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Der Traum ist aus!

von Dietmar Wolf

Vor 25 Jahren wurden die besetzten Häuser in der Mainzer Straße geräumt
Vorveröffentlichung aus im Dezember 2015 erscheinenden telegraph Nr. 131_132

„Nach der Anarchie ist der erste Akt des neuen Deutschlands, Utopie zu zerschlagen. Und zwar mit massiver militärischer Gewalt.“ (Thomas Heise)


Foto: Die Mainzer Straße am 4. Juni 1990; wikimedia, Renate Hildebrandt. This file is licensed under the Creative Commons Attribution 3.0 Unported license.

Die Tage und Nächte vom 12. zum 14. November 1990 markieren den Anfang vom Ende der zweiten großen HausbesetzerInnenbewegung in Berlin. Als sich ein im Laufe der Auseinandersetzungen auf 4.000 Köpfe anwachsendes Polizeiaufgebot, abgesichert durch Tränengas und Wasserwerfer, auf den Weg nach Berlin-Friedrichshain machte, gab es in den Ostberliner Stadtbezirken Prenzlauer Berg, Mitte, Friedrichshain und Lichtenberg zirka 200 besetzte Häuser. Westberlin hatte in Kreuzberg ihrer zwei und eines in Schöneberg. 120 von ihnen hatten sich in einem Gesamtberliner BesetzerInnenrat zusammengeschlossen und über das sogenannte Vertragsgremium Verhandlungen (wenn auch erfolglos) mit dem Ostberliner Magistrat, und später auch dem Westberliner Senat, geführt. Allen voran, meist federführend, nicht selten ausgesprochen dominant und immer auch einen Tick zu vorlaut, agierten dabei die Häuser der Mainzer Straße. Und das verständlicherweise nicht gerade zur Freude der BewohnerInnen der anderen besetzten Häuser in der ehemaligen Hauptstadt der DDR, die im November 1990 vor wenigen Wochen wieder gesamtdeutsche geworden war.

Letztendlich aber und ungeachtet aller Kritik an der Mainzer Straße, verhielten sich die BewohnerInnen aller Häuser während und auch nach der Räumung hundertprozentig solidarisch. Viele gehörten zu den VerteidigerInnen und UnterstützerInnen, und nach der Räumung bekamen die BewohnerInnen der Mainzer Straße Asyl in anderen Häusern. So zog zum Beispiel nach der Räumung das Tuntenhaus in die Prenzlauer Berger Kastanienallee 86, wo es sich noch heute im hinteren Flügel befindet. Der Schriftzug am Vorderhaus – „Kapitalismus normiert, zerstört, tötet“ – geriet zum mittlerweile legendären Fotomotiv. Die BewohnerInnen der Mainzer Straße 24 wurden Teil des besetzten Hauses in der Linienstraße 206, Stadtbezirk Mitte. Ein Großteil der MainzerInnen zog in ein ehemals besetztes Haus in der Reichenberger Straße in Kreuzberg. Auch in der benachbarten „Köpi“ in Mitte und in anderen besetzten Häusern kamen viele MainzerInnen unter.

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Bolk | 05.11.15 13:22 | Permalink