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Brasilien feiert Diktator, Hitlerverehrer und Judenhasser Getulio Vargas

Brasilien feiert Diktator, Hitlerverehrer und Judenhasser Getulio Vargas
Neuer Spielfilm verfälscht Olga Benarios Lebensgeschichte

--von Klaus Hart, Rio de Janeiro--

In Lateinamerikas größter Demokratie geschieht derzeit politisch und zeitgeschichtlich Außergewöhnliches: Die Nation feiert schon seit Monaten das Andenken des Diktators und notorischen Judenhassers Getulio Vargas, dessen Todestag sich im August zum fünfzigsten Male jährte.

Zeitgleich kam in die Kinos ein brasilianischer Spielfilm über die deutsche Jüdin und linksgerichtete Vargas-Gegnerin Olga Benario, die der Diktator an Hitlerdeutschland auslieferte, wo man sie 1942 in der Gaskammer des KZs Bernburg umbrachte. Der Film ist ein Publikumserfolg, betreibt indessen nach Ansicht von Historikern Geschichtsfälschung, weil er Olga Benario verkitscht und entpolitisierend darstellt, den Diktator Vargas sogar reinwäscht.
Präsident Getulio Vargas – Mann des Volkes, Vater der Armen, der Arbeiter, größter Staatsmann in der brasilianischen Geschichte, Förderer der Industrialisierung, Patriot – so wird der Diktator derzeit in den brasilianischen Medien, auf Festakten, bei der Einweihung neuer Denkmäler, eines großen Memorials in Rio de Janeiro und gar eines Mausoleums, entworfen von Stararchitekt Oscar Niemeyer, glorifiziert. Beinahe wie zu Lebzeiten, zelebriert von seinem Propagandaministerium. Landesweit tragen längst ungezählte Straßen und Avenidas, und auch das wichtigste Wirtschaftsforschungsinstitut, seinen Namen. Und man spielt wieder die vielen, Getulio Vargas gewidmeten Sambas – alles Lob und Hudel. Denn jenes Bild von Brasilien als Land von Samba, Karneval und Fußball, Rassendemokratie und moderner Architektur wurde unter Vargas produziert. Zahlreiche Politiker nennen sich seine Erben. Aber ist denn Vargas, seine Regierung, nicht gleichzeitig mitschuldig an der Judenvernichtung, hat der Diktator, Repräsentant der Eliten und Oligarchien, denn nicht Adolf Hitler selbst im Auftreten, im Führungsstil regelrecht kopiert, trägt denn nicht Brasilien bis heute schwer am faschistischen Vargas-Erbe?
“Dieser Teil der Geschichte wird vergessen, unterdrückt, zensiert – da türmen sich Barrieren auf“, betont die angesehene Historikerin Maria Luiza Tucci Carneiro von Brasiliens größter Bundesuniversität in Sao Paulo, Vargas – und Antisemitismus-Expertin, mit zahlreichen Buchveröffentlichungen. „Vargas hielt engste Beziehungen zu Nazideutschland, kooperierte mit der Gestapo, die seine politische Polizei ausbildete, trainierte. Man redet heute nicht über jene Geheimdekrete, mit denen Vargas Einreisevisa für bedrohte, verfolgte Juden verbot – der sichere Tod für viele von ihnen in den Konzentrationslagern. Allein für Deutschland habe ich bisher über fünftausend abgelehnte Visaanträge dokumentiert – und es sind noch viel mehr! Auch polnischen, österreichischen Juden wurde die Einreise verweigert. Man redet heute nicht über die Mitverantwortung Brasiliens an der Judenvernichtung. Und nicht nur Olga Benario wurde ja deportiert, viele andere Jüdinnen ebenfalls.Vargas förderte die Ausbreitung der NSDAP in Brasilien, ließ Nazi-Instrukteure ins Land, die auch an den deutschen Schulen indoktrinierten.“
Und nicht zufällig werde es unter Vargas Mode, Söhnen den amtlichen Vornamen Hitler zu geben. „Die Bewunderung für Hitler, den Nazismus, das Dritte Reich war groß. Es gibt anonyme Briefe nicht deutschstämmiger Brasilianer, welche nach Brasilien geflohene Juden denunzierten. Während des gesamten Zweiten Weltkriegs war die Aversion gegen Juden in Brasilien groß.“
Grausamste Folter, politische Gefangene, Schüsse auf protestierende Studenten, Gleichschaltung der Medien durch Vargas, ein „Tag der Rasse“ - selbst der Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich wird von ihm als Anbruch einer neuen Ära groß gefeiert.
--Juden – „gefährliche Subjekte“—
1930 kommt Vargas durch einen Putsch an die Macht – doch wie die Historikerin Carneiro belegte, gab es bereits ab 1922 antisemitische Regierungsdokumente gegen eine jüdische Einwanderung. Juden werden als „gefährliche Subjekte“ definiert, brasilianische Diplomaten in Europa argumentieren stets radikal antisemitistisch, empfehlen der Regierung, die Pforten für Juden zu schließen. Ab 1933 betreibt Vargas bereits eine starke Annäherung an Hitlerdeutschland, gleichzeitig nimmt die Repression gegen linksgerichtete Juden zu, werden die jüdischen Gemeinden immer stärker überwacht. Zwischen 1935 und 1938 kann die Vargas-Expertin Carneiro allein für den Teilstaat Sao Paulo zweiunddreißig Fälle von Juden nachweisen, die als „unerwünschte Elemente“ aus dem Land mußten, nach Deutschland, Litauen, Rußland, Rumänien zurückkehrten – wo sich ihre Spur verliert. „Oft geschah die Ausweisung unter Vorwänden, lag gar kein politisches Delikt vor, nannte man sie gefährliche Agitatoren gegen den Staat. Die von Vargas gesteuerte Presse, die politische Polizei beschrieb die Frauen stets als `gefährliche jüdische Terroristen aus Moskau, oder Moskauer Emissäre`.“
1936 das erste Geheimdekret gegen jüdische Einwanderung. Viele brasilianische Juden versuchten ihre Verwandten aus Deutschland nachzuholen, doch Visa wurden stets abgelehnt. „Man weiß, daß solche Antragsteller in Deutschland daraufhin verhaftet wurden, im KZ endeten. Brasilianische Diplomaten wie Jorge Latour beschrieben in ihren Berichten an die Vargas-Regierung die Juden in dem von der Wehrmacht besetzten Polen als abstoßende Figuren.“
Erst 1942 bricht Diktator Vargas mit Nazideutschland, um nicht auf der Verliererseite zu stehen – auch unter dem Druck der USA. Brasilien schickt noch ein Expeditionskorps auf den Kriegsschauplatz nach Italien. 1945 wird Vargas durch einen seiner wichtigsten Köpfe, den germanophilen Marschall Eurico Dutra ersetzt - Kriegsverbrecher, hohe Funktionäre Hitlers finden nun auch in Brasilien geradezu massenhaft Unterschlupf. Historikerin Carneiro stöbert ein Geheimdekret auf, durch das Präsident Dutra immerhin noch 1949, vier Jahre nach Kriegsende, ebenfalls Einreisevisa für Juden verbieten läßt. Das offizielle Argument: Es handele sich um Überlebende der KZs, also psychisch gestörte Leute, an denen Brasilien kein Interesse haben könne. In einer offiziellen Zeitschrift „begründen“ unter anderem Mediziner, welche Gefahren Brasilien durch solche Einwanderer entstünden. Zum Chef der Einwanderungsbehörde macht die Dutra-Regierung bezeichnenderweise jenen Diplomaten Jorge Latour, der polnische, italienische Juden stets am übelsten verunglimpft hatte. Ein weiteres interessantes Detail: Während des Zweiten Weltkriegs gingen zahlreiche Deutsch-Brasilianer ins Reich zurück, um in der Wehrmacht, SS mitzukämpfen. Ihre brasilianische Staatsbürgerschaft gaben sie auf. Nach dem Krieg wollten sie gerne nach Brasilien zurückkehren, baten die brasilianische Regierung untertänigst wieder um die Staatsbürgerschaft. „Die ließ man bevorzugt rein, erleichterte die Rückkehr – doch die Juden, Opfer der Nazis, die wollte man nicht!“ 1950 kommt
Vargas durch bürgerliche Wahlen erneut an die Macht, regiert mit demokratischer Maske, begeht 1954 Selbstmord. Fünfzig Jahre später wird er immer noch glorifiziert. „Das stellt die demokratischen Prinzipien der brasilianischen Nation in Zweifel. Wir haben heute eine Krise der Werte und politischen Grundsätze in Brasilien, eine Stärkung autoritärer Prinzipien – was sich an diesen Vargas-Feiern deutlich zeigt.“ Nach Filinto Müller, dem berüchtigten Chef und Oberfolterer der politischen Polizei von Vargas, sind in Brasilien Schulen, Plätze, Straßen und sogar ein Plenarsaal im Nationalkongreß benannt.
--„Schwäche der Demokratie als Vargas-Erbe“—
Mit Hilfe des Propagandaministeriums und seines brasilianischen Goebbels hatte man seinerzeit, wie im Falle Hitlers, ein offizielles, manipuliertes Vargas – Image konstruiert. „Daß man heute neue Denkmäler, ein Memorial in Rio einweiht, zeigt, wie lebendig die offizielle Geschichtsschreibung, das manipulierte Vargas-Bild noch ist. Als Vargas-Erbe haben wir bis heute eine Schwäche der Demokratie, eine verzögerte Demokratisierung. Konservatives Denken in den politischen Eliten. Ich sehe heute noch Reste dieses Autoritarismus in der brasilianischen Politik. Wenn beispielsweise die Lula-Regierung einen Rat zur Medienregulierung schaffen will.“
Autoritarismus nur in der Politik? Joao Ricardo Dornelles, Soziologe an der Katholischen Universität Rio de Janeiro, bezeichnet den in den menschlichen Beziehungen der brasilianischen Gesellschaft tiefverwurzelten Autoritarismus als wichtige Ursache, gar den Hauptgrund für die hohe Gewaltrate in dem Macholand. Autoritär-rücksichtsloses Alltagsverhalten ist Regel, nicht Ausnahme.
Aber Getulio Vargas wird doch immer wieder wegen des von ihm eingeführten Arbeitsrechts, wegen sozialer Verbesserungen gerühmt? Historikerin Carneiro widerspricht. „Die Arbeitsgesetzgebung war weitgehend wirkungslos, wir haben keine bessere Einkommensverteilung, die sozialen Kontraste blieben scharf.“
1979, während der Militärdiktatur, sagte ein großer Gewerkschaftsführer Brasiliens:“Hitler irrte zwar, hatte aber etwas, das ich an einem Manne bewundere – dieses Feuer, sich einzubringen, um etwas zu erreichen...Was ich bewundere, ist die Veranlagung, Bereitschaft, die Kraft, die Hingabe.“ Historikern Carneiro nennt diese Äußerung schockierend. Der Gewerkschaftsführer war Luis Inacio Lula da Silva – heute ist er Staatschef.
--„linke“ Vargas-Glorifizierer—
Und noch heute bleibt ein Teil der Polizeiarchive über die Vargas-Ära geheim, beispielsweise in Rio de Janeiro „Weil Personen verwickelt sind, die noch leben – also Folterer, Amtsträger des Vargas-Regimes. Man will die historische Verantwortung dieser Leute gering halten. Auch das erklärt die derzeitige Vargas-Glorifizierung.“
Leonel Brizola, populistischer Führer der Demokratischen Arbeitspartei (PDT), war einer dieser Vargas-Glorifizierer, nannte den Diktator stets seinen politischen Mentor. Bis zu seinem Tode vor wenigen Monaten war Brizola Vizepräsident der Sozialistischen Internationale, bezeichnete Willy Brandt stets als seinen persönlichen Freund. Die PDT beruft sich weiter auf Vargas.
Zu allem paßt der neue Streifen über Olga Benario, der sicherlich auch in die deutschen Kinos kommt. “Ein entpolitisierter Film, der Erinnerung, Geschichte auslöschen soll. Der autoritäre Kontext, die engen Beziehungen von Vargas zu Nazideutschland werden nicht gezeigt. Man lenkt den Blick der Brasilianer ab auf die Liebesbeziehung zwischen Olga Benario und Luis Carlos Prestes. Der Film unterwirft sich der offiziellen Geschichtsschreibung, stärkt just in diesem Moment das gängige Vargas-Bild, das durch den Film nicht angekratzt wird.“
Aber hätte man deshalb nicht eine Reaktion der Lula-Regierung, ihr nahestehender Intellektueller erwarten können? „Es gibt kein politisches Interesse, diese Seite der Geschichte aufzuarbeiten, der Vergessenheit zu entreißen, man sieht dafür keine Notwendigkeit. Politische Schritte zugunsten von Bewußtseinsbildung bleiben aus. Doch ein Land ohne historisches Erinnerungsvermögen hat keine Identität! Da Geschichtsbewußtsein fehlt, haben die Historiker jetzt eine noch größere Verantwortung, über die Vargas-Diktatur aufzuklären.“
Historikerin Carneiro tut an der Bundesuniversität von Sao Paulo, was sie kann, forscht teils auf eigene Kosten, gründete mit Gleichgesinnten ein Studienzentrum über Intoleranz. „Wir wollen die jungen Studenten über den Holocaust informieren, der Bevölkerung mit Ausstellungen, Büchern zeigen, wie es unter Vargas wirklich war. In ganz Brasilien müssen endlich die Archive der Diktatur, der Repression geöffnet werden. Nur in Sao Paulo besteht freier Zugang.“
--manipulierender Spielfilm über Olga Benario—
Da Brasiliens führender Medienkonzern Globo an Produktion und Vertrieb des Olga-Benario-Films beteiligt ist, läuft die Werbung auf Hochtouren, die Kinos sind voll. Nur hier und da in wenig gelesenen Qualitätszeitungen ein paar Kritiken gegen den Trend: Globo-Regisseur Jaime Monjardim wird vorgeworfen, lediglich eine Seifenoper, nach Art seiner TV-Serien, verbrochen zu haben, die erzählerische Armseligkeit sei direkt skandalös, der Stoff, selbst die erbitterte Vargas-Gegnerin Olga Benario, entpolitisiert. Eine brutale Simplifizierung der Personen, der Geschichte. Der Streifen könne als Musterbeispiel für manipulierendes Kino dienen, das dem Zuschauer weder die Freiheit des Sehens noch des Denkens lasse.
Olga Benarios Tochter Anita Prestes, in einem Berliner Gefängnis geboren, ist Geschichtsprofessorin an der Bundesuniversität von Rio de Janeiro, lehnt derzeit jede Meinungsäußerung, jedes Interview zu dem Film ab. Er machte sie sprachlos, ließ sie entsetzt, wird von ihr abgelehnt, wie aus ihrem Freundeskreis verlautete.
Für Anita Prestes ist bitter, was mit dem Andenken ihrer Mutter nach dem Machtwechsel in Ostdeutschland am Ort der Ermordung geschah. Der im Osten nach dem Anschluß geförderte Neonazismus ist ihr ebenfalls nicht entgangen. „Sogar in Bernburg haben sie den Namen Olgas von einer Schule entfernt, ein Mahnmal ebenfalls.“
Wer sich unter geschichtsbewußten, progressiv eingestellten Brasilianern umhört, bekommt zum Film stets sehr ähnliche Antworten: Eine Seifenoper, die suggeriere, daß Olga Benario besser die Finger von der Politik hätte lassen sollen, denn die typische Frauenrolle, als Liebhaberin, Weibchen, Mutter stehe ihr doch viel besser zu Gesicht. Olga Benarios politisches Engagement als Antifaschistin erscheine sinnlos, dilletantisch wie das von Prestes - eine Spinnerei, der völlig falsche Weg, zum Scheitern verurteilt. „Lider“ Vargas dagegen ein großer, vernünftiger Präsident, der dem Land den inneren Frieden erhalten wollte.
„Nur zu oft in der Geschichte feiert man die falschen Helden – nicht nur in Brasilien“, kommentiert Maria Luiza Tucci Carneiro.

Klaus | 30.08.04 18:58 | Permalink