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Wasser-Volksentscheid – 1 Jahr danach

Im nächsten Monat soll der telegraph #124 erscheinen. Den ost:blog-Lesern soll hier schon mal ein Vorab gewährt werden.

Erfolgreicher Wasser-Volksentscheid auf dem Prüfstand:
Was hat die Offenlegung der geheimen Verträge gebracht?

Ein Hintergrundgespräch mit Thomas Rudek, Verfasser des Volksgesetzes über die Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge bei den Berliner Wasserbetrieben am 13. Februar 2011

Vor einem Jahr wurde der erste Volksentscheid in Berlin gewonnen.
In der „Amtlichen Information zum Volksentscheid“ hatten Senat (SPD + DIE LINKE) und die Abgeordnetenhausmehrheit aus SPD und DIE LINKE die Berliner Bevölkerung aufgefordert mit „Nein“ zu stimmen. Ihr Hauptargument: „Die Verträge zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe sind bereits vollständig veröffentlicht“.
Der damalige Wirtschaftssenator Harald Wolf (DIE LINKE), in dieser Zeit auch AufsichtsratsVorsitzender der Berliner Wasserbetriebe, hatte öffentlich erklärt, sich an der Abstimmung nicht zu beteiligen.
Über 665.000 Berlinerinnen und Berliner haben dennoch für ein Volksgesetz gestimmt, das die vollständige Offenlegung von allen Verträgen, Beschlüssen und Nebenabreden verlangt, die im Zusammenhang mit der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe abgeschlossen worden sind. Nur zwei Tage nach diesem großen Erfolg konnten wir in der Presse lesen: „Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) … hat die Veröffentlichung weiterer Vertragspapiere in Aussicht gestellt. Damit räumte er … indirekt die Existenz weiterer [geheimgehaltener – T.L.] Vertragsunterlagen ein.“ In der „Amtlichen Information zum Volksentscheid“ ist die Wahlbevölkerung demzufolge bewußt belogen worden.
Was seit dem Volksentscheid geschehen ist und welche Herausforderungen noch gemeistert werden müssen, dazu befragten wir Thomas Rudek, den Verfasser und Sprecher des Volksentscheids.

telegraph: Herr Rudek, zunächst die Frage nach dem Erfolgsrezept des Volksentscheids. Die Initiative des Berliner Wassertischs setzte sich lediglich aus 30 Aktivisten zusammen und verfügte nur über den kleinen Etat von gerade mal 30.000 €. Die Medien verhielten sich in der Berichterstattung von sehr zurückhaltend bis desinformierend. Wie gelang Ihnen trotz dieser Rahmenbedingungen der Erfolg?

Rudek: Zum einen ist das ein Erfolg, an dem sehr viele beteiligt waren und der sich gewiss nicht nur auf den Berliner Wassertisch begrenzen lässt: Umweltorganisationen wie die GRÜNE LIGA Berlin, Mieterorganisationen wie der Berliner Mieterverein, Kleingartenorganisationen, attac, die Verbraucherzentrale Berlin, die Kirchen bis hin zu Erwerbslosenorganisationen und vielen anderen haben die Bedeutung des Themas erkannt und offensiv dafür geworben. Rückblickend hat gewiss auch unser Aufruf nicht nur zu Geldspenden sondern auch zu Zeitspenden viele Menschen angesprochen, denn einen Volksentscheid gewinnt man nicht mit Geld, sondern mit Menschen. Und so sind wir nicht nur finanziell unterstützt worden, sondern vor allem mit Zeit- und Kontakt-Spenden, indem uns viele Berliner beim Sammeln oder mit ihren persönlichen Netzwerken geholfen haben. Nur so konnten wir in die Breite gehen. Und was die Massenmedien und die Berichterstattung betrifft, da haben Sie recht: Das war und ist immer noch ein harter Kampf, der an vielen Frontlinien, auch an internen geführt wird.

telegraph: Uns interessiert ja auch die Bedeutung als ein Projekt direkter Demokratie, die weit über die Rückabwicklung dieses Public Private Partnership (PPP)-Vertrages von 1999 hinausgeht. Dazu muss ich etwas ausholen. In Osteuropa und im vergangenen Jahr in vielen Ländern Nordafrikas stürzten Regierungen, die viele Jahrzehnte an der Macht waren. Dabei spielte die große Unzufriedenheit mit den Lebensverhältnissen, die Empörung über die zunehmende Schere zwischen Arm und Reich, politische Bevormundung und Unterdrückung eine Rolle. In Westeuropa entzündete sich der zivile Ungehorsam, der Protest und Widerstand am Bemühen der politischen und wirtschaftlichen Eliten, die aktuelle Krise mittels so genannter „Sparprogramme“ zu einer großangelegten Umverteilung von unten nach oben zu nutzen (Stichwort: z.B. die Bewegung „Wirkliche Demokratie jetzt“ in Spanien auf dem Puerta del Sol). Es wird von einer Krise der Repräsentation, von einem Legitimationsverfall der politischen Systeme, von einem Rückgang der „Massenloyalität“ gesprochen. Auf der Tagung „Sozialpsychologie des Kapitalismus – zur Aktualität Peter Brückners“ Anfang März 2012 erwähnten Sie ein „Handbuch der weltpolitischen Analyse“ von Daniel Frei und Dieter Ruloff. Das war mir bisher noch nicht bekannt. In welcher Hinsicht hat es Ihr Handeln beeinflusst? Wir kennen Gene Sharps „From Dictatorship to Democracy“, welches in Belgrad, Tiflis und Kiew, nun auch in Ägypten und Tunesien Ratschläge für gewaltfreie Aktionen gegeben haben soll.
Dabei geraten offensichtlich ausgesuchte Länder in den Fokus von Unterstützung durch sog. Menschenrechtsorganisationen. Uns interessiert die Adaption. Kann die konkrete Erfahrung „Wasser-Volksentscheid“ für die Organisierung von zivilem Ungehorsam und Widerstand hilfreich sein? Inwieweit haben solche Konzepte bei Ihren Aktivitäten eine Rolle gespielt?

Rudek: Zunächst zum „Handbuch der weltpolitischen Analyse“. Ich beschäftigte mich zum damaligen Zeitpunkt mit der Frage, wie bei computergestützten Simulationsmodellen als Herrschaftsinstrumente die Frage der Krisenanfälligkeit erfasst und abgebildet werden. In diesem Zusammenhang bin ich dann auf diesen neoliberalen Ratgeber gestoßen, indem bezeichnenderweise Einflussmöglichkeiten direkter Demokratie auch für Systemveränderungen keine Rolle spielen. Dennoch erschütterten mich die Zahlen, weil sie zum einen verdeutlichten, welch gewaltiger zivilgesellschaftlicher Kraftanstrengungen es bedarf, um durch Massenmobilisierungen das neoliberale Machtkartell zu bewegen. Andererseits ist dann immer noch nicht gewährleistet, ob sich das Machtkartell in die gewünschte Richtung bewegt. Ich glaube, dass unsere Begeisterung für die Bewegung der Empörten auch dem Umstand geschuldet ist, dass wir generell unter einer Mobilisierungsmüdigkeit leiden. Das Handbuch wie die aufmerksame Beobachtung der Protestbewegungen haben mich insofern beeinflusst, weil ich immer nach Wegen gesucht habe, um eine – wie soll ich es am besten sagen – eine Logistik des nachhaltigen Widerstands zu suchen. Und so bin ich dann bei der direkten Demokratie gelandet, genauer: der Möglichkeit, dass die Bevölkerung selbst die Verfügungsgewalt über die Produktion von Rechtsnormen in die eigene Hand nehmen kann. Die Frage der Adaption ist schwer zu beantworten, weil wir hier mit unseren niedrigen Wahlbeteiligungen, den Verkrustungen und Verfilzungen, den Parallelstrukturen mit international tätigen Beratungsagenturen wie den lobbyistischen Netzwerken zwischen Ministerialbürokratien, Wirtschaft und Medien nun wirklich kein Vorbild sind, an dem sich andere orientieren sollten.
Möglicherweise ist eine negative Adaption hilfreich, um den Entwicklungen, die es hier gegeben hat, Einhalt zu bieten: Die Maxime müsste lauten: Aus den Fehlern der neoliberalen Systemtransformation lernen. Beispielsweise in der Form, dass die hier nach wie vor in zahlreichen Politikfeldern herrschende Intransparenz nicht adaptiert wird, sondern die Informationsfreiheit offensiv verankert wird. Warum sollte die Informationsfreiheit im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht sogar Verfassungsrang erhalten? Gleichzeitig könnte bereits der Versuch, Geheimhaltungs- und Verschwiegenheitspraktiken fortzuführen, als Straftatbestand juristisch definiert werden, was in unserer politischen Unkultur nicht angedacht ist. Auch wenn wir an die üblichen neoliberalen Strategien des Krisenmanagements denken, sollte hier die Strategie der negativen Adaption als Prophylaxe eingesetzt werden. Das bedeutet konkret: Im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge weder Privatisierungen noch Teilprivatisierungen zuzulassen. Hierzu muss man nicht in den kapitalistischen Westen blicken, sondern nach Südamerika. Oder man adaptiert das italienische Beispiel aus dem letzten Jahr: 3 erfolgreiche Referenden auf einen Streich, davon eines gegen die Privatisierung der italienischen Wasserversorgung.
Die Analphabetendemokratie, wo jeder alle 4 Jahre brav sein Kreuzchen macht, hat ausgedient. Wir brauchen mehr Partizipation, auch und vor allem in den Medien. Mit der Einführung des Privatfernsehens in den 80er Jahren begann der Angriff auf das Zentralnervensystem der Bundesrepublik. Auf der Jagd nach Einfaltquoten blieb vor allem eines auf der Strecke: Die Ausgewogenheit in der Berichterstattung, die Berücksichtigung von anderen Meinungen, statt dessen ein Einheitsbrei, der wenig nahrhaft und dennoch schwer verdaulich ist. Mediales Fast Food, das paralysiert, aber nicht wachrüttelt und erst recht nicht mobilisiert. Das Entscheidende ist jedoch die Stärkung der direkten Demokratie. Stellen Sie sich vor, in Spanien wären, wie in Italien vor einem Jahr, Volksgesetze auf den Weg gebracht worden, die sich gegen die Privatisierungen der Daseinsvorsorge richten, die sich für Volksabstimmungen von repressiven EU-Auflagen einsetzen, dann hätten diese Bewegungen nicht nur eine programmatische Untermauerung gefunden, sondern auch einen bahnbrechenden Erfolg für eine gelebte, nachhaltige Partizipation erzielt.

telegraph: Nach diesem überraschenden Erfolg des Volksentscheides fragen sich viele, was die Offenlegung der geheimen Wasserverträge gebracht hat. Denn die eigentlich formulierte Zielsetzung bestand doch darin, den Konzernen RWE und Veolia, die ja nicht an der sog. Daseinsvorsorge, sondern am Profit interessiert sind, die Geschäftsgrundlage zu nehmen und dass die hohen Wasserpreise in Berlin gesenkt und die Berliner finanziell entlastet werden.

Rudek: Die Ursache der hohen Wasserpreise liegt in den jetzt offen gelegten und vertraglich zugesicherten Gewinngarantien begründet. Diese Gewinngarantien führten beispielsweise dazu, dass die Wasserbetriebe im vorletzten Geschäftsjahr in absoluten Zahlen 270 Millionen € an die Konzerne RWE und Veolia wie das Land Berlin ausgeschüttet haben. In der Kalkulation der Wasserpreise beläuft sich der Anteil der so genannten kalkulatorischen Kosten einschließlich der kalkulatorischen Zinsen auf sage und schreibe 44 Prozent. Das sind absolute Spitzenwerte, die uns in Rechnung gestellt werden: Brechen wir diese Dimension auf einen Vier-Personen-Haushalt herunter, dann bedeutet das – grob gerechnet – dass sich der Gewinnanteil in der Wasserrechnung dieses Haushalts auf 320 Euro beläuft. Die Schlüsselfragen lauten: Lässt sich dagegen etwas tun, sind die Verträge rechtlich angreifbar und wenn ja, wer ist klageberechtigt und welches Gericht ist zuständig. Um diese Fragen zu beantworten, waren wir dringend auf juristischen Sachverstand angewiesen und hier konnte die Juristin Sabine Finkenthei, die den Volksentscheid von Anfang an unterstützt hat, 10 weitere Kollegen aus unterschiedlichen Rechtsgebieten zur Mitarbeit gewinnen. Bereits unmittelbar nach dem Volksentscheid, also im März vergangenen Jahres, hat sich ein Arbeitskreis unabhängiger Juristen (AKJ) gegründet, der unterdessen mehrere Schritte in die Wege geleitet hat.

telegraph: Können Sie die Ergebnisse des Arbeitskreises etwas näher erläutern?

Rudek: Nun, ich bin kein Jurist, kann es aber gerne versuchen. Zunächst ist der Arbeitskreis der Ansicht, dass die Teilprivatisierungsverträge zum einen gegen das europäische Ausschreibungsrecht verstoßen und dass zum anderen die Gewinnausfallgarantien des Vertrages zugunsten der Konzerne RWE und Veolia eine öffentliche Subvention darstellen – und auch die ist nach europäischem Recht verboten. Daher hat der AKJ in enger Abstimmung mit Frau Prof. Edda Müller von Transparency International und dem EU- und Kartellrechtler Prof. Jürgen Keßler von der Verbraucherzentrale Berlin gegenüber der EU-Kommission diese Rechtsverstöße zur Anzeige gebracht. Die Kommission hat daraufhin im Sommer letzten Jahres eine entsprechende Vorprüfung der Verträge eingeleitet. Das dauert mindestens ein Jahr. Sollte die Kommission unsere Rechtsauffassung nicht teilen, besteht nach Aussage von Prof. Keßler die Möglichkeit, vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen.
Nach der europarechtlichen Prüfung der Verträge hat der AKJ auch verfassungs- und haushaltsrechtliche Aspekte einbezogen und dabei in einem Leitfaden herausgearbeitet, dass auch die Fraktionen des Abgeordnetenhauses mit einer sogenannten Organklage vor dem Berliner Verfassungsgericht gegen die Verträge vorgehen könnten. Inhaltlich entscheidend ist, dass die vertraglich zugesicherten Gewinnausfallgarantien als eine Sicherheit zu bewerten sind, die nach unserer Verfassung einer gesetzlichen Grundlage bedurft hätte, aber nicht geschaffen worden ist. Das ist jetzt stark zusammengefasst. Wer sich näher informieren möchte, der findet diesen „Leitfaden“ wie das Schreiben an die EU-Kommission auf der Homepage der Wasserbürger unter www.wasserbuerger.de.

telegraph: Nicht auf der Homepage des Wassertischs [http://berliner-wassertisch.net/] ?

Rudek: Bedauerlicherweise nicht und es spricht Bände, dass der Wassertisch und sein neues Sprecherteam wichtige Informationen, wie gegen die Verträge vorgegangen werden kann, all den Menschen vorenthält, die den Volksentscheid mit ihren Stimmen unterstützt haben. Doch umgekehrt dürfen wir nicht vergessen, dass es bei der Umsetzung des Volksentscheids um Milliarden geht und da wundert es nicht, wenn das Ruder von denjenigen übernommen wurde, die mit Stör- und Ablenkungsmanövern versuchen, den Volksentscheid gegen die Wand zu fahren. Wie bereits erwähnt, wird der Kampf um Informationen an vielen Fronten geführt.

telegraph: Welche wichtigen Informationen werden vorenthalten und welche Gründe gibt es dafür? Vielleicht könnten Sie die Konfliktlage doch noch etwas näher erläutern.
Liegen hier externe Einflussnahme und Destruktion oder innere Querelen und Sektierertum vor? Und: Arbeiten jetzt „Berliner Wassertisch“ und „Berliner Wasserbürger“ parallel am selben Gegenstand, statt mit vereinten Kräften? Frohlockt da nicht jeder Gegner?

Rudek: Es ist ein Kennzeichen von offenen Bürgerinitiativen, dass diese vielen Interessierten offen stehen und zum Mitmachen bewegen. Wenn es bei einem zivilgesellschaftlichen Projekt um Milliarden geht, und das ist bei dem Wasser-Volksentscheid der Fall – dann ist bei einer ganz nüchternen Betrachtung davon auszugehen, dass sich auch Gegner dort betätigen und die Initiative ganz subtil unterlaufen werden. Beispielsweise hatte sich der Pressesprecher von Veolia auf der Facebook-Seite als Freund angemeldet und immer versucht, Pressemeldungen von mir zu dementierten. Da gab es offensive Diskussionen. Schwieriger sind die Intriganten, die nicht sofort zu erkennen sind, sondern wie Maulwürfe agieren. Ihr Ziel lautet, Vertrauen aufbauen, hier und da hilfsbereit anpacken, bis sie Schlüsselfunktionen innehaben. Dann werden interne Verteiler aufgebaut, es werden Gerüchte mit persönlichkeitsverletzenden Inhalten gestreut, und so Vorbehalte aufgebaut, die nichts mit der Sache zu tun haben. Am Ende eines solchen Prozesses wird dann auf einmal die Plenumssitzung an einen anderen Ort verlagert und Vorschläge zur Tagesordnung wurden nicht, wie ansonsten üblich, angekündigt. Als ich dann verspätet erschien, wurde gerade der Ausschluss meiner Person als TO behandelt und eine attac-Aktivistin beantragte, mir zu untersagen, Protokoll-Notizen anzufertigen. Doch damit nicht genug. Ich wurde auch aus dem e-mail-Verteiler gestrichen, den ich maßgeblich mit aufgebaut habe. Dann waren auf dieser Sitzung viele Gesichter, die ich noch nicht bzw. sehr lange nicht mehr zu Gesicht bekommen habe. Diese Querelen sind jedoch nebensächlich und sollten vom eigentlichen ablenken: Kurz zuvor hatte der Arbeitskreis unabhängiger Juristen durch meine Vermittlung bei der Verbraucherzentrale den Leitfaden zur Anfechtung der Verträge vorgestellt. Auf dieser Plenumssitzung hätte es eigentlich darum gehen müssen, über den Leitfaden zu diskutieren, und wie wir die Abgeordneten für eine Organklage gewinnen können. Statt sich dieser Aufgabe zu stellen, inszenierte man dort ein Kindergartentheater auf grenzwertigem Niveau. Ich werde die grenzwertigen schriftlichen Kommentare der Blockierer in das Portal der Wasserbürger einstellen, damit sich die Berliner Bevölkerung darüber informieren kann, wer sich für eine Vertragsanfechtung einsetzt und wer diese durch Stör- und Ablenkungsmanöver verhindern will.
Ich schildere dieses Beispiel nicht als abschreckendes Beispiel, sondern weil das Engagement in Bürgerinitiativen von einer nüchternen Empörung getragen sein sollte. Es geht dort nicht um Freundschaften, sondern darum, ein Ziel zu erreichen. Es hilft nichts, Initiativen oder Personen zu mystifizieren. Der Volksentscheid war weder mein Erfolg noch der des Wassertischs, sondern der Erfolg zahlreicher Menschen, die all ihre Netzwerke eingebracht haben. Das Erfolgsrezept lautet: Vertrauen in die Eigendynamik, nicht in kontrollierende ZK-Strukturen, die das neue Sprecherteam aufbaut, indem sie zu allererst kontrolliert, wer etwas sagen darf und wer nicht. Ich habe die Funktion des Sprechers immer so verstanden, dass es darum geht, andere in Fragen des Volksentscheids sprachfähig zu machen, damit diese dann ihre Netzwerke aktivieren und mobilisieren können. Sprachfähigkeit bedeutet vor allem, nicht nur Probleme zu skandalieren, sondern konkret überzeugende Problemlösungen anzubieten.

telegraph: Eine andere Frontlinie verläuft auch im Abgeordnetenhaus. Dort wurde vor kurzem ein Sonderausschuss eingesetzt, der nach dem Gesetzestext des Volksentscheids die Aufgabe hat, die Verträge einer eingehenden öffentlichen Überprüfung zu unterziehen. Ein ganzes Jahr soll er dazu Zeit haben. Welche Erwartungshaltung haben Sie an den Sonderausschuss?

Rudek: Auch hier ist es bezeichnend, dass sich das Abgeordnetenhaus zur Einsetzung des Sonderausschusses sehr viel Zeit gelassen hat. Auch was die Zusammensetzung des Ausschusses betrifft, habe ich keine großen Hoffnungen, dass zielgerichtet geprüft wird, denn mit Ausnahme der beiden Ausschussmitglieder der CDU und Klaus Lederer von der Fraktion Die LINKE sind keine Juristen im Ausschuss vertreten. Weder die Grünen noch die SPD noch die Piraten haben es für notwendig erachtet, Juristen in den Ausschuss zu entsenden. Doch wer die Verträge anfechten will, der ist zwingend auf juristischen Sachverstand angewiesen, ansonsten entsteht ein großes Palaver um den heißen Brei. Auch will man im Sonderausschuss an den juristischen Leitfaden der unabhängigen Juristen nicht so recht ran und die bisherigen Bemühungen, die Piraten zu überzeugen, mit einer Organklage die Wasser-Verträge zu entern, hatten bisher keinen Erfolg.

telegraph: Können Sie sich diese "Zurückhaltung" erklären?

Rudek: Nicht wirklich. Viele glauben, es sei Überlastung. Aber es sollte nicht vergessen werden, dass die Forderung nach mehr Transparenz eine Kernforderung im Wahlkampf war. Doch was nützt es, wenn infolge transparenter Verhältnisse elementare Rechtsverstöße nachgewiesen werden können, aber – in diesem Fall – sich bei den Piraten niemand zuständig fühlt, diese Rechtsverstöße vor dem Verfassungsgerichtshof einzuklagen. Auch was die Überlastung und Überforderung betrifft, so ist es zwar richtig, dass die Piraten über keine juristische Expertise in ihren eigenen Reihen verfügen. Darum haben sich auch zwei Berliner Rechtsanwälte aus dem Arbeitskreis unabhängiger Juristen bereit erklärt, die Klageschrift zu erarbeiten und mit den Piraten abzustimmen. Einfacher geht es doch nun wirklich nicht.

telegraph: Lassen Sie uns noch einmal auf die Wasserpreise zurückkommen. Ende 2011 wurde berichtet, dass auch das Bundeskartellamt die Berliner Wasserbetriebe über eine Abmahnung dazu bewegen will, die Wasserpreise zu senken.

Rudek: Das Bundeskartellamt prüft nur die Trinkwasserpreise, nicht aber die Abwasserpreise und letztere sind es, die in Berlin besonders hoch sind. Das bedeutet, unter der Voraussetzung, dass das Bundeskartellamt zuständig ist – denn diese Frage ist noch nicht geklärt – hätte eine Preissenkungsverfügung lediglich eine symbolische Senkung der Trinkwasserpreise zur Folge. Wir sollten das eigentliche Ziel nie aus den Augen verlieren: Eine kommunale Wasserver- und entsorgung, die frei ist, von jeglicher Gewinnerzielung und nach dem Prinzip der reinen Kostendeckung ihre Tarife kalkuliert.

telegraph: Auf der vorhin erwähnten Tagung stellten Sie heraus, dass die Anfechtung der Berliner Verträge auch weit über den Berliner Tellerrand hinauswirken würde?
Wenn ein ganzes Land am Boden liegt, gibt es die Kurzsichtigen, die nach jedem Strohhalm greifen. Sind die großen Konzerne, auch die, die mit Wasser Profit machen wollen, nicht längst mit kleinen Geldköfferchen unterwegs, um in Spanien, Griechenland etc. dem politischen Personal mit ihren leergemachten Staatssäckeln unter die Arme zu greifen, d.h. sich Öffentliches Eigentum anzueignen? In Ostdeutschland setzte man dafür eine „Treuhand“ ein. Deutsche Politiker empfehlen ja diese Einrichtung z.B. für Griechenland; nach Ägypten und Tunesien will man „Transformationsteams“ schicken.
Bedarf es da nicht auch einer internationalen Vernetzung des Widerstandes gegen die „Beutegemeinschaft“ von Staat und Privatwirtschaft?

Rudek: Das ist richtig und auf die internationale Tragweite dieses Volksentscheids wird leider auch von der bürgerlichen Presse nicht hingewiesen. Die in Berlin tätigen Konzerne RWE und Veolia sind ja global operierende Konzerne, die im internationalen Wassergeschäft ganz entscheidend mitmischen. Und wenn man hier im „Musterland rechtsstaatlicher Demokratie“ Verträge mit Gewinnausfallgarantien und anderen fragwürdigen Regeln abschließt, die hier nicht nur zu hohen Wasserpreisen, sondern auch zu extrem hohen Profiten führen, dann benutzt man diese Berliner Verträge als Referenz für Geschäftsabschlüsse im Ausland – nach dem Motto: Was in Berlin juristisch geht, dass sollte auch in anderen Metropolen möglich sein. Wenn es uns jedoch gelingt, diese Verträge gerichtlich für nichtig erklären zu lassen, dann können sie auch nicht mehr als Referenz und Geschäftsgrundlage für das Auslandsgeschäft angeführt werden und dieser Art von mafiöser Geschäftemacherei im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge wäre die Grundlage entzogen.

telegraph: Sie sind ein bekennender Befürworter der direkten Demokratie. Doch Plebiszite wie das Schweizer Minarettverbot verweisen auch auf das Risiko, dass solche Volksentscheide von rechts instrumentalisiert werden und Rechtspopulisten sich auf diesem Weg durchsetzen könnten?

Rudek: Dazu braucht man gar nicht in die Schweiz zu gehen. Auch in Hamburg ist das Bildungs-Plebiszit ein abschreckendes Beispiel, wie eine Verbesserung des Bildungssystems verhindert und stattdessen ein System beibehalten wurde, von dem die elitäre Bildung profitiert. Dennoch sollten wir das Potenzial von Volksentscheiden und Referenden nicht verkennen, wenn es darum geht, der neoliberalen Umstrukturierung entgegen zu wirken und alternative, sozial-gerechte Gesetze durchzusetzen. Angefangen von dem Berliner Beispiel, per Volksentscheid ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr durchzusetzen. Oder schauen wir uns den Prozess der Gentrifizierung an. Ich würde mir wünschen, dass wir uns an die Arbeit machen und die Verdrängung von armen Menschen nicht nur beklagen und für Protestdemos zum Anlass nehmen, sondern dass wir Problemlösungskompetenz einbringen und das per Volksentscheid mit einem Gesetz, das die großen privaten wie öffentlichen Wohnungsgesellschaften verpflichtet, mindestens 30 Prozent ihres Wohnungsbestandes an sozial schwach gestellte Menschen zu vermieten und das a) zu einem Preis deutlich unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete und b) ohne einen Anspruch auf staatliche Ausgleichszahlungen. Und wir sollten uns auch nicht mit den üblichen Blockade-Plattitüden abspeisen lassen, das würde juristisch nicht gehen, weil Mietrecht Bundesrecht ist. Auch das Grundgesetz ist nicht nur Bundesrecht, sondern Verfassungsrecht. Und es wird höchste Zeit, durch eine offensive Inhaltsbestimmung des Art. 14 GG zu zeigen, dass der Grundsatz „Eigentum verpflichtet“ zur Rechtsanwendung gebracht werden muss.

telegraph: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Der oben genannte „Leitfaden“ kann unter http://berliner-wasserbuerger.de/?p=915 als PDF heruntergeladen werden. Im Vorwort verweist der Privatisierungskritiker Werner Rügemer auf die „grundsätzliche Bedeutung weit über diesen Fall hinaus. Die generelle Geheimhaltung, die bei den verschiedenen Formen der Privatisierung öffentlichen Eigentums üblich geworden ist, ist ein Angriff auf die Demokratie, auf die wesentliche Aufgabe der Parlamente und auf die Mitbestimmung der Bevölkerung. … Die Berliner Nachfolgeregierung [SPD + DIE LINKE, Anmerk. T.L.], die die Verträge nicht abgeschlossen hat, hätte von sich aus tätig werden müssen, um die Nichtigkeit herbeizuführen. Das hat sie nicht getan und hat, unter dem Druck des Volksentscheids, lediglich einige unklare Absichten geäußert, die Verträge neu zu verhandeln bzw. die Investoren zum Verkauf ihrer Anteile zu animieren.“

Thomas Rudek : Verfasser des Volksgesetzes über die Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge bei den Berliner Wasserbetrieben am 13. Februar 2011, des ersten erfolgreichen Volksentscheides in Berlin. Sprecher des Volksbegehrens und Volksentscheids. Gründer der Berliner Wasserbürger. Aktiv in der GRÜNE LIGA Berlin.
Kontakt: ThRudek(at)gmx.de Tel.: (030) 261 33 89 (AB)
Kontakt zum Arbeitskreis unabhängiger Juristen: Sabine Finkenthei, S.Finkenthei(at)gmx.de Tel.: (030) 69 30 842

david | 02.04.12 20:15 | Permalink