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Irgendwie anders

“Ich fühl mich Disco” Buch und Regie: Axel Ranisch

Von Angelika Nguyen

Man hört das Knattern der Simson schon, als noch Schwarzbild läuft. Dann sieht man den jugendlichen Florian mit Papas steinaltem Moped auf dem Parkplatz umher fahren, keineswegs begeistert, vielmehr hofft Papa Hanno, dem Sohn mal für eine Jungs-Sache zu interessieren. Semidokumentarisch folgt die Kamera dem Geschehen und bereits amüsiert lauscht man Papas Erläuterungen (“Die Bremsen sind Scheiße, die waren schon immer Scheiße.”). Spätestens als Florian in das Geknatter fragt “Kann ich nicht doch lieber ein Klavier haben ?” geht das Vergnügen los.

Papas Mission geht schief, Florian fährt die Simson zu Klump und will immer noch ein Klavier. Papa schimpft zwar, wird aber dafür von Mama ausgeschimpft (“Ich hab dir gleich gesagt, dass das mit der Simson eine blöde Idee ist.”), was Florian bestärkt (“Warum schenkst du mir nicht, was ich mir wünsche?”).

So richtig begeistert ist Flori nur im engen weißen Anzug beim Tanzen unter der Disco-Kugel, zusammen mit Mama nach der Musik des Schlagersängers Christian Steiffen.
Amateurhaft, geschminkt und lasziv tanzend, umwerfend locker performen Mama und Flori in der Lichtenberger Neubauwohnung Steiffens Lied: “Sexualverkehr” und emanzipieren sich so ganz simpel von der ganzen verfluchten Ödipusgeschichte.
Was sie nicht wissen: Es sind ihre letzten gemeinsamen Tage. Mama wird vom Schlag getroffen und sterben, und Florian wird sich hoffnungslos in Radu, den Turmspringer, verlieben.

Mama wird trotzdem bei ihm sein. Als Florian tieftraurig an ihrem Krankenhausbett zu begreifen beginnt, streichelt sie ihn sachte, tröstet - ein Ding der Unmöglichkeit und doch bei Axel Ranisch filmisch real - der Traum aller hinterbliebenen Kinder. Weder Koma noch Tod hindern Florians Mama daran, ihn wegen des Küchenmixers, der gerade während ihres Schlaganfalls lief, zu ermahnen (“Habt ihr ihn ausgeschaltet?”), zuzuhören, wenn er vorliest und - natürlich - im Discolicht mit ihm zu tanzen.

Hemmungslos integriert der Film in seine Geschichte Rosa von Praunheim und Christian Steiffen. Aber nicht nur Praunheim und Steiffen als authentische Personen, sondern auch ihre Botschaft: Rosa im Kampf um schwule Normalität in der Gesellschaft gibt Papa Hanno per TV Elternratschläge, während Christian ihn in einer verzweifelten Stunde mit seinem Schlager “Eine Flasche Bier” tröstet.

Glitzernd und improvisiert, komisch und traurig, kulturell furchtlos in seiner trashigen Verkleidung setzt sich der Film zwischen alle Genre-Stühle, ist Schwulenfilm, Coming-Of-Age, Ehedrama, Ödipustragödie, Vater-Sohn-Geschichte und Musical auf einmal und fügt sich mit beneidenswerter Leichtigkeit zu etwas Stimmigem zusammen. Improvisation ist Axel Ranisch wichtig, seit er Filme macht. Es betont den Werkstattcharakter seiner Inszenierungen, das Spiel mit den Konventionen, die Kunst als Wagnis. Der Absolvent der Filmhochschule Babelsberg, unterrichtet von solch gegensätzlichen Regisseuren wie dem feinsinnigen Ästheten Andreas Kleinert und dem schrillen Schwulenaktivisten der ersten Stunde Rosa von Praunheim macht mit seinen besonderen Filmen diesem Lehrerduo alle Ehre.
Ranisch benutzt das szenische Arrangement vor der Kamera als Kunstraum spielerisch und radikal. Mit schöner Regelmäßigkeit durchbricht er Gesetze der Kontinuität und der Wahrscheinlichkeit, lässt seine Figuren oft mitten in einer Szene mühelos pendeln zwischen Leben und Tod, zwischen Koma und Tanz, Kneipentisch und Show, TV-Kriegseinsatz und schwuler Liebesszene, zwischen Intensivstation und Discokugel.
In die komödische Umkehrung kippt der Film das Drama des Coming Out von Florian, indem Papa ihm alles Glück wünscht und Kondome einkauft. Den Angebeteten lädt Papa heimlich zum Familien-Abendessen ein. Als Radu und Florian beteuern, kein Paar zu sein, was auch stimmt, wird Papa sauer. “Stellt euch nicht so an, ich bin da ganz tolerant!”

Der Film zeigt allmählich, wie durch alle Irrungen und Wirrungen Vater und Sohn zueinander finden, ohne die Vermittlerin Mama…
“Ich fühl mich Disco” erinnert in seiner zugleich verrückten und souveränen Art an die damals überraschende australische Filmkomödie “The Sum Of Us” von 1994 über eine harmonische Hetero-Vater-und-schwuler-Sohn-Beziehung.
Dass Rosa von Praunheim und Christian Steiffen insgesamt ein bisschen viel Hommage und Raum abbekommen, unterbricht die Geschichte leider manchmal zu lange. Steiffens Schlager “Ich fühl mich Disco”, der dem Film seinen Titel gab, gehört der Schluss des Films, an dem, so scheint es, die ganze Filmcrew vor der Kamera zusammenkommt und feiert.

Der größte Gewinn des Films ist die Besetzung der Kleinfamilie: Frithjof Gawenda als Florian, Heiko Pinkowski als Papa Hanno und unbedingt Christina Große als Mama Monika liefern Kabinettstückchen in Serie und bilden eine Familie ab, in der immer was los ist, weil sie ihre Probleme bespricht (oder besingt) statt sie unter das Linoleum der Neubauwohnung zu kehren.
Es ist ein bonbonfarben kostümierter Film über das Sterben und das Zurückbleibenmüssen, über unerwidertes schwules Begehren und die Einsamkeit der Pubertät, über Mutterfigur und die Entsexualisierung einer Ehe, aber auch über das Glück, das Eltern einem dicken schwulen 16 jährigen Jungen bieten können: grenzenlose Liebe, die der Tod nicht scheidet.

A.S.H. | 07.11.13 15:36 | Permalink