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Auf dem Pressefest des „Neuen Deutschland“

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Am vorletzten Wochenende (12./13. Juni 2015) fand, wie eigentlich jedes Jahr und so lange ich denken kann, dass ND Pressefest statt. Natürlich nicht, wie in meiner Kindheit und Jugend, im Volkspark Friedrichshain und auch nicht mit NVA-Fahrzeugpark, GST-Schießstand, Frank Schöbel, Karat, Oktoberklub, sowie allumfassender SED-Rotlichtbestrahlung, sondern ganz bescheiden in und vor dem angestammten ND-Gebäude, Franz-Mehring-Platz 1, in Berlin Friedrichshain. Der Besucherzuspruch war, trotz extrem schlechter Wetterbedingungen, recht gut. Glaubt man dem ND fanden 2500 Menschen den Weg zum Fest.

Wir befinden uns im 25sten Jahr der sogenannten deutschen Wiedervereinigung und dem Ende der DDR. So ist es ausgesprochen bemerkenswert, dass ausgerechnet beim ND für das diesjährigen Pressefest ndlive das Motto „Der kurze Sommer der Anarchie 1989/90“ gewählt wurde.

Eigerahmt in ein reichhaltiges Musik- und Kulturprogramm wurde auf diversen Veranstaltungen eben diese Zeit beleuchtet. Neben Politikprominenz wie Gregor Gysi und Friedrich Schorlemmer, gaben sich verschiedenste Zeitzeugen der Wendezeit die Mikrofone in die Hand.

Auch der telegraph war auf dem Fest vertreten. Zum einen mit einem Infostand (auf den wir aber besser hätten verzichten sollen), zum anderen bei einer Podiumsveranstaltung im großen Veranstaltungssaal des ND. Tom Strohschneider hatte uns eingeladen mit ihm über die Linke-DDR-Opposition zu reden und unsere ganz persönliche Sicht der sogenannten „Friedlichen Revolution“ darzulegen. Im nachhinein lässt sich sagen, dass dies recht gut gelungen ist. Der Saal war gut gefüllt, die Leute interessiert und die knapp zwei Stunden schnell vorbei. Allemal kann freudig zur Kenntnis genommen werden, dass der telegraph auch beim ND und seinen Leserinnen und Lesern von Interesse ist und dafür auch nachhaltig sorgen konnte.

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Das dies so ist und das sich das ND-Pressefest vorrangig mit einem Thema befasst, was in der Vergangenheit eher nicht zu den wichtigen und angenehmen der Zeitung gehörte, scheint Ausdruck der inhaltlichen Veränderungen zu sein, die die Zeitung gerade durchmacht. Man kann es als gelernter, aber kritischer, DDR-Bürger gar nicht glauben, dass die Entscheider beim ND beschlossen haben ganz neue Wege zu gehen. Weg vom Image, Verlautbarungsblatt und Redenabdrucker der SED/PDS/Linkspartei zu sein. Hin zu einem Blatt, dass augenscheinlich den Anspruch entwickelt auch jene Teile der progressiven, linken und sozialen Bewegung anzusprechen die sich bewusst unabhängig und jenseits der Parteien- und K-Gruppen-Landschaft bewegen.

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Die Zeitung scheint zunehmend stärker und klarer nach Links zu gehen. Dafür steht vor allem auch der neue Geschäftsführer Tom Strohschneider, der die Zeitung seit drei Jahren neu ausrichtet und die Blickrichtung neu justiert. Und das, so hat es den Anschein, entgegen dem sozialdemokratischen Trend in der Mutter-Partei. Diese hat jedoch weiterhin ihre Hände in der Zeitung. Offensichtlich aber nicht mehr so intensiv wie früher.

Die Neujustierung des ND hat sicher auch ökonomische Gründe. Es ist offensichtlich, dass das akquirieren neuer Leserschichten für die Zeitung zunehmend existenziell wird. Denn wenn es mit dem ND so weiter ginge wie immer, wäre zu vermuten, dass sich ein großer Teil des ND-Abonnentenstammes in den nächsten Jahren weitestgehend auf natürliche Weise verabschieden wird.

So wundert es nicht, dass auch dieses Jahr bei den Besucherinnen und Besuchern des ndlive-Festes eine gewisse Überalterung augenscheinlich war. Das ND-Gebäude trug am Samstag leichte Züge eines Hospizes. Am telegraph-Infostand, eingebettet und doch verloren in einer Ansammlung von Markständen vor und hinter denen sich ein bunter Querschnitt des Politikwahnsinns tummelte, wurde die gelegentlich aufkommende Langeweile mit dem zählen von beigefarbenen Anglerwesten überbrückt.

Alles in allem lässt sich feststellen: Die Zeitung „Neue Deutschland“ entwickelt sich und bietet neuerdings auch Anknüpfungspunkte für die radikale, parteiunabhängige Linke. Wenn es so weiter geht, gibt es vielleicht endlich mal wieder eine linke Tageszeitung die man ohne gemischte Gefühle und Unbehagen abonnieren könnte. Wir werden sehen.

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Bolk | 24.06.15 08:08 | Permalink