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Essen ist Leben

“Oma und Bella”, Dokumentarfilm von Alexa Karolinski

Von Angelika Nguyen

Es begann mit einem Kochbuch. Das wollte Regisseurin Alexa Karolinski (Jahrgang 1984) von ihrer Oma Regina (Jahrgang 1927) und deren Mitbewohnerin Bella (Jahrgang 1923) haben, um die vielfältigen ostjüdischen Kochkünste der beiden zu bewahren. Nach einer “Bilderlandschaft”, wie Karolinski sagt, für das Kochbuch habe sie dann gesucht – und außerdem ein Sujet für ihren Abschlussfilm. Entstanden ist ein bewegender Dokumentarfilm über zwei alte Frauen, die nicht nur leidenschaftliche Köchinnen, sondern auch Überlebende deutscher Konzentrationslager sind, die nach dem Zweiten Weltkrieg als so genannte displaced persons nach Berlin gelangten und, im Gegensatz zu vielen anderen, blieben.

Während der vorigen Berlinale in die kulinarische Sektion verfrachtet, ist der Film mehr als ein bebildertes Kochbuch. Er zeigt die beiden, wie sie streiten, kochen, ermahnen, erzählen, fängt bewusst O-Töne über den Mord an den Juden Europas ein. Die auch als „Schweigegeneration“ bezeichneten Überlebenden der Shoa Oma und Bella erzählen durchaus von ihren traumatischen Erlebnissen, wenn sie Zeit, Atmosphäre und Raum bekommen. Das beweist dieser Film der Enkelin Alexa. Dabei werden jedoch auch ganz einleuchtende Gründe fürs Schweigen genannt: „Wenn du das erzählst, musst du es wieder erleben und du willst es nicht wieder erleben!“ sagt Oma Regina. Und „Alles was du nicht sagst, ist wahr!“

Geboren wurde sie in Katowice in Polen, Bella in Galizien. Beide sprechen Deutsch mit jiddischem Einschlag.

Der Film ist, zumal als Abschlussfilm einer Filmausbildung, ein erstaunlich reifes Stück Kino. Zeit lässt er sich fürs Kochen und weiß aber auch um die Wirkung des konzentrierten Gesprächs. Karolinski hat ein sicheres Gefühl dafür, wann sie besser als Beobachterin draußen bleibt (die Geschichte mit dem Müll) und wann sie ganz dicht dazu gehört („Alexale, trink den Saft aus wegen der Vitamine!“, sagt Oma zur Kamera).
Die Geschichte vom Sterben ihres Vaters, “mit einem Lachen auf dem Gesicht”, wie Bella mit tränenerstickter Stimme erzählt, wiederum nimmt Karolinski in einer eher klassisch anmutenden Interviewkonstellation auf, während beim Kaffeebesuch bei einer Freundin eher beiläufig die tätowierte Auschwitznummer auf dem Arm der Freundin thematisiert wird.

Zum Lachen provoziert die Szene, als Oma zur Kamera sagt: “Ein Mann muss nicht gut aussehen. Was wichtig ist bei einem Mann ist, ist der Charakter.“ Ganz normal eigentlich, sollte man denken, aber die Kamera bleibt schweigend dabei und während Regina noch so artig vor sich hin nickt, guckt die enorm ausdrucksstarke Bella mit glucksendem Seitenblick auf Regina, bis alle lachen: das Publikum, Bella und wahrscheinlich auch Alexa. Und Bella sagt: “Einen hübschen hast du dir aber trotzdem ausgesucht.”

Sonst kommen die Männer der beiden und die Kinder der beiden, ihr Leben nach dem Krieg, wenig vor. Was zählt, ist das Trauma der Shoa, das immer wieder in ihren Erzählungen und Träumen auftaucht und das Jetzt, die Wohnung in Charlottenburg, die Gemüsemärkte, die Hähnchen im Feinkostladen, der Besuch der Enkel. Im Zentrum aller Bilder steht das Kochen, auch als tägliches sinnliches Fest der Erinnerung an die Zeit vor der Shoa, die Kindheit. Mit Ausdauer und Zuneigung lässt Regisseurin und Enkelin Alexa den Prozess des Kochens und Backens in unzähligen Varianten filmen. Das Ausstechen der Kekse zu Beginn des Films etwa, wegen denen man allein schon das Kochbuch käuflich erwerben will, die konzentrierte Rasur von Kalbsfuß und Hühnerbein, das Schnipseln von Obst für das Kompott, das Bella in einen Topf mit Wasser wirft. Die Kochkultur einer ganzen untergegangenen Welt wird lebendig.

Die beiden Protagonistinnen nennen die Regisseurin Alexale oder Alexachen, damit ist die besondere Perspektive des Films definiert. Hier dreht eine aus der dritten Generation der Shoa-Überlebenden einen Film mit ihrer Oma aus der ersten Shoa-Generation. Da ist eine besondere Oma-Enkel-Nähe spürbar, Reibungen und Konflikte mit eigenen Kindern schon überstanden. Dabei verschmelzen Oma und Bella gewissermaßen zu einer Großmutter-Instanz.

Glück, sagt dieser Film, kann vieles sein. Über einen Markt schlendern und gute Sachen zum Essen kaufen, Kekse backen, mit jemandem über den Müll streiten oder zum Shabbat Familie und Freunde einladen. Sehr lebendig sind die beiden alten Frauen und wer, wenn nicht sie, wird wissen, was das bedeutet.

Öfter stoßen Oma und Bella miteinander an. Worauf? “L’Chaim!“ - “Auf das Leben!”.

A.S.H. | 30.07.12 15:23 | Permalink