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Pegida, die linke Opposition in der DDR und der zeitgenössische Antikommunismus

von Thomas Klein

1. „Viva Pegida“ …?
Der verunsicherte deutsche Kleinbürger geht auf die Straße – eine konservative außerparlamentarische Opposition protestiert gegen das politische Establishment, eine gelenkte „Lügenpresse“ und gegen die vermeintlich drohende „Islamisierung des christlichen Abendlands“ (1). Die Attribute des Protests sind nationalistisch-völkisch, patriotisch und chauvinistisch („Wir sind das Volk – ihr nicht“), kulturalistisch-religiös („Das christliche Abendland singt Weihnachtslieder“) und subkutan rassistisch/fremdenfeindlich.

Der Treibsatz des Protests der sich sozial bedroht fühlenden Wutbürger ist der weltweite terroristische Islamismus. Der Protest verpuppt sich daher als antiislamisch. Hinter dieser Fassade eines antiislamischen Fundamentalismus verstärken sich Tendenzen allgemeiner Fremdenfeindlichkeit und grassierende Ressentiments gegenüber Asylbewerbern, Flüchtlingen und als „undeutsch“ empfundenen Erscheinungen im öffentlichen Raum. Die Ablehnung erstreckt sich (wenn auch nicht offen) ebenfalls auf jene Flüchtlinge, die als Asylbewerber islamischen Glaubens vor dem klerikalfaschistischen Dschihad Zuflucht suchen. In der Breite fußt dieser Protest jedoch auf dem Versuch, Adressaten für die Ableitung ihrer als bedrohlich empfundenen zunehmenden sozialen Unsicherheit auszumachen, wobei sie autoritär-diskriminatorische Stereotype („die da oben machen die falsche Politik“/„Ausländer werden auf unsere Kosten bevorzugt“) bemühen. Neben den verbalen Attacken gegen die Schwächsten unter den sozial Schwachen (die „Ausländer“) ist die Attitüde gegen alles, was „links“ ist oder dafür gehalten wird, in Pegida deutlich ausgeprägt. Die Vereinnahmung der Schüssellosung von 1989 („Wir sind das Volk“) rekurriert schließlich auch darauf, dass es damals gegen die SED ging. Ganz im Sinne der auch „offiziell“ schon lange vereinbarten herrschenden Deutung bezieht man sich auch in Pegida auf die In-Eins-Setzung von SED=links (Linkspartei)=Sozialismus/Kommunismus. Die Anklage gegen die Herrschenden gipfelt dann zuweilen in dem Vorwurf, diese machten auf Kosten des Volkes eine „linke Politik“.

In ihrer allgemeinen politischen Unzufriedenheit und sozialen Verunsicherung artikuliert dieser Wutbürger Enttäuschung über die politische Klasse und ihre „Lügenpresse“, denen man kein Wort mehr glaubt. Die starke Affinität in Pegida zur Alternative einer autoritären Präsidialdiktatur („Putin hilf!“) als Medizin gegen die „volksfremde Regierungsmaffia“ verstärkt deren Offenheit gegenüber der Neuen Rechten. Pegida wird so empfänglich für rechtsradikale und neofaschistische Strömungen, die Pegida infiltrieren, ohne allerdings schon deren Profil dominieren zu können. Die Offensive der Radikalen Rechten gegen „das System“ und „die Überfremdung“ richtet sich auch gegen die EU und gegen die „Weltverschwörung in New York und Washington“. Die Neofaschisten setzen auf einen völkisch-rassereinen deutschen Nationalismus und einen patriotisch gewendeten Kapitalismus und sehen im Strömungsprofil von Pegida zumindest tendenziell ein Mobilisierungspotentzial.
Angesichts dieser rechtsoffenen chauvinistischen Massenbewegung ist die mehrheitlich artikulierte öffentliche Distanzierung folgerichtig und nachvollziehbar: Das liberal-demokratische politische Spektrum in der Bundesrepublik Deutschland und sogar Teile des konservativen Lagers, gemeinhin moderate Kritiker bzw. entschlossene Verteidiger des herbeigeführten politisch-gesellschaftlichen „Normalzustands“ in der Berliner Republik, befürchten dessen Destabilisierung. Die für jenen Normalzustand verantwortliche politische Klasse sieht mehrheitlich ihr politisches Gestaltungsmonopol von rechts in Frage gestellt. Nur eine Minderheit ihres konservativen Flügels (unter anderem die AfD) versucht, Pegida für einen auch von ihr angestrebten autoritären Rechtsruck zu instrumentalisieren. Und dass die schwache politische Linke in Deutschland (moderat oder vermeintlich radikal) die rechtsoffene Pegida-Bewegung massiv angreift, versteht sich fast von selbst.
Nun kann nicht die Rede davon sein, dass die politischen Eliten in Deutschland und anderswo, die Mainstreammedien sowie die Mächtigen der Wirtschafts- und Finanzsektoren mitsamt ihrer TTIP- , CETA- und TISA-Manöver sakrosankt sind – im Gegenteil. Die seit über zwei Jahrzehnten anhaltende neoliberale Neuordnung der Welt, der größte Sozialabbau seit Ende des 2. Weltkriegs nicht allein in Deutschland und die latenten sowie akuten Krisenerscheinungen weltweit haben die Klassen und sozialen Schichten überall dekonstruiert und verunsichert.

Nicht zum ersten Mal in der Geschichte haben solche Krisenkonstellationen zu einem Auftrieb konservativ-reaktionärer und rechtsradikaler Strömungen geführt. Gegenwärtig erleben wir das überall in Europa. Je schwächer oder dogmatischer (bündnisunfähiger) die Linke ist, umso gefährlicher werden solche Strömungen. Auch hier lohnt ein Blick in die Geschichte. Insofern ist es ganz und gar angemessen, wenn eine systemkritische Linke zusammen mit systemkonformen liberalen und sogar mit gemäßigten konservativen Systemapologeten gegen die völkisch-nationalistische Pegida Front machen – und sei es, um mit diesem Druck die weitere Radikalisierung dieser Bewegung zu stoppen oder zu verhindern, dass sie von Rechtsradikalen oder Neonazis „gekapert“ wird. Trotz aller verbalradikaler Angriffe aus der Pegida-Bewegung gegen „das System“, deren „Systemmedien“ und auf die „volksfremde Regierung“ schwebt vielen derer Protagonisten und Mitläufer bloß ein autoritär gewendeter völkischer Kapitalismus vor, der als nationalistischer Fürsorgestaat die bedrohten Privilegien der „Patrioten“ vor „ausländischem Bodensatz“ schützt. Wer tatsächlich ihren gefürchteten sozialen Abstieg herbeiführen könnte, entzieht sich völlig ihrem Einsichtsvermögen.

2. Querfront-Phantasien antikommunistischer Systemwächter
In dieser Situation muss sich nicht allein die Systemkritik von links, sondern auch die Positionierung des liberal-demokratischen Spektrums deutlich vom reaktionären Angriff rechtsoffener völkischer Gegner des politischen Establishments auf Errungenschaften des bürgerlichen Demokratismus unterscheiden. Dabei haben nicht allein die besonders dogmatischen Neostalinisten und pseudomilitante Dumpfbacken innerhalb der ehrenwerten Antifa-Szene Probleme mit einer liberal-demokratischen „Einheitsfront“ unter Einschluss von Linken gegen Pegida: Auch bei verschiedenen IdeologInnen des zeitgenössischen Antikommunismus klingeln die Alarmglocken, wenn sich Linke in der Anti-Pegida verorten – und besonders, wenn diese Linken hier mit eigenen Positionierungen hervortreten. Mitunter wird deren Teilnahme an öffentlichen Distanzierungen von Pegida sogar zum Anlass genommen, solche Linke selbst in den politischen Kontext von Pegida zu rücken. Derartige Konstruktionen sind angesichts der dominanten „Links-Phobie“ der Pegida-Kolonnen keine Kleinigkeit. Doch den Versuch ist es bestimmten Ideologen allemal wert. Als ein Beispiel möge die Wortmeldung des Ex-Maoisten Alan Posener gelten, den sein antikommunistisches Comingout bis in die Gefilde des Springer-Verlags führte, für den er als Autor tätig war: Heute fühlt er sich angesichts Pegida an die 68er Revolte der Studenten erinnert, die damals gegen die Springer-Presse demonstrierten und die USA wegen des Vietnam-Krieges an den Pranger stellten. (2) Um die daraus abgeleitete absurde Querfront-Konstruktion noch plausibler zu machen, fälscht er die internationalistische Neue Linke von 1967/68 als „nationalistisch“ um, damit die Ähnlichkeit zu Pegida noch sinnfälliger werde. Sein kurzes Zögern angesichts des eigenen Blödsinns („Nun mag die Parallele bemüht erscheinen“) wird aber sofort durch sein entschlossenes Bekenntnis abgelöst: „Doch ist die grundsätzliche und grundlose Entfremdung gegenüber dem "System" vergleichbar“. Seine ängstliche Warnung „Nichts wäre verkehrter als nach den "materiellen Ursachen" solcher Bewegungen zu suchen, eine Suche, die man getrost den wenigen noch praktizierenden Marxisten überlassen kann“ offenbart nachdrücklich die schlichte Geisteshaltung dieses geläuterten Ex-68ers. Nie war Antikommunismus billiger zu haben, als bei Posener.

3. „Pegida – Nie wieda!“
Oder doch nicht? Das pure Entsetzen entspringt der Stellungnahme der verbalmilitanten Antikommunistin Vera Lengsfeld, deren Commingout sie von der SED über die Grüne Partei bis in die CDU führte, als deren Kritikerin von rechts sie sich heute profiliert und die allerdings eher den Sympathisantinnen von Pegida zuzurechnen ist. Sie äußerte sich zu einer Erklärung von über 50 Angehörigen aus den meisten oppositionellen Gruppierungen des Herbstes 1989 zu Pegida (3). Nicht etwa Pegida, sondern die Distanzierung der 89er von Pegida provozierte das Entsetzen von Vera Lengsfeld (4). Scharfsinnig verortete sie diesen „Hass-Rap auf das Volk“ als Elaborat, das ein „paar links- oder ultralinksaußen- Mitstreiter der DDR- Opposition ausgekotzt haben“. Auch Vera Lengsfeld fühlt sich wie Posener im Falle der 68er vor allem provoziert von der „törichten Kapitalismus-Kritik“ der 89er. Ärgerlich ist darüber hinaus für sie die Erinnerung an die Alternative dazu, an den 89er Versuch einer freiheitlich-solidarischen-ökologischen Demokratie, was, wie sie höhnisch anmerkt, „das Volk ... schon 1989 nicht so wollte“. Vorwurfsvoll heißt es: „Spätestens an dieser Stelle hätten wenigstens die Redakteure von nicht linksradikalen Zeitungen stutzig werden müssen.“ Stattdessen, so Vera Lengsfeld, werde der Text peinlicherweise auch „von den Qualitätsmedien [verbreitet] und das auch noch im Namen der "DDR- Bürgerrechtler"“. Diese unverhohlene Empfehlung zur Unterdrückung unliebsamer Nachrichten in den „Qualitätsmedien“ steht ganz in der Tradition des SED-Chefideologen Joachim Herrmann, der die Unterdrückung solcher Nachrichten in den DDR-Medien sogar zu einem Kerngeschäft bei ihrer „Qualitätssicherung“ erhob. Vera Lengsfelds Bekenntnis zur Anti-Pegida-Erklärung der 89er: „Nicht in meinem Namen! … Wenn das die Bürgerrechtler sind, will ich keine mehr sein!“ Dazu kann man sie nur beglückwünschen. Sie war es schon lange vor 2015 nicht mehr. Nun ist es ihr endlich aufgefallen.
Was Vera Lengsfeld allerdings übersah: Die „Qualitätsmedien“ vermieden es größtenteils, gerade jene von Vera Lengsfeld inkriminierten Passagen der Anti-Pegida-Erklärung zu verbreiten. Hier kann eher davon die Rede sein, dass die Leitmedien jene 89er-Erklärung instrumentell in ihre Anti-Pegida-Kampagnen einverleibten, ohne jene Passagen zu problematisieren. Das wäre Vera Lengsfeld eigentlich zu honorieren verpflichtet gewesen. Weil sie das nicht erkannte, ist ihr ebenso erstaunter wie vorwurfsvoller Hinweis speziell an die Unterzeichner der 89er Initiative „Vereinigte Linke“, diese würden „in das gleiche Horn blasen wie das Politik-Establishment“, ziemlich kurios.

Sehr viel filigraner arbeitet sich Martin Jander an dem kurzen Weihnachtsgrüß der 89er an die Pegidia ab. (5) Jander wurde bekannt durch seine Feststellung, die politisch-alternativen Gruppen in der DDR seien keine Opposition, sondern höchstens dissident gewesen, weil sie, anstatt für die Herstellung ordentlicher bundesrepublikanischer Verhältnisse in der DDR zu kämpfen, sozialistischen Flausen verhaftet gewesen seien. Tatsächlich war die Oppositionsmehrheit in der DDR der 80er Jahre mit ihrem Bekenntnis zu einem demokratischen freiheitlichen Sozialismus damals den Herrschenden in Ost wie in West unangenehm aufgefallen. Heute interessiert sich Martin Jander weniger für den Inhalt der Anti-Pegida-Erklärung, als für die darin von ihm entdeckten Hinweise auf den mental-politischen Zustand der Verfasser und Unterzeichner, welche er (wie auch Vera Lengsfeld) umstandslos alle als „linke DDR-Bürgerrechtler“ identifiziert. Dies wird übrigens viele Unterzeichner, die heute keineswegs als „links“ rubriziert werden wollen, aber die Erklärung trotzdem unterschrieben, sehr unangenehm berühren. Während Vera Lengsfeld diesen Text noch wahrheitswidrig als von der taz bestellt verortete (was aber eingestandenermaßen eher als Bestandteil ihrer durchweg demagogischen Agitation, denn als Tatsachenbehauptung zu verstehen ist), setzt Jander zutreffend an der provozierenden Anfrage der Wochenzeitung „Die Zeit“ an: „Bürgerrechtler: Warum schweigt ihr?“ (6). In der Antwort in Form des erwähnten Gedichts erkennt Martin Jander aber hauptsächlich eine unabgeschlossene Trauerarbeit der in der „Wende“ gescheiterten linken Herbstrevolutionäre. In seiner Begründung bezieht er sich ebenso wie Vera Lengsfeld auf die dort formulierte Kernkritik am real existierenden Kapitalismus und auf den positiven Bezug auf die Alternative eines freiheitlich-demokratischen Sozialismus. Janders törichte Verteidigungsrede zugunsten dieses Kapitalismus und gegen den (so Jander) „fast schon marxistisch-dogmatisch zu nennende(n) Ansatz der linken DDR-Bürgerrechtler“ beschränkt sich auf den lapidaren Satz „Ob denn Kriege, Hunger und Flüchtlinge wesentlich nur ein Resultat des Kapitalismus sind, hinterfragen die Bürgerrechtler im Eifer des Gefechts nicht“. Damit fällt Jander weit hinter das Einsichtsvermögen selbst bürgerlicher Ökonomen, Politologen und Historiker zurück. Dafür erfährt die knappe Benennung der Ursachen für die weltweiten Friktionen im globalisierten neoliberalen Kapitalismus, welche die Anti-Pegidianer den abendländischen Patrioten entgegenhalten, durch Jander eine besondere Würdigung: Mit ihrem Antikapitalismus wären diese Linken eins mit Erich Honecker, so er denn noch leben würde. Damit beginnt die antikommunistische Gebetsmühle sich wieder zu drehen: Wer als Linker für einen demokratischen Sozialismus gegen den Politbürokratismus des Honecker-Regimes kämpfte, sei in Wirklichkeit dessen Parteigänger gewesen. Wer in der DDR gegen das stalinistische Regime für eine sozialistische Alternative kämpfte, sei in Wirklichkeit auch heute noch DDR-Nostalgiker und insofern den Pegida-Anhängern ähnlicher, als deren Gegner. Denn „Alan Posener bemerkte kürzlich treffend: "In Dresden, scheint es, trauert man der DDR hinterher".“

Jander missbilligt ausdrücklich die Tatsache, dass linken Oppositionellen in der DDR „die Einforderung von Bürger- und Menschenrechten und der Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen … als viel zu wenig (galten)“. Die Behauptung Janders, daher seien Menschen- und Bürgerrechte in deren gesellschaftspolitischen Vorstellungen suspendiert („Menschenrechte? Bürgerrechte? Fehlanzeige!“), verrät dessen profunde Unkenntnis dieser Vorstellungen, was angesichts der vorliegenden Quellen schon demagogisch genannt werden kann. Martin Janders Demagogie erfährt sogar noch eine Steigerung: Er behauptet, dass von „linken Ex-DDR-Bürgerrechtler(n) nur ganz wenige ... nach den Pogromen von Hoyerswerda und Rostock ... die Verteidigung der Rechte angegriffener Menschen ernst genommen haben.“ Diesen Vorwurf macht Jander übrigens nicht nur den Linken, sondern sogar allen DDR-„Bürgerrechtlern“. Hier stellt sich schon nicht mehr die Frage, ob hier Unkenntnis im Spiel ist – dies ist einfach gelogen. Diese Behauptungen verfolgen lediglich den Zweck, die Unterstellung einer vermeintlichen linken Verachtung der Bürger- und Menschenrechte plausibler erscheinen zu lassen: „…wer eine offene, säkulare und multiethnische Demokratie verteidigen will, der muss sie zu allererst auch selber wollen.“ Janders krude Logik: Wer noch mehr wollte, kann schon dies nicht gewollt haben.

Es geht aber noch bizarrer: Jander erkennt in den provokanten Fragen der Anti-Pegidianer an die Adresse der völkischen Demonstranten nach den eigentlichen Verursachern der weltweiten Verwerfungen Ähnlichkeiten zu dem bekannten Brecht-Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters“ von 1935 (nicht – wie Jander meint – von 1939). Brechts Geschichtskritik in Gedichtform fragt nach jenen, die für die Besitzenden schuften und materiell und ideell enteignet ewig namenlos blieben. „Pegida – nie wieda!“ fragt und benennt jedoch umgekehrt, wer bekanntermaßen den angeeigneten Reichtum zum Schaden der Malocher weltweit zerstörerisch verausgabt. Dieser „kleine Unterschied“ interessiert Jander aber ebenso wenig, wie die Botschaft des einen oder des anderen Gedichts. Der eigentliche Sinn seiner rhetorischen Pirouette: Die unterstellte Affinität beider Gedichte verknüpft er mit seiner Behauptung, Brechts Tonfall in diesem Gedicht von 1935 „repräsentiert eine Haltung aus der Zeit des Kalten Krieges“ (??). Dieser Blödsinn erlaubt ihm immerhin den ebenso kontextfreien, wie zutreffenden Hinweis, in der Zeit des Kalten Krieges hätten viele linke Intellektuelle sich kritisch-solidarisch zur DDR verhalten. Ergo: So hätten auch die linken Anti-Pegidianer (wegen jener vermeintlichen Affinität zu dem Brecht´schen Gedicht im Tonfall des Kalten Krieges) neuerlich ihre Verhaftung mit der untergegangenen DDR belegt. Diese „Logik“ ist schon peinlich, zumal Brechts sein Gedicht schon lange vor dem Kalten Krieg der Systemkonkurrenten schrieb. Solche Konstruktionen haben schon Posener´sches Format. Und nebenbei wird außer Brecht noch „der wohl bekannteste linke DDR-Dissident“ und Brecht-Liebhaber Robert Havemann vom Beiratsmitglied der Robert-Havemann-Gesellschaft Martin Jander delegitimiert.

Auffällig ist übrigens, dass neben der „jungen welt“, welcher die linke DDR-Opposition von jeher als trojanisches Pferd des Klassenfeinds galt, auch die Havemann Gesellschaft bis jetzt peinlichst die Erwähnung der Anti-Pegida-Erklärung auf ihrer Webseite vermeidet: Deren positive Erwähnung könnte bei Sichtbarwerdung linker Essentials dieses Textes sich durchaus geschäftsschädigend auswirken. Deren Verriss im Sinne ihres Beirats Martin Jander könnte wiederum die lange Liste der Unterzeichner (unter ihnen auch ein Vorstands- und ein Beiratsmitglied der Gesellschaft) verärgern. Also vermeidet man das gesamte Pegida-Thema am besten vollständig …
So haben also viele Seiten ihre Probleme mit aktuellen Wortmeldungen aus den Reihen der linken DDR-Opposition. Umso wichtiger bleiben solche Wortmeldungen:
Statt völkischem Kapitalismus - internationalistische Kapitalismuskritik
Statt nationalistischem Chauvinismus – weltoffene Toleranz
Statt religiösem Fundamentalismus – säkulare Immanenz, religiöse Koexistenz und Religionskritik
Statt Fremdenfeindlichkeit – Solidarität weltweit mit Flüchtlingen weltweit
Die Profiteure in Deutschland wie in allen Industrienationen müssen endlich den Preis für die Folgen der von ihnen verursachten Ausplünderung, Kriege, Umweltkatastrophen und Fluchtbewegungen in den Krisen- und Zusammenbruchsregionen dieser Welt zahlen. Dazu muss der Gedanke der Einheit von politischen und sozialen Menschenrechten über den verengten Horizont bürgerlicher Menschenrechtsauffassungen hinaus gestärkt werden.

(1) Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes).
(2) Alan Posener - Was Pegida und die 68er gemeinsam haben. Die Welt vom 17.1.2015, http://www.welt.de/debatte/kommentare/article136464723/Was-Pegida-und-die-68er-gemeinsam-haben.html
(3) Pegida – Nie wieda! Weihnachtsgruß von NeunundachtzigerInnen an die Mitläufer der rechten Aufmärsche in Dresden http://www.taz.de/!151748/
(4) Vera Lengsfeld - Nicht in meinem Namen! Die Freie Welt, Internet- und Blogzeitung für die Zivilgesellschaft vom 23. Dezember 2015, siehe auch http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/nicht_in_meinem_namen
(5) Martin Jander - Wer riecht nach dem Provinzmief hinter der Mauer? http://www.publikative.org/2015/01/16/wer-riecht-nach-dem-provinzmief-hinter-der-mauer/
(6) Bürgerrechtler, warum schweigt Ihr? Zeit online am 18.12.2014. http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-12/pegida-offener-brief-buergerrechtler Dieser bemerkenswerte offene Brief der ZEIT-Geschichtsredaktion erinnert: „Vor ein paar Wochen wart Ihr noch zu hören. Da habt Ihr Euch empört, als zum 25. Jahrestag des Mauerfalls das Künstlerkollektiv Zentrum für politische Schönheit die weißen Gedenkkreuze für die Mauertoten aus dem Berliner Regierungsviertel entführt und an die EU-Außengrenzen gebracht hat. Eine "Schändung" des Gedenkens habt Ihr darin erblickt, ja einen "Vorgeschmack darauf, wie der Weg zurück in den Totalitarismus aussehen wird" ... Die Künstler wollten auf die Not von Flüchtlingen aufmerksam machen und protestierten gegen die Abschottung Europas hinter Mauern und Zäunen. Ihr empfandet das als eine ungehörige "Instrumentalisierung" der Geschichte, rücksichtslos gegenüber den Mauertoten und ihren Hinterbliebenen.“ Tatsächlich dürfte die Mehrzahl jener Kritiker aus den Reihen ehemaliger DDR-Oppositioneller, die sich angesichts der Provokation des Künstlerkollektivs derart empörten, kaum bereit gewesen sein, die Anti-Pegida-Erklärung der „anderen 89er“ mitzutragen. Auch hier zeigt sich wieder der Riss, der durch die Ex-DDR-Opposition in die Bewertung zeitgenössischer Widersprüche des real existierenden Kapitalismus geht.

Bolk | 05.02.15 11:26 | Permalink