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Lula und Haiti

Brasilien führt Haiti-Friedenstruppe – gegen heftigen Protest sogar aus der brasilianischen Kirche
„Keine Friedensmission – sondern Intervention unter US-Hegemonie“

--von Klaus Hart, Rio de Janeiro --

Brasiliens Staatschef Lula rühmt die Truppenentsendung nach Haiti als international anerkannten Beitrag für den Frieden auf der Welt – doch von zahlreichen prominenten Brasilianern, vielen Kongreßabgeordneten seiner eigenen Arbeiterpartei(PT) sowie Würdenträgern der katholischen Kirche wird seine Entscheidung als schwerer politischer Fehler verurteilt.

„Wir können nicht akzeptieren, daß brasilianische Einheiten an einer Okkupation teilnehmen“, warnten sie Lula in einem Manifest bereits lange vor der Einschiffung der 1200 Soldaten des Tropenlandes. Die bereits auf Haiti stationierten Soldaten aus den USA, Kanada, Frankreich und Chile seien Interventionstruppen, die eine Marionettenregierung installiert hätten. Die Bush-Regierung wolle in der Region grenzenlose Hegemonie – was durch die Haiti-Intervention nur noch unterstützt werde. Deutliche Worte an den „Excelentissimo Senhor Presidente da Republica, Luis Inacio Lula da Silva“, der, wie viele meinten, ein solches Manifest noch vor mehreren Jahren, als Führer der wichtigsten Oppositionspartei Brasiliens, sicherlich mit unterschrieben hätte. Besondere Aufmerksamkeit findet, daß unter den Erstunterzeichnern auch Bischof Demetrio Valentino, Sozialexperte der Bischofskonferenz CNBB, Bischof Tomas Balduino, Präsident der die Landlosen unterstützenden Bodenpastoral CPT, sowie Pfarrer Luiz Bassegio ist, der die katholische Aktion „Aufschrei der Ausgeschlossenen des Kontinents“ koordiniert. Sie und andere Geistliche engagierten sich in der nationalen Protestkampagne gegen eine Entsendung brasilianischen Truppen – indessen vergeblich. Auf Druck von Großmächten wie den USA und Frankreich, wie die Manifestunterzeichner fest überzeugt sind, übernahm Brasilien mit General Augusto Pereira Anfang Juni sogar das Kommando der bislang von den USA geführten Haiti-Truppen.
--Schlimme Erinnerungen—
Die Bischöfe Valentino und Balduino verhehlen ihre Enttäuschung nicht – für sie weckt das alles schlimme Erinnerungen. Denn 1965 war das damalige brasilianische Militärregime den US-Truppen in der Dominikanischen Republik zu Hilfe gekommen, als der rechtmäßig gewählte Präsident Juan Bosch gestürzt und eine diktatorische Regierung eingesetzt worden war. „Wir verurteilen diesen Putsch von 1965 – doch jetzt hilft Brasilien mit beim Putsch in Haiti, gegen Präsident Aristide!“, kritisiert Balduino, „der Sturz von Aristide, ein illegaler Akt, wird damit nachträglich auch durch Brasilien legitimiert. Die USA haben ihr Vorgehen in Lateinamerika seit den 60er Jahren nicht geändert, intervenierten hundertfach, befürworten immer wieder solche Staatsstreiche. Auch hinter den Vorgängen in Venezuela stecken die USA, um die gewählte Regierung von Präsident Hugo Chavez zu beseitigen.“
--Lula-Regierung will Sitz im UNO-Sicherheitsrat—
Hinter Lulas unerwarteter Entscheidung, auch da sind sich alle Manifestunterzeichner sicher, steckt in Wahrheit politisches Kalkül. Brasilia bemüht sich seit Jahren um einen ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat – der sei, so Bischof Balduino, von den USA jetzt als Gegenleistung für die brasilianische Truppenentsendung in Aussicht gestellt worden. „Doch die selben USA kamen der legalen Regierung von Aristide keineswegs zu Hilfe - welcher viele Fehler machte, doch bereits dabei war, sie zu korrigieren. Die Truppenentsendung nach Haiti kann man nicht Friedensmission nennen.“
Wenn die brasilianische Regierung hinter einem Sicherheitsratssitz her ist, so Bischof Valentino ironisch, müsse sie in solchen Situationen wie jetzt in Haiti natürlich aktiv werden. „Doch es ist eine Intervention, gegen alle Prinzipien, die Brasilien stets verteidigte – und damals in der Dominikanischen Republik hat sie den Brasilianern nur die Antipathie der dortigen Bevölkerung eingebracht – bis heute mag man uns dort nicht.“ In Haiti drohe dasselbe. Daß die Leute dort von der Friedenstruppe sehr enttäuscht sein könnten, nennen selbst brasilianische Generalstäbler gegenüber den Landesmedien ein großes Risiko. Bischof Valentino sieht Parallelen zum US-Truppeneinsatz im Irak und in Afghanistan. „Die USA spielen sich als Richter in Weltangelegenheiten auf, mit dem Auftrag, für Ordnung in der Welt zu sorgen – in Wahrheit aber gemäß den eigenen Interessen. Einem Land, das sich in internationalen Angelegenheiten über die UNO hinwegsetzt, sollte man jedoch niemals vertrauen.“
Bischof Balduino lobt ausdrücklich die humanitäre Hilfe Kubas in Haiti:“Kuba entsandte über dreihundert Ärzte, betreut bereits drei Viertel der Bevölkerung, schickte tonnenweise Medikamente, kümmert sich um Schulbildung. Das ist beispielhafte humanitäre Hilfe – die führt zum Frieden.“
--mehr Gewalt-Tote in Brasilien als in Haiti—
Haiti ist hier – Lula weiß das, doch will es ignorieren - steht jetzt täglich in den brasilianischen Zeitungen – Politiker prangern den unerklärten Bürgerkrieg in Brasilien selber an, mit weit mehr Opfern als in Haiti – oder im Irak. Nicht zufällig hat Samba-Star Jorge Aragao auf seiner neuesten CD den Hit "O Iraque è aqui" - der Irak ist hier. „Brasilianische Truppen müssen unser Territorium befrieden, nicht das anderer Länder“, schreibt der auflagenstarke „O Globo“ in Rio de Janeiro. Der Kongreßabgeordnete Fernando Gabeira, der einst Brasiliens Grüne Partei mitgründete, erst unlängst wegen Lulas neoliberalem Kurs aus der Arbeiterpartei austrat, schlug sogar dem Justizminister Thomaz Bastos vor, die für den Haiti-Einsatz vorgesehenen Gelder besser in den Kampf gegen die Gewalt in Rio zu investieren:“Die Bush-Regierung arbeitete ernsthaft darauf hin, Aristide zu stürzen. Doch Haiti ist hier – die Gewalt in Rio hat mehr Tote gefordert als die politischen Unruhen in dem Karibikstaat.“
Bischof Balduino argumentiert ähnlich:„Wir haben weit schärfere soziale Auseinandersetzungen in Brasilien als unser Brudervolk in Haiti. Die Misere in Brasilien nimmt zu. Unsere Fundamentalkritik an der Lula-Regierung ist deren Option für den Markt, für das Kapital – das genießt Priorität. Um die Schulden zurückzuzahlen, wird vom Sozialen weggenommen. Und das auf Exporte in die Erste Welt orientierte Agrobusiness schädigt die Agrarreform, fördert die Gewalt im Hinterland, zerstört, vergiftet die Natur.“ Nur logisch, daß solche Argumente auch in der lächerlich oberflächlichen deutschen Mainstream-Berichterstattung über die UNCTAD-Konferenz in Sao Paulo unterdrückt wurden. Großgrundbesitzer, die sogar noch Sklaven beschäftigen, den Farmarbeitern absurd niedrige Löhne zahlen, daher weit kostengünstiger als beispielsweise deutsche Landwirte produzieren, wollen profitabel Nahrungsmittel massenhaft nach Europa exportieren – daß immer noch Brasilianer vor Hunger verrecken, hat das auch von der Lula-Regierung gehätschelte „Agronegocio“ noch nie gestört.

Klaus | 27.08.04 03:01 | Permalink