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Die große asiatische Ölschlacht des 21. Jahrhunderts

Laut New York Times braut sich im Osten etwas zusammen:

Japan und China streiten sich um Russlands Öl und Gasvorräte
von James Brooke (deutsche Übersetzung zmag)

VOSTOCHNY (Russland) – Bis jetzt gibt es am Kap Krylova nicht viel zu sehen: ein Stück Land zwischen der russischen Taiga und dem japanischen Meer, dessen Erde von einem knallgelben Bulldozer umgegraben wird. Aber was hier passieren wird, wird entscheidend sein, für einen zugespitzten Konflikt zwischen den beiden wichtigsten Volkswirtschaften in Asien: zwischen dem führenden Japan und seinem herannahenden Herausforderer China.

Beide Länder brauchen Rohstoffe, vor allem Energie. Japan, weil es fast keine eigenen besitzt, China, weil dessen ökonomischer Aufschwung die ehemals ausreichenden eigenen Vorräte schnell hat schwinden lassen. Beide wollen ihre Abhängigkeit von Öllieferungen aus weit entfernten, politisch instabilen Regionen, wie dem Mittleren Osten, zurückschrauben. Und beide sehen in den kaum angetasteten Energievorräten des weitläufigen, leeren Ostens von Russland eine attraktive Alternative. Für eine Pipeline, die das Öl aus den abgelegenen ostsibirischen Ölfeldern, die Russland nun bereit ist anzuzapfen, zu den Märkten transportiert, müssen Milliarden ausgegeben werden. Japan und China kämpfen erbittert darum, wo diese Pipeline hinführen wird: in den industriellen Nordosten von China, oder zu dem Stück russischer Küste, wo ein neuer Tiefsee-Öl-Terminal nur eine Tanker - Tagesfahrt von Japan entfernt sein wird.

Die Wahl, die Russland treffen muss, wird das politische und wirtschaftliche Kräftespiel von Nordostasien für viele Jahre prägen. „Die Chinesen werden sehr aufgebracht sein, falls die Russen ihnen die Pipeline nicht zusprechen“, erklärte Graham Hutchings, ein Asienspezialist der britischen Beratungsfirma Oxford Analytica. Keiner glaubt, dass es das letzte Mal ist, dass Japan und China sich im Kampf um die Rohstoffe, die sie beide brauchen, in die Quere kommen.

China verhandelt seit einem Jahrzehnt mit Russland über das sibirische Öl, und der Bedarf ist größer und aktueller denn je. Denn China ist auf dem besten Weg Japan nächstes Jahr als den zweitgrößten Ölverbraucher weltweit abzulösen und die Führung, die Vereinigten Staaten, um 2030 zu überholen, wenn es seinen aktuellen Bedarf verfünffacht. Energieengpässe plagen das Land; diesen Herbst und Winter kam es bisher in 21 Provinzen zu Rationierungen und Ausfällen, das sind doppelt so viele wie letztes Jahr. Eine russisch – chinesische Pipeline wäre, laut chinesischen Regierungsvertretern, eine natürliche Nord – Süd Heirat zwischen Asiens größtem Ölexporteur und Asiens zukünftigen größten Ölimporteur.

Japan, dessen Nachfrage nach Öl aufgrund von Wachstumsschwächen und einem Wandel weg von der verarbeitenden Industrie, langsam zurückgeht, kam erst später zu den Verhandlungen hinzu, und legte vor einem Jahr erstmals einen ernsthaften Alternativvorschlag vor. Doch es hat sein Angebot seitdem stetig versüßt, während die Finanzierung des chinesischen Vorschlags unklar bleibt. Die Japaner bieten inzwischen 5 Mia. für den Bau der Pipeline und weitere 2 Mia. für die Erschließung der Ölfelder, während sie gleichzeitig in Aussicht stellen, dass eine Pipeline zum japanischen Meer auch Ölexporte nach Amerika abwickeln könnte.

Die Rivalität um die Pipeline bietet einen Vorgeschmack auf weitere Konflikte, denn China versucht sich auf aggressive Weise Zugang zu den Rohstoffen zu sichern, die es benötigt, um seine Fabrik für den Rest der Welt in Gang zu halten. In diesem Zuge finanziert China Kupfer- und Kohleminen in der Mongolei, baut eine weitere Pipeline in Kasachstan, verhandelt über den Abbau von Gas in Turkmenistan, kauft Gasfelder und unterschreibt langfristige Lieferverträge in Australien und Indonesien und versorgt sich mit Stahl aus Südkorea.

Bei den von der Industrie benötigten Rohstoffen wie Kohle, Kupfer und Eisenerz war bisher die größte Auswirkung auf den Markt zu spüren. Viele dieser Industrien, haben, nach einer langen Phase rückläufiger Entwicklung begonnen wieder zu wachsen, seit die japanische, taiwanesische und südkoreanische Industrie mit China um Lieferungen konkurriert und damit die Preise in die Höhe treibt. Doch was das Öl angeht, so ringen Japan und China um mehr als nur die Preise.

„Wir stehen kurz davor in ein Zeitalter einzutreten, in dem Japan und China sich um das Öl raufen werden,“ schrieb Yoichi Funabashi, Kolumnist für internationale Angelegenheiten bei der japanischen Zeitung Asahi Shimbun kürzlich. „China handelt und Japan reagiert. Zur Zeit verlieren wir das Rennen um die Ölvorräte.“

In der Eile beim Abbau des sibirischen Öls einen Fuß in die Tür zu bekommen, haben die Japaner keineswegs die ungünstige diplomatische Tatsache vergessen, dass Japan und Russland nach dem zweiten Weltkrieg nie einen Friedensvertrag unterzeichnet haben. Jahrzehntelang war der Hauptstreitpunkt die japanischen Forderungen nach vier Inseln der Kurilenkette , nördlich von Hokkaido, die sowjetische Truppen im Herbst 1945 erobert haben.

„Sichere Energiequellen, verschiedene Energiequellen, Energie aus Gegenden jenseits des japanischen Meeres, das ist wichtig genug, um die Inseln der Kurilenkette auf der Prioritätenliste unten an zu stellen,“ erklärte Stephen O’Sullivan, Leiter für Öl- und Gasforschung bei UFG, einer in Moskau ansässigen Investment Bank.

Die Japaner haben sich entschieden, die Inselfrage separat zu behandeln und so die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland unbeeinträchtigt zu lassen. „Keiner will die Inseln mit dem Pipeline Projekt in Verbindung bringen. Dieses Thema wird bewusst beiseite gelassen,“ bestätigte Vladimir I. Ivanov, ein russischer Ökonom, telefonisch aus Niigata (Japan), wo er regionale Energieprobleme untersucht.

In Moskau behaupten Befürworter der Pipeline nach China, dass wechselseitige ökonomische Beziehungen zwischen Russland und China, nach dem Modell von Kanada und den Vereinigten Staaten, Vorteile für die Stabilität der Region brächten. Ähnliche Gründe halfen schon einmal ein 17 Milliarden – US Dollar – Projekt voranzutreiben, das den Bau einer 3055 Meilen langen Gas Pipeline von Ostsibirien nach China und Südkorea zum Ziel hatte. Das Projekt fand im November erste Zustimmung.

Der unersättliche Appetit der Chinesen auf Energie entfacht außerdem das Konkurrenzdenken bei Japans konservativen Elektrizitätsversorgungsunternehmen, die sich bisher nur sehr langsam neuen Entwicklungs­vorhaben zuwanden. So hat Exxon Mobile jahrelang mit wenig Erfolg versucht die japanischen Energieversorgungs­unternehmen für eine 1 200 Meilen lange Gas Pipeline von ihren Gasfeldern auf der Insel Sakhalin (Russland) nach Tokio, zu interessieren. Doch das Interesse lebte plötzlich auf, als Exxon Mobile öffentlich bekannt geben ließ, dass das Unternehmen über eine alternative 1 000 Meilen lange Pipeline nach Harbin (China) nachdachte. China hat auch die Nase vorn, was Abkommen über die Lieferung von flüssigem Erdgas aus Indonesien und Australien angeht, wo auch Japan Gas kauft. „Japan Inc. denkt es gäbe kein Versorgungsproblem und der nächste Bus würde in einer Minute kommen, während China Bushaltestellen baut,“ erklärte Mister O’Sullivan.

Die Arbeit des knallgelben Bulldozers wird nicht umsonst sein, egal wofür Moskau sich entscheidet. Das Krylova Kap ist am östlichen Ende der Transsibirischen Eisenbahnstrecke. Nächstes Jahr wird die Arbeit an den Ölbohrtürmen ernsthaft beginnen, geplant sind, dass jeden Tag 140 000 Barrel den Hafen nach Japan oder sonst wo per Eisenbahn erreichen.

„Das Krylova Kap ist ein guter Platz,“ behauptete Viktor S. Gnedzilov, Bürgermeister von Nakhodka, der Gemeinde, die das Kap und dessen Hafen verwaltet, in einem Interview. „Wir haben die Eisenbahn. Die Landungsbrücken können bis zu einem Kilometer verlängert werden. Wir hoffen, dass bis zu 300 000 Tonnen schwere Frachter hier anlegen können. Arbeitsplätze, Firmen, wirtschaftliche Entwicklung und ausländische Investoren - das alles wäre ein enormer Gewinn für Nakhodka .“ In Russlands wenig besiedeltem fernen Osten wird die japanische Pipeline als Gegengewicht zu China gesehen, einem Partner dem die Russen mit einigen Befürchtungen gegenüberstehen.

„Viele Leute hier glauben, dass die Japaner berechenbarer sind,“ sagte Alexei Kabanchenko, ein Regierungssprecher aus Nakhodka, einem slawischen Außenposten, in dem an den Reklamewänden zu lesen ist: „Russland beginnt hier.“ Viele russische Politiker, inklusive Präsident Vladimir V. Putin haben ebenfalls festgestellt, dass Russland wirtschaftlich an Einfluss gewinnen würde, wenn das ostsibirische Öl auf dem Weltmarkt verkauft würde, statt an nur einen Abnehmer, nämlich an China, zu gehen. „Wir haben bei einer Gaspipeline in die Türkei eine grausame Lektion gelernt,“ sagte Viktor V. Gorchakov, Vizepräsident für regionale Wirtschaftsbeziehungen in Vladivostok, der Hauptstadt der Region. „Sobald die Pipeline gebaut einmal gebaut war,“ sagte er, „haben sich die Türken nicht mehr an frühere Abkommen gehalten. Sie haben zu uns gesagt: ‚Wir brauchen kein Gas, senkt die Preise‘. Einmal kann man das mit uns machen, aber kein zweites Mal.“

Die Chinesen ihrerseits behaupten, dass die Russen, die Gefahr eingehen ihre Zukunft an einen verblassenden/ schwächer werdenden Partner zu binden, falls sie Japan auswählen. Sie sind frustriert, dass über die Frage bisher noch nicht entschieden wurde.

Yang Bojiang, Leiter der nordostasiatischen Studien am chinesischen Institut für aktuelle internationale Beziehungen erklärte kürzlich auf einem Besuch in Tokio: „Uns ist diese Pipeline wirklich sehr wichtig.“ „Als wir das erste Mal mit ihnen sprachen, dachte ich sie meinen es ernst,“ sagte Mister Yang über die russischen Verhandlungspartner. „ Jetzt denke ich, dass sie wahrscheinlich eher ein Spiel spielen. Und die Japaner haben versprochen mehr zu zahlen.“

Letzten Mai, nach einem Besuch in Russland, bei dem Präsident Hu Jintao und Mister Putin eine amtliche Verlautbarung unterzeichneten, in dem die chinesische Route befürwortet wurde, glaubten die Chinesen, sie hätten die Pipeline sicher. Bei dem gleichen Besuch unterschrieb ein staatseigener chinesischer Ölkonzern einen 20 Jahresvertrag über 150 Milliarden US-Dollar mit Yukos, Russlands größtem Ölkonzern, in dem Yukos versprach China ab 2005 mit 400 000 Barrel, und ab 2010 mit 600 000 Barrel Öl pro Tag zu versorgen. Die staatliche russische Eisenbahngesellschaft gab außerdem kürzlich bekannt, dass sie plant, ihre Kapazität für den Öltransport nach China zu versechsfachen.

Doch China verlor einen wichtigen Fürsprecher, als Mikhail B. Khordorkovsky, der Hauptgeschäftsführer von Yukos, am 25. Oktober wegen Steuerhinterziehung und Betrug verhaftet wurde. Jetzt scheint es so, als ob der Wind Richtung Japan wehen würde: die regionalen Gouverneure im russischen Osten setzen sich stark für die japanische Route ein. Mister Putins Vertreter in der Region, Konstantin Pulikovsky, bevorzugt diese Alternative so stark, dass er sich sogar einmal einen „Botschafter Japans“ nannte. Trotzdem könnte die Frage am Ende von wirtschaftlichen und nicht politischen Argumente entschieden werden. Die von Yukos vorgeschlagene chinesische Route wäre kürzer, schneller und billiger: 1 400 Meilen, ca. 2,8 Milliarden US-Dollar und 7 Jahre Bauzeit, verglichen mit 2 300 Meilen, ca. 5,8 Milliarden US-Dollar und 10 Jahren Bauzeit für die Pipeline nach Japan.

Die japanische Pipeline jedoch wäre leistungsfähiger, sie könnte bis zu einer Million Barrel, statt nur 600 000 pro Tag transportieren, doch viele Russen, angefangen bei Präsident Putin fragen sich, ob in Ostsibirien genug Öl gefördert werden kann, um sie zu füllen. Befürworter meinen, der Bau der Pipeline würde es möglich machen, neue Ölfelder zu erforschen und zu erschließen, die angeblich östlich des Baikalsees liegen sollen, jedoch in der Vergangenheit nicht rentabel genug waren um weiter zu untersucht zu werden - vorausgesetzt, dass Fortschritte in der Ölförderung, Verarbeitung und Technologie gemacht werden. Trotz einer starken Rolle der Nationalisten bei den Parlamentswahlen am 7. Dezember, ermutigt der Energieminister Igor Yosufov zur Zusammenarbeit mit japanischen Unternehmen, um östliche Ölreserven zu erforschen, die bisher eher als wahrscheinlich, nicht als sicher gelten. Die Bestätigung ihres Potentials würde die Vorteile der Pipeline zum japanischen Meer verstärken. Jedoch würden enttäuschende Ergebnisse die kürzere Pipeline nach China als einzige sinnvolle Alternative bestehen lassen.

Die Russen müssen ihre Ölexporte verstärken, um Präsident Putins Versprechen, die Wirtschaft des Landes in diesem Jahrzehnt zu verdoppeln, einhalten zu können. Sie produzieren jetzt schon wesentlich mehr Öl, als sie selbst brauchen; durch Engpässe in Exportpipelines, die nun komplett ausgelastet werden, wurde der inländische Markt überschwemmt und so die Preise in Russland bis auf ca. 4,50 US-Dollar pro Barrel gedrückt, das ist gerade ein Siebtel des Weltmarktpreises. Transneft, die das staatliche Monopol über die Pipelines besitzen, arbeiten am Ausbau der Exportkapazitäten zu Häfen an der Ostsee und am Weißen Meer. Was den Osten angeht, so sind alle Augen auf Mister Putin und seine Wahl über die Route der Pipeline gerichtet, während China und Japan beide versuchen, seine Entscheidung zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Aus einem relativ neutralen Blickwinkel betrachtet, hat Thomas U. Berger, ein Universitätsprofessor für internationale Beziehungen aus Boston, bei einem Besuch in Tokio festgestellt. „Dies ist die große asiatische Ölschlacht des 21. Jahrhunderts.“ (erschienen in der New York Times am 03.01.2004)

A.S.H. | 19.01.04 12:10 | Permalink