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Interview mit Bert Papenfuß

... zum Nichtverhalten der Künstler und Intellektuellen bezüglich der Montagsdemonstrationen gegen die Agenda 2010

Interview mit Bert Papenfuß
(Autor, Redakteur der Zeitschrift Gegner)

In der DDR, insbesondere im Herbst 89 haben
Intellektuelle und Künstler immer wieder
Kritik an den herrschenden Verhältnissen geübt.
Warum melden sich heute so wenige in
Sachen Sozialabbau, Agenda 2010 und den
Montagsdemos zu Wort?

Heutzutage sind Intellektuelle und Künstler entweder
in den Kulturbetrieb, der ein Markt ist,
integriert, und somit saniert bzw. halbsaniert,
oder aber ausgeschlossen, deklassiert und
untergebuttert. Die Sanierten fürchten um ihre
Pöstchen und Pfründe, sie meinen, sie hätten
etwas zu verlieren und opportunieren vor sich
hin. Die Untergebutterten haben zwar nichts
zu verlieren, raffen sich aber nicht zu solidarischen
Aktionen auf, weil sie ihre persönlichen
materiellen und ideellen Probleme in Trab bzw.
Depression halten. Bis auf Ausnahmen.
Die durchgreifenden kapitalistischen Tugenden
Geiz, Neid und Eifersucht verhindern hier
wie dort emanzipatorisches Engagement. Bis
die Ausnahmen Regel werden.

Du hast durch Deine Arbeit viel mit jungen Musikern
und Autoren zu tun. Wie schätzt Du die
Stimmung unter ihnen ein?

Die jungen Künstler, mit denen ich zu tun habe
und zu tun haben möchte, sind im positiven
Sinne desillusioniert und eigenverantwortlich.
Sie schlagen sich irgendwie durch, um ihre
Lebenshaltungskosten zu bestreiten, und verwirklichen
sich in antistaatlichen Zusammenhängen.
Kunst wird weniger ver- und gekauft
als ausgetauscht. Konsequenterweise ist ein
neuer Samisdat entstanden. Ideenreichtum
fördert die Aufbruchsstimmung. Wenn jemand
allerdings unter den heutigen Umständen
von seiner Kunst, seinem Denken, leben will,
muß er bereit sein, seinen Arsch bzw. Kopf zu
verkaufen. Das jedoch nehmen nur wenige in
Kauf, die meisten bemühen sich um die Veränderung
der Umstände. Leider in vereinzelten
Zusammenhängen, die es nun zu vernetzen
gilt.

Bisher ging man immer von einer gegenseitigen
Befruchtung, einem Austausch zwischen
Gesellschaft und Künstler aus. Hat sich in den
letzten Jahren daran etwas geändert?

Der Austausch zwischen Gesellschaft und
Künstlern findet entweder in permanenter
Auseinandersetzung, oder, forciert durch revolutionäre
Situationen oder deren Vorformen
(Krisen), statt. Künstler neigen nicht per se zu
radikalen Haltungen, Gärung ist oft ambivalent.
In den letzten Jahren brillieren sie vorwiegend
mit Schmuddelkram und anderem massenmedienkompatiblem
Spektakel, und ziehen allerlei
Unwillen, Hohn und Spott auf sich. Dieser Prozeß
ist durchaus gewollt, er zielt darauf ab, die
gegenseitige Entfremdung zu beschleunigen.
Wo allerdings zugeschissen wird, muß man
auch zurückscheißen – um mal den saloppen
Ton der aktuellen Medienkompatibilität zu verhohnepiepeln

Was können Künstler und Intellektuelle in der
aktuellen Auseinandersetzung bewirken?

Künstler und Intellektuelle können Zeichen
setzen, indem sie sich den kommerziellen und
staatskonformen Medien entziehen, Verlage
und andere Institutionen boykottieren. Ein
„Kunststreik“ hingegen wäre sinnlos, würde lediglich
als eine weitere „Kunstaktion“ gewertet.
Künstlerischer und intellektueller Populismus
ist ebenfalls ungeeignet, würde als Anbiederung
begriffen. Eine linke, radikale, zornige
Auseinandersetzung mit sozialen Mißständen
kann die Entfremdung zwischen der Gesellschaft
und „ihren Künstlern und Intellektuellen“
beseitigen. Im Gegensatz hierzu sind extreme,
haßerfüllte, und somit rechte, Positionierungen
selbstverständlich zu bekämpfen. Gemeinsame
Aktionen fördern das Verständnis füreinander.

Quelle: telegraph Sonderausgabe #2
http://www.telegraph.ostbuero.de/aktuell.htm

A.S.H. | 20.09.04 12:07 | Permalink

Kommentare

"Heutzutage sind Intellektuelle und Künstler entweder in den Kulturbetrieb, der ein Markt ist, integriert, und somit saniert bzw. halbsaniert, oder aber ausgeschlossen, deklassiert und untergebuttert."
< sprich entweder 'verbürgert' oder 'entbürgert' - aber auch diese immer wieder von einigen künstlern selbst re-aktualisierte haltung ist ergebnis Ihrer selbstauratisierung, scheint es. ein jeder künstler oder intellektuelle wählt sich seinen eigenen traditionsrahmen, in den er sich stellt, um an ihm zu arbeiten. entweder setzt er sich folgerichtig mit den vergangenheiten sozial engagierter oder zumindest weniger desinteressierter kunst und literatur auseinander oder verbleibt auf seiner dahindriftenden eisscholle des mißverstandenen genies - in der autoisolation oder dispersion der 'individuellen' anpassung (in der das trugbild des individuell-genialen zumeist mündet).

erst aus einem solchen totalrückzug - sei sie nun werkgebunden (thematisch, künstlerisch) oder räumlich im sozialverhalten des einzelnen - entsteht für den zurückgezogenen der eindruck des "es lohnt sich sowieso nicht", aus der heraus gerne die leere angesungen wird.

im übrigen ist das gerede vom heute nachlassenden politischen interesse bei künstlern und schriftstellern mumpitz. die desolat-isolierten-
desillusionierten sind, geht man mit offenen augen durch die straßen, kaum in der überzahl.

Verfasst von: studiopa janzerboom | 08.07.07 23:19

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