« BOBBY SANDS STREET, Teheran, Iran. | Hauptseite | Freiheit für Dmitrij Rjabinin! »

AUF DER SUCHE NACH DEM DICKEN CHINESEN

(Ein Reisebericht nach Bagdad von Alexander Krohn)

Ich wäre gern grundlos gefahren. Instinktiv und aus innerer Überzeugung heraus grundlos. Registrierte aber schnell, daß ich mich einer Flut von Vorwürfen aussetzen würde, die mich (obwohl ich mehr und mehr merkte, daß sich nach und nach Gründe auftaten, gegen die ich mich allerdings sträubte) fast k r a m p f h a f t nach einem Grund suchen ließ. Insgeheim erinnerte ich mich, daß Martin, ein deutscher Journalist, den ich kennen und mögen gelernt hatte, berichtete, er hätte einen dicken Chinesen getroffen, der nur als T o u r i s t da war. Burroughs, dachte ich, ging auf die Suche nach Yage. Als ich Fayez ansprach, rief er nur: Go!

Zwei Tage mußte ich warten, am dritten Tag fand sich eine Gelegenheit. Wir fuhren gegen Mitternacht los, nach etwa vier Stunden erreichten wir die Grenze. Der Fahrer war alt, hatte entzündete Augen, roch und spendierte Tee. Er sprach kein Englisch. Etwas unruhig war ich, da ich keinen unterrichtet hatte und Fayez befahl, eventuelle Anrufer anzulügen. Er fuhr schleichend, verpaßte Abfahrten und fuhr meist auf der falschen Seite. Ost-Jordanien war schön. Hügelig-wellig. Karge Wüste. Schwarzer Himmel, Sterne.

An der Grenze ging es schnell. Im Morgengrauen zeigte ein Schild 550 km an. Die Fahrt war, wenn ich nicht gerade schlief, wild. Kaum 20 Kilometer, ohne das etwas passierte: die halbe Fahrbahn gesperrt, Hubschrauber auf der Autobahn, zwei Amerikaner über einem am Boden liegenden; Straßensperren durch irakische Bullen, die Gewehre im Anschlag; ein provisorisches Gefängnis oder Militärlager, stacheldrahtumzäunt, schwarz verhüllte Shia-Frauen in Warteschlange; oder rechterhand ein Einsatz: ein sichernder GI im Reisfeld, ein Trupp tritt in ein Haus; oder Kolonnen von Jeeps mit aufmontierten MGs, das erste zielt nach vorn, das letzte nach hinten.

Martin sagte, ein Monat Bagdad und man hätte – journalistisch betrachtet – ausgesorgt. Zugegeben: Ekel war auch ein Grund. Desweiteren Engel. Viele dubiose Presseleute, Geschäftsmänner, Sozialarbeiter getroffen in den letzten Monaten, aber auch Engel: selbstlos, schwebend, reich – z. B. Fayez. Irgendwann hielten wir an einer Tankstelle, großer, schmutziger Saal, häßliche Blicke, zerknülltes Brot in Tomatensoße. Ein schönes Bild, aber kaum hungrig.

Baghdad schien wie Vietnam im Fernsehen. Hubschrauber beinahe in Steinwurfhöhe und permanent. Smog. Staub. Chaos. Viele Palmen. Im Taxi fühlte ich mich unwohl, es trennt wohl doch noch die Stände – weiß, allein auf der Rückbank, im Stau – ich wäre lieber gelaufen. Das Hotel, das Fayez mir empfohlen hatte, war voll. Ich wußte nicht, wo ich war, mein Fahrer (dessen Gesicht, Gestik und Geruch ich mochte) wollte auf einmal das doppelte; ich war schlecht vorbereitet, hatte eine ungünstige grüne Weste an, ungünstige Plastik-Cowboy-Stiefel, ungünstige israelische Schekel, wußte aber exakt, was ich wollte: und fand ein Hotel.

Saddam hatten sie gefangen, ich hielt das für einen Witz, überall wurde in die Luft geschossen (einmal ging ich zu Boden). Starke Abneigung gegen Katastrophen-Freaks (leider nie einen getroffen, hätte mich interessiert), sowie starke Abneigung gegen jene, die alles ihnen nicht nachvollziehbare als pervers bezeichnen, waren, zugegeben, auch zwei Gründe.

Während der Schüsse hinauszugehen, empfehle sich nicht, wurde mir an der Rezeption gesagt. Nach einer Weile ging ich aber doch, Schüsse machen mir, wie ich feststellte, gute Laune und die Agonie in Berlin ist nicht zu ertragen: so äußert sich das. Außerdem wollte ich zum Tigris, Martin meinte, man könne dort Bier trinken, auch hätte er mit dem dicken Chinesen dort immer zu Abend gegessen. (Nun war das allerdings im August oder September gewesen, jetzt war Dezember, aber ich dachte mir, einer, der so dick ist wie der dicke Chinese, der kann es nicht eilig haben.)

Leider gab es nur Fisch, den ich, obwohl er sehr schmackhaft aussah – man legte ihn, vermutlich selbst geangelt, einfach aufs Feuer, auf die Glut – nicht aß. Auf dem Rückweg lief ich mit eingezogenem Kopf, denn leider hatte mich meine, in Palästina konstant anwesende Lebensunlust oder präziser: -gültigkeit oder noch präziser: -lust aus unerklärlichem Grunde plötzlich und unangenehmerweise verlassen, zumal: so ein Krieg produziert bzw. ermuntert ja auch lauter Schwachköpfe und Irre einfach in der Gegend rumzuballern, nur so.

Am nächsten Tag lief ich früh los nach links, also Nordwesten, und unterhielt mich, obwohl ich gerne wortkarg bin, mit so ziemlich jedem Blödmann, wenngleich auch mit gutherzigen Wesen – die meisten waren allerdings (entgegen meiner anderen Erfahrungen) eher abweisend. Vorbei lief ich an stark bewachten Tankstellen und Amtsgebäuden, am Sheraton Hotel, am Palestine Hotel, fragte mich auch, warum Leute dort eigentlich freiwillig einziehen, aber Journalisten sind oft gar nicht so klug, wie ich mittlerweile herausgefunden hatte, und Raketen sind auch nur Blitze die vom Himmel kommen und das Höchste suchen; mein Hotel war mir, um ehrlich zu sein, schon zu hoch.

Die erste Brücke jedenfalls links ging ich, eine deutsche Brücke übrigens, die mir ein 73-jähriger Rasierschaumverkäufer empfahl, da er sie mit Hilfe deutscher Ingenieure und Bauarbeiter selbst gebaut hatte. Der, da er angeblich nicht Mitglied der Bath-Partei war, keine Rente bekam und also arbeiten mußte, und weiterhin erzählte, wie Saddams Anhänger während der Bombardements, die sein Haus komplett zerstörten und seine Tochter töteten, mit Panzerfäusten auf offener Straße in den Himmel zielten, aber alle (wie er sagte) dabei starben und deren Kadaver während der Bombenpausen in den Straßengräben verscharrt wurden. Die Brücke war, wie Deutsche oft sind und bauen: solide, zuverlässig, langweilig.

Am anderen Ufer erwartete mich ein rauchendes Ministerium, schwarz verkohlt, Papiere flogen aus den scheibenlosen Fenstern, unten rannte ein armer Büttel, der gegen den strengen Wind versuchte, sie wieder einzusammeln, eins flog direkt in meine Hosentasche. Einen Filmstreifen fand ich auch. Weiter ging es an zerstörten Regierungsgebäuden vorbei, an jeder Ecke standen amerikanische Panzer mit auffallend jungen Soldaten in Bereitschaft. Hier und da trank ich eine Kola, mied sie, da lebensgefährlich und rufschädigend, wie ich denke, und jeder weiß.
Traf Saddam-Hasser und Saddam-Anhänger, wobei letztere grundsätzlich gröber schienen.

Lief dann hoch bis zur Haifa Straße, beeindruckende orientalisch-futuristische Neubau-Gegenden entlang und überquerte rechts die vierte Brücke Richtung Medan Square, Rashid Straße. Stritt mich mit einem Teenager, der mir nicht glauben wollte, daß sein Motorrad aus Deutschland kam (obwohl auf dem Tankdeckel groß und breit MZ stand) und latschte die gesamte Strecke wieder zum Hotel zurück.

Baghdad ist eine bezaubernde, traurigerweise von der Atmosphäre und Architektur her enorm friedfertige Stadt, welche aus Palmengesäumten Straßen, magisch bunten Moscheen und lehm-braunen Häusern besteht, wie man zumindest westlich davon im Mittleren Osten keinesgleichen findet. Den dicken Chinesen habe ich nicht getroffen.

natter | 02.02.04 18:48 | Permalink