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Verdunkelung

Heute, am Vormittag um 10:30 Uhr, gab es einen dreiviertelstündigen Dokumentarfilm im ZDFinfo zum NSU (= "Nationalsozialistischer Untergrund"), Titel: "NSU privat. Innenansichten einer Terrorzelle".
Das Ziel des Films ist, uns zu sagen, was wir über den NSU denken sollen, ganz deutlich wird es uns mit den letzten zwei Sätzen vor dem Abspann mitgeteilt:
"Deutschlands Herrenmenschen-Killer waren Kleinkriminelle, die Kinderpornos sammelten.
Das Ende eines Mythos."
Wobei nicht genau geklärt wird, welcher "Mythos" überhaupt am Ende sei und für wen dieser bestanden haben soll?
Vor Jahren lasen wir in der Uni-Bibliothek die 70er Jahre-Machwerke einiger westdeutscher Gerichts-Psychiater über "die Terroristen". Nach denen waren "die Terroristen" einfach alle Psychopathen, natürlich fanden sie auch zahlreiche Belege und wissenschaftlich-formulierte Begründungen dafür.
Diesem Film geht es nicht um eine Analyse der Gefühle, Gedanken, Motive und Handlungen der NSU-Mitglieder und das In-Bezug-Setzen zu einem zeitlich-räumlichen gesellschaftlichen und politischen Kontext, und deshalb geht es auch nicht um die anderen Beteiligten (der Staat mit Justiz, Polizei, Verfassungsschutz …), sondern um die Pathologisierung des Einzelindividuums bzw. der Gruppe. Und einer der Fachleute vor der Kamera, Ulrich Sollmann, der sich auf der eigenen website als Dipl. rer. soc., also als Diplom-Sozialwissenschaftler, bezeichnet, wird vom ZDF zum Psychologen gemacht, weil es der Psychologisierung dient. Bei Minute 40:49 beschreibt uns Dr. Nahlah Saimeh (Psychiaterin vom Zentrum für Forensische Psychiatrie in Westfalen-Lippe, im Film als "die wohl bekannteste Forensikerin Deutschlands" benannt) die Gedanken und Gefühle der NSU-Täter beim Ausspähen ihrer Opfer:
"Das ist so dieses Gefühl: Ich hab dich schon im Auge, ich weiß was du tust, ich weiß wie du lebst, ich weiß mit wem du umgehst, aber du weißt nicht, daß ich dich beobachte. Also, das hat ein bißchen was von der, von einer gewissen Stalker-Lust, in gewisser Weise, es hat auch was Obsessives. Eine gewisse nachhaltige Begeisterung, sich mit dem Thema zu befassen, darf man den Tätern wohl attestieren." Wir mußten gleich an die vielen Polizistinnen und Polizisten, die vielen Geheimdienstmitarbeiterinnen und Geheimdienstmitarbeiter in den Observationsteams und an den Abhörapparaten und Computern denken, sie sind nach diesem Zirkelschluß von Frau Dr. Saimeh auch alle "in gewisser Weise" Stalker, gehen einer Lust und Obsession nach, wir schlußfolgern im Kontext der Film-Geschichte: sie sind "in gewisser Weise" Psychopathen. Bei Minute 33:05 heißt es: "… Gewalt und Pädophilie, auch im Nazi-Milieu keine Seltenheit. So finden sich bei Beate Zschäpe Hinweise auf extreme Sexual-Neigungen." Sexuelle Gewalt, äh, das ist doch auch in anderen Milieus keine Seltenheit? Uns fällt da immer gleich der "Sachsensumpf" ein. Am Ende der sächsischen Aufklärung der "Organisierten Kriminalität" in Politik, Justiz und Polizei wurden die Opfer der Zwangsprostitution mit Verleumdungsklagen überzogen, die Schuld den fortwirkenden Strukturen der Stasi zugeschoben, Ermittlungsverfahren gegen nachfragende Journalistinnen eröffnet.
Dieser Film ist ein Ärgernis. Security through Obscurity?
Hier könnt Ihr das Ärgern nachholen: https://youtu.be/SkHL33AMuSs

david | 03.06.15 23:49 | Permalink