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Banditen

Österreichischer Diplomat: Slumprojekt in Rio von Drogenbossen kontrolliert, Slumbewohner deren Geiseln

von Klaus Hart, Rio de Janeiro

Europäische Institutionen und NGO drücken sich gewöhnlich um das Eingeständnis, daß ihre Projekte in Rio de Janeiro und anderen brasilianischen Millionenstädten das Okay der Banditenmilizen des global vernetzten organisierten Verbrechens brauchen, man zu den hochgerüsteten Gangsterkommandos notgedrungen ständigen Kontakt hält.

Spender, Sponsoren könnten unangenehme Fragen stellen – auch an jene mit Menschenrechtsfragen befaßten Politiker, die ebenfalls lieber schweigen. Mit dem österreichischen Generalkonsul in Rio, Rudolf Lenhart, hat jetzt zum ersten Mal ein ausländischer Diplomat auf diese unbequeme, auch von deutschen Medien gerne unterschlagene Tatsache der Banditenherrschaft, des Banditenterrors hingewiesen. Anläßlich der Einweihung eines vierstöckigen Medien-und Kulturzentrums, das die Bauhaus-Stiftung in Dessau entworfen hatte, bestätigte Lenhart, daß in Jacarezinho Jugendliche mit Maschinenpistolen patrouillieren, massiv harte Drogen verkaufen, sogar direkt vor dem neuen Gebäude. Alles auch von der Lula-Regierung hingenommen.
Warum, so könnten Deutsche und Österreicher fragen, garantiert der brasilianische Staat nicht Sicherheit, Demokratie, Menschenrechte der meist dunkelhäutigen Slumbewohner, postiert beispielsweise Polizeibeamte, Militär vor dem Medien-und Kulturzentrum, bricht nicht generell die Parallelmacht der Verbrechersyndikate? Mit Mpis bewaffnete schießwütige Drogengangster-Kommandos vor Kultureinrichtungen in Deutschland oder Österreich - man stelle sich dies einmal vor.
Generalkonsul Lenhart erläutert, wie aus seiner Sicht die Abstimmung mit den Banditenmilizen funktioniert. “Es gibt eine Favelagemeinschaft, die praktisch wie ein Gemeinderat fungiert - sie muß die Verbindungen, leider ist es so, zu den Drogenbanden herstellen und die Genehmigung für alle Arbeiten da drinnen einholen.“ Helena Horn, Kuratorin für internationale Kunstausstellungen in Berlin:“Die Stadt Rio de Janeiro ist auf die Zustimmung der einzelnen Bewohner und ihrer Selbstverwaltung, sowie anderer Interessengruppen, zu denen in Jacarezinho auch kriminelle Banden zählen, angewiesen.“ Generalkonsul Lenhart:“Und diese Drogenbanden stellen vielleicht sechs Prozent dieser Favelabevölkerung dar.“
Das hieße für Jacarezinho – immerhin rund sechstausend teils mit nordamerikanischen, deutschen, österreichischen Maschinenpistolen, selbst Handgranaten ausgerüstete Gangster – eine kleine Armee, allein in dieser Favela von Rio. Bei rund zwei Millionen Favela-Bewohnern der Zuckerhutmetropole – etwa hundertzwanzigtausend Banditen. In einem Land mit zwanzig Millionen Waffen aller Kaliber in Privat – bzw. Gangsterhand, selbst laut amtlichen Schätzungen.
„Der Rest der Bewohner von Jacarezinho“, so Generalkonsul Lenhart, „sind anständige Leute - in einer Art Geiselhaft dieser Drogenbanden. Es ist Tatsache, daß diese Drogenbanden da drinnen das Sagen haben, daß eigentlich in der Favela keine staatliche Macht existiert. Drogenbosse, Drogenbanden gibt es in allen Favelas von Rio. Leider muß man sagen, daß oft die Polizei, vorsichtig ausgedrückt, mit den Drogenbanden gemeinsames Spiel macht. Denn die Polizisten leben ja in dieser Szene, sind oft selbst Bewohner von Armenvierteln, müssen sich dort, wie man so schön sagt, arrangieren.“
Der Diplomat hat angesichts dieser Rahmenbedingungen keine Illusionen über mögliche Wirkungen des Medien-und Informationszentrums:“Der Versuch mit dieser Kultureinrichtung ist sozusagen ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein. Man muß versuchen, dieser Bevölkerung dort zu helfen, ihr zeigen, daß man sie nicht einfach diesen Drogenbanden überläßt. Man muß dieser Jugend Alternativen bieten. Falls nichts geschieht, werden die jungen Leute, die von kleinauf diese Drogenbanden sehen, in dieses Milieu abwandern.“
Lenhart weist auf persönliche Initiativen: „Die Idee, eine Favela von innen her auf baulichem und kulturellem Gebiet lebenswert zu machen, finde ich phantastisch, habe mich daran beteiligt. Habe österreichische Künstler in Jacarezinho auftreten lassen – drinnen in der Favela gab es das erste Klavierkonzert einer österreichischen Pianistin. Sehr viele Jugendliche hörten zu – und wenn man nur einige dazu bringt, ihr Leben anders zu gestalten, nicht zu einer Drogenbande zu gehen, sondern vielleicht Klavierspielen zu lernen, eine Videoausbildung zu machen, hat man vielleicht einen kleinen Schritt in die Zukunft getan. Die Stadtverwaltung und ich haben erreicht, daß sich die Elektronik-Messe Ars Electronica für das Projekt interessiert, künftig in dem bislang noch leeren Gebäude Kurse abgehalten werden. Jugendliche aus der Favela sollen eine lokale Fernsehstation aufbauen, sollen dort Videos produzieren, die dann eventuell auch in Österreich gezeigt werden. Denn in Jacarezinho hat man derzeit noch nicht viel Kontakt mit dieser elektronischen Welt, mit dem Computer. Zudem beteilige ich mich an einem Projekt der Angestellten des österreichischen Außenministeriums, bezahle drei Jugendlichen die Computerausbildung – sie werden daraufhin andere junge Leute der Favela unterrichten.
Ein richtiges Rezept zur Lösung des Favelaproblems ist aber bisher nicht gefunden worden.“
Der Diplomat wendet sich dagegen, Rio de Janeiro immer nur auf die berühmten Strandviertel zu reduzieren, den weit größeren Rest des Stadtgebiets mit seinen Miserezonen aber auszuklammern auszublenden. „Man sollte in Österreich nicht sagen, was geht uns das an – wir fahren nur nach Rio, um an der Copacabana spazierenzugehen. Man sollte auch in weit entfernten Ländern beim Lösen von Problemen mithelfen – damit man diese nicht irgendwann einmal vor der eigenen Türe findet...“

Lektüre: Klaus Hart "Würde ich die Realität so schildern wie sie ist, könnte man das gar nicht publizieren." Vom Alltag in brasilianischen Favelas
In:FavelaMetropolis, Berichte und Projekte aus Rio de Janeiro und Sao Paulo, August 2004, 175 Seiten, Birkhäuser-Verlag für Architektur, Basel - Boston - Berlin, Hg.Elisabeth Blum, Peter Neitzke

Klaus | 25.08.04 13:41 | Permalink