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Brasilien - Weltmeister bei Sozialkontrasten

Elend wie in Haiti und Uganda
--von Klaus Hart, Rio de Janeiro--
"Sklavenarbeit und hochmoderner Flugzeugbau, Regionen wie in der Ersten und in der Dritten Welt, wie in Afrika und Mitteleuropa - Brasilien hat alles gleichzeitig", betont Carlos Lopes, Chef der UNO-Mission in Brasilia. Kurz vor dem Weltsozialforum von Porto Alegre las er der Regierung des Tropenlandes, aber auch den Eliten der immerhin zwölftgrößten Wirtschaftsnation kräftig die Leviten.

Wer in Rio de Janeiros Hauptbahnhof „Central do Brasil“ in den Zug steige, passiere Wohnviertel mit einem Lebensniveau wie in Belgien – und lande kurz darauf an der Slumperipherie, mit gravierenden Zuständen, einem Grad menschlicher Entwicklung so niedrig wie in Swasiland. „Gemäß unserer neuen Studie ist Brasilien tatsächlich Weltmeister in sozialer Ungleichheit“, so der 45-jährige, aus Guinea-Bissau stammende Lopes. Besonders beunruhigend sei, daß sich die Kontraste zwischen Reich und Arm erst nach der Militärdiktatur, in zwanzig Jahren Demokratie, verschärft hätten. „Demokratie darf doch keine Ungleichheit produzieren!“ Die UNO-Mission habe jetzt dreizehn Misere-Regionen von der vierfachen Größe Deutschlands identifiziert, in denen sich Brasiliens Sozialprobleme konzentrierten. „Dort leben immerhin 26 Millionen Menschen.“ Extremes Elend sieht Lopes jedoch nicht nur in stark unterentwickelten Zonen des Nordostens, die Sozialindikatoren wie in Haiti oder Uganda aufweisen. In der Stadt Manari beispielsweise, mit 13500 Bewohnern, können achtzig Prozent der Erwachsenen nicht lesen und schreiben, gehen die Leute keine drei Jahre zur Schule, liegt das mittlere „Einkommen“ der meist sehr kinderreichen Familien bei umgerechnet nur zwanzig Euro. Größtenteils stammt das Geld aus Hungerhilfen der Regierung, die jedoch lediglich an rund 1800 Familien gezahlt werden. Oft nur ein Almosen: Maria Leda da Silva hat neun Kinder – sie erhält monatlich achteinhalb Euro. Gerade in großen Städten, wirtschaftlich reichen Metropolen wie Rio de Janeiro und Sao Paulo, so der renommierte Brasilienexperte Lopes, verschlimmere sich die Misere. Und weil dort viel mehr Menschen lebten als im Hinterland, seien die Sozialprobleme sogar größer. Die UNO bestätigt damit Angaben der Bischofskonferenz. „Hunger und Misere“, so ihr Präsident, Kardinal Geraldo Majella Agnelo, „gab es immer in Brasilien – doch nie waren sie so sichtbar wie heute, sah man soviel Elend in den Straßen.“ Laut Majella trägt dafür die neoliberale Wirtschafts-und Sozialpolitik der Regierung die Schuld – nötig seien „radikale Änderungen“.
Ebenso wie die Kirche weist UNO-Missionschef Lopes auf den ganzen Kontext sozioökonomischer Rechte. „Und da wird die Demokratie eben Opfer einer Situation, in der die Leute zwar votieren, an Wahlen teilnehmen, aber keinerlei Einfluß auf das politische System haben. Vertiefung der Demokratie muß in Brasilien heißen, stärker gegen gesellschaftliche, rassische Diskriminierung zu kämpfen.“ Schwarze und Mischlinge lebten in der größten Misere, würden am meisten benachteiligt. Siebzig Prozent der Verelendeten seien Schwarze. Nicht erst unter der Regierung von Luis Inacio Lula da Silva, sondern bereits unter seinem Vorgänger Fernando Henrique Cardoso wurden erstmals nennenswerte Programme zur Hunger- und Elendsbekämpfung gestartet. Der Brasilienexperte lobt sie ausdrücklich. „In den letzten Jahren hat man so hohe Mittel aufgewendet wie nie zuvor. Doch selbst wenn Brasilien insgesamt vorankommt, wird der Abstand zwischen den Ärmsten und den Reichsten nicht geringer, wächst die Ungleichheit sogar weiter.“ Denn leider seien die Sozialprogramme sehr uneffizient, bilde die hohe Korruption einen großen Hemmschuh. „Andere Länder setzen viel weniger Prozent des Bruttosozialprodukts, viel weniger Mittel für Soziales ein – und erreichen dennoch viel bessere Resultate!“ Armut dürfe indessen nicht nur am Einkommen gemessen werden, sondern bedeute auch, viel weniger Bürgerrechte zu haben. „Es fehlt ein echter Rechtsstaat, ein schnelleres, flexibleres Justizsystem. In Brasilien kommt doch nur eine kleine Elite in den Genuß der Rechte.“
All die Sozialkontraste haben laut UNO zu einer „Kultur der Gewalt“ geführt. „Allein durch Feuerwaffen“, so Lopes,“werden jährlich vierzigtausend Menschen getötet – das ist wie Krieg.“

Klaus | 27.01.05 18:59 | Permalink