zurückzahle, fehlten natürlich Mittel für soziale Zwecke, darunter für die Haftanstalten, die Bekämpfung der Gewalt. Zgubic, der für sein Engagement bereits mehrere internationale Auszeichnungen erhielt, bringt besonders auf, daß in Brasilien gerade Arme, Verelendete, sogar beide Eltern von Kindern, wegen Bagatelldelikten, etwa versuchten Diebstahls von Nahrungsmitteln oder Tellern in Supermärkten, jahrelang eingesperrt werden. „Und oft werden genau diese Häftlinge gefoltert, weil sie es in den überfüllten Gefängnissen, in Hitze und Gestank nicht mehr aushalten, im Halbdunkel dahinvegetieren müssen. Solche grausamen Zustände sind mindestens genauso arg sind wie die direkte Folter.“
--Deutsche Wirtschaftsinteressen und Menschenrechte—
Den Regierungen mitteleuropäischer Länder wie Deutschland wirft der Pfarrer vor, derartige Menschenrechtsverletzungen einfach nicht anzuprangern. „Ökonomische Interessen haben Vorrang - für Deutschland soll wirtschaftlich möglichst viel herausschauen – deshalb unterbleibt Kritik, prangert man beim brasilianischen Partner nichts an - das ist für uns völlig klar. Ich rechne nicht damit, daß wir Menschenrechtler da in Deutschland in dieser Frage viel ändern können.“
Auf dem UNO-Index für menschliche Entwicklung rangiert Brasilien als 13. Wirtschaftsnation nur auf dem 72. Rang. Kuba beispielsweise liegt dagegen mit Staaten wie Deutschland und Schweden in der Spitzengruppe der Länder mit hohem Entwicklungsniveau – auf Platz 52.

Klaus | 13.01.05 12:47 | Permalink