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Die Edition Nautilus meldet:

Die Diskussionen über das Buch Der kommende Aufstand des Unsichtbaren Komitees dauern noch immer an, seit nunmehr drei Monaten. Sie werden erregt und kontrovers geführt, was uns nur recht ist, denn mündige Leser kaufen sich das Buch nun selbst, um sich eine eigene Meinung zu bilden. Einige Anwürfe sind jedoch derart verblendet und ungerecht, dass wir uns, wenn auch spät, dagegen verwahren möchten: Ausgerechnet die tageszeitung bezeichnete das Buch als »eine rechte, von Heidegger und Carl Schmitt inspirierte, antimoderne Hetzschrift« (taz vom 23. November 2010). Eric Hazan, der Verleger der französischen Originalausgabe, bezeichnete diese These sofort und zurecht als absurd (3sat Kulturzeit vom 8. Dezember 2010). Nun hat auch Verleger Lutz Schulenburg eine Protestnote gegen diese Anwürfe verfasst:

PROTESTNOTE

1) Die Edition Nautilus ist ihrem Selbstverständnis nach der libertären Tradition verbunden. Dem freiheitlich-revolutionären Denken und der daraus entspringenden Praxis für eine Gesellschaft ohne Klassen und staatsbürokratische Institutionen, wie sie sich in der Geschichte der internationalen sozialrevolutionären Bewegung ausgeprägt hat. Ein weiterer programmatischer Bezugspunkt sind die ästhetischen Positionen der künstlerischen Moderne. Als Projekt, das der revolutionären Welle von »1968« sein Entstehen verdankt, war die verlegerische Praxis für ihre Gründer eine Verknüpfung mit diesem historischen Bruch. »Rechtsradikale« Bücher erscheinen ebenso wenig in der Edition Nautilus wie Bekenntnisschriften von Berufspolitikern oder religiösen Reaktionären etc.

2) Obwohl der Edition Nautilus die Verfasser des Buches »Der kommende Aufstand« genauso wie der interessierten Öffentlichkeit unbekannt bleiben, weil sie es vorziehen, für ihre Veröffentlichung die Anonymität zu wählen, es dem Verlag auch nicht bekannt ist, was die Autoren bisher alles gelesen haben, es sich mithin unserer Kenntnis entzieht, ob Carl Schmitt oder Martin Heidegger im Bücherregal eines der Mitglieder des »Komitees« zu finden sind, protestieren wir gegen die obskure Fantasterei, die in der »taz« vom 23. November 2010 unter dem Titel »Fast wie Gas« erschienen ist.

In der vorangestellten Redaktionsnotiz wird das Buch als »eine rechte, von Heidegger und Carl Schmitt inspirierte, antimoderne Hetzschrift« bezeichnet, damit macht sich die Redaktion die staatsloyale Meinung zu eigen, so wie der Autor des Artikels sich die der französischen Polizei. Das ist ein gelungenes Beispiel für Private Public Partnership im Bereich des intellektuellen Gewerbes.

Trotz der polizeilich-philosophischen Enthüllung der »taz« sind die anonymen Autoren weder entlaufene Seminaristen, die mit dem Sagbaren hadern, noch graduierte Staatsrechtler auf der Suche nach einer Festanstellung, auch dürften sie, nach diesem Werbeversuch, auch künftig nicht Abonnenten des New Yorker Modemagazins »Hint« werden.

Die anonymen Verfasser von »Der kommende Aufstand« sind der Ansicht, dass der Staat und die gegenwärtige Ökonomie zerstört und wie alle plebejisch-proletarischen Revolutionäre seit der englischen und französischen Revolution durch freie Assoziationen ersetzt werden sollten, worin bekanntlich »die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller« ist.

Sie propagieren eine Feindschaft gegen die Vermittlung als institutionelle Sphäre von Bürokratie und Berufspolitik, verspotten Politikanten, Sekten und sonstige Glücksverkäufer des spektakulären Betriebs.

Sie sehen im Bruch, der Spontaneität, der direkten Aktion Mittel, in der gegenseitigen Hilfe und kommunitären Vereinigung eine Basis neuer Vergesellschaftung.

Die Unbedingtheit der Worte macht den Ernst der Ambitionen aus. Der schneidende Ton und die Spottlust sind die Antwort auf das armselige Pflichtbewusstsein, das zur Mäßigung anhält und dazu verpflichtet, im Selbstverständnis von Unterwürfigkeit und Gehorsam die Tugenden der Demokratie zu sehen.

Edition Nautilus, Hamburg 20.01.11

Postskriptum

I) Worum es geht

Die Schönheit des gelebten Augenblicks. Das liest sich bei Guy Debord so:

»Es ist ein bewegender Augenblick, wenn eine Attacke auf die Welt sich in Bewegung setzt. Anfangs kaum wahrnehmbar, weiß man doch schon, dass sehr bald, was immer auch geschehen mag, nichts mehr sein wird, wie es einmal war.«

II) Diagnose

Walter Benjamin meint in seinen »Geschichtsthesen«:

»Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, dass der Ausnahmezustand, in dem wir leben, die Regel ist. Wir müssen zu einem Begriff der Geschichte kommen, der dem entspricht. Dann wird uns als unsere Aufgabe die Herbeiführung des wirklichen Ausnahmezustands vor Augen stehen ...«

III) Was der Wolf den Schafen erzählt

Wenn die Machthaber ihre Polizeiknüppel zählen, ihre Bataillone marschieren lassen, ihre Bomber schicken, betonen sie ihr friedliches Wesen und mahnen, die Form des gewaltfreien Dialogs beizubehalten.

Bei Bertolt Brecht lesen wir:

»Zur Gewalt seine Zuflucht zu nehmen
Scheint böse. Aber da, was ständig geübt wird, Gewalt ist
Ist es nichts Besonderes.«

IV) Moderne, Fortschritt, Wurzeln, Gas und dergleichen

Nur ein verkitschtes Betroffenheitspathos, wie es nicht nur im DFG-Graduiertenkolleg, dort aber bei zukünftigen Staatsrechtlern, gezüchtet wird, bewirkt, Gas zu meiden und mit Elektrizität zu kochen. Daneben ist bei dem graduierten Skribenten das Bemühen ungebrochen, die »Rechtsstellung« der von den Kolonisatoren Amerikas gemordeten »Ureinwohner« völkerrechtlich zu kodifizieren, um »das historische Fundament einer genuin globalpolitischen Philosophie« abzuleiten.

Auschwitz ist kein Rückfall in irgendeine rohe Vergangenheit, es ist das Vorwärts in der Moderne – das Armageddon der deutschen Industrie.

In den »Notizen« zu seinen »Geschichtsthesen« gibt Walter Benjamin dem kritischen Bewusstsein ein Bild:

»Marx sagt, die Revolutionen sind die Lokomotiven der Weltgeschichte. Aber vielleicht ist dem gänzlich anders. Vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse.«

Bericht eines Kolonial-Ideologen, Alfred de Broglies, über die algerische Situation 1863:

»Auf das kommunistische Prinzip, das die Grundlage der arabischen Gesellschaft bildet, setzen, um irgendeinen Fortschritt zu erzielen, heißt gegen das Unmögliche kämpfen. Das Gemeineigentum ist, man kann machen, was man will, die Barbarei in Permanenz und alle Ewigkeit; denn da es dem Menschen alle Hoffnung untersagt, schreckt es ihn von der Arbeit ab ... Es gibt hier eine Schule der Faulheit und Trägheit, die noch die erbaulichsten Beispiele und aufgeklärtesten Instruktionen der französischen Administration unweigerlich in den Schatten stellt ... Stets bildet die Verfassung der arabischen Gesellschaft das Hindernis, und in ihrer Wurzel selbst müssen wir sie treffen«.

»Der Begriff des Fortschritts«, so Benjamin in »Zentralpark«, »ist in der Idee der Katastrophe zu fundieren. Daß es ›so weiter‹ geht, ist die Katastrophe. Sie ist nicht das jeweils Bevorstehende, sondern das jeweils Gegebene.«

V) Attrappen des falschen Bewusstseins

Über den Rohstoff der konformistischen Intelligenz, Friedrich Engels:

»Die Ideologie ist ein Prozeß, der zwar mit Bewußtsein vom sogenannten Denker vollzogen wird, aber mit einem falschen Bewußtsein. Die eigentlichen Triebkräfte, die ihn bewegen, bleiben ihm unbekannt ... Er imaginiert sich also falsche resp. scheinbare Triebkräfte. Weil es ein Denkprozeß ist, leitet er seinen Inhalt wie seine Form aus dem reinen Denken ab, entweder seinem eigenen, oder dem seiner Vorgänger. Er arbeitet mit bloßem Gedankenmaterial, das er unbesehen als durchs Denken erzeugt hinnimmt ... und zwar ist ihm dies selbstverständlich, da ihm alles Handeln, weil durchs Denken vermittelt, auch in letzter Instanz im Denken begründet erscheint.«

und

»Unser Ideolog mag sich drehn und wenden, wie er will, die historische Realität, die er zur Tür hinausgeworfen hat, kommt zum Fenster wieder herein, und während er glaubt, eine Sitten- und Rechtslehre für alle Welten und Zeiten zu entwerfen, verfertigt er in der Tat ein verzerrtes, weil von seinem wirklichen Boden losgerissenes, wie im Hohlspiegel auf den Kopf gestelltes Konterfei der konservativen oder revolutionären Strömungen seiner Zeit.«

VI) Über die Intelligenz

Der Intellektuelle hat aus dem Denken einen Beruf gemacht. Sie stehen als Studenten, Journalisten, Lehrer, Forscher, Philosophen usw. der Bewusstseinsbildung vor, entweder als Wachleute der Herrschenden oder Vorboten des Aufruhrs der Unterdrückten. Die Kehrseite des »Intellektuellen«, seine endemische Selbsttäuschung ist dem Status geschuldet, den ihm der Produktionsprozess zuweist.

1967 erschien »Über das Elend im Studentenmilieu«. In dieser situationistischen Schrift lesen wir zur Nachwuchsproduktion der Intelligenz:

»Wie ein stoischer Sklave glaubt der Student sich umso freier, je mehr alle Ketten der Autorität ihn fesseln. Genau wie seine neue Familie, die Universität, hält er sich für das gesellschaftliche Wesen mit der größten ›Autonomie‹, während er doch gleichzeitig und unmittelbar von den zwei mächtigsten Systemen der gesellschaftlichen Autorität abhängt: der Familie und dem Staat. [...] Was den Lohnabhängigen aufgezwungene Illusionen waren, wird zu einer von der Masse der zukünftigen kleinen Kader erinnerlichten und getragenen Ideologie.«

VII) Realismus, Romantik, Poesie

Der »Realist« ist stolz darauf, mit dem Takt der Maschinen synchron geschaltet zu sein. Er teilt in »nützlich« und »unnütz«. Alles, was weder käuflich noch verkäuflich ist, nicht auf dem Ramschtisch der Ersatzexistenz gefunden werden kann, ist »romantisch«, »utopisch«, »vor-modern«.

Von André Breton findet sich in seinem Buch »Arkanum 17« Folgendes:

»Ich werde nie das Gefühl der Befreiung, die tiefe Erregung und den Stolz vergessen, die bei einem der allerersten Male, da man mich als Kind auf einen Friedhof mitnahm, unter so vielen deprimierenden oder lächerlichen Grabmälern die Entdeckung einer schlichten Granittafel in mir hervorrief, in die mit roten Großbuchstaben der prachtvolle Wahlspruch »Ni Dieu ni Maître« (Weder Gott noch Herr) eingemeißelt war. Die Poesie und die Kunst werden stets eine Schwäche für alles haben, was den Menschen in die Verklärung dieser verzweifelten, unbeugsamen Forderung emporhebt, die er gelegentlich an das Leben stellt, so lächerlich die Aussicht auf ihre Erfüllung auch sein mag. Ob man will oder nicht, auch über der Kunst, über der Poesie weht nämlich eine abwechselnd rote und schwarze Fahne.

[...] Die Rebellion rechtfertigt sich selbst, völlig unabhängig von den etwaigen Möglichkeiten, den Sachverhalt, der sie ausgelöst hat, zu verändern oder nicht. Sie ist der Funke im Wind, aber der Funke, der das Pulverfaß sucht.«

Und der wütende Paul Nizan 1931 in »Aden / Die Wachhunde«:

»Der homo oeconomicus marschiert gegen den letzten Menschen, bekämpft die letzten Lebenden und will sie zum Tode bekehren ... Es ist Zeit, den homo oeconomicus zu vernichten, er ist verletzbar wie ein Mensch, der nackt ist. Aber man kann ihn nicht überreden. Er weiß ja nicht, dass er einen zerstört, noch warum er es tut. Das Kapital verlangt einfach, dass er zerstört, es herrscht wie das Gesetz eines Gottes.«

VIII) Von der Notwendigkeit der Kommune, um den Staat zu zerstören

Durch Absonderung zur Gemeinschaft. Gustav Landauer über den Staat und ein neues Beginnen:

»Einen Tisch kann man umwerfen und eine Fensterscheibe zertrümmern, aber die sind eitle Wortemacher und gläubige Wortanbeter, die den Staat für so ein Ding oder einen Fetisch halten, den man zertrümmern kann, um ihn zu zerstören. Staat ist ein Verhältnis, ist eine Beziehung zwischen den Menschen, ist eine Art, wie die Menschen sich zueinander verhalten; und man zerstört ihn, indem man andere Beziehungen eingeht, indem man sich anders zueinander verhält. Der absolute Monarch konnte sagen: ich bin der Staat: wir, die wir im absoluten Staat uns selbst gefangengesetzt haben, wir müssen die Wahrheit erkennen: wir sind der Staat – und sind es so lange, als wir nichts andres sind, als wir die Institutionen nicht geschaffen haben, die eine wirkliche Gemeinschaft und Gesellschaft der Menschen sind.«

IX) Bestandsaufnahme

Ein Blick in »Versuch über die Befreiung« von Herbert Marcuse:

»Das verfügbare Material und die intellektuellen Ressourcen (das Potential der Befreiung) sind über die etablierten Institutionen derart hinausgewachsen, dass nur die systematische Zunahme von Vergeudung, Destruktion und Verwaltung das System in Gang hält.«

und

»Die revolutionären Kräfte entstehen im Prozeß der Veränderung selbst; die Übersetzung des Potentiellen ins Aktuelle ist die Arbeit politischer Praxis.«

und

»... die ökonomischen, politischen und kulturellen Züge einer klassenlosen Gesellschaft müssen die Grundbedürfnisse derer geworden sein, die um sie kämpfen. Dieser Einbruch der Zukunft in die Gegenwart, diese Tiefendimension der Rebellion erklärt letztlich ihre Unvereinbarkeit mit den traditionellen Formen des politischen Kampfes. Der neue Radikalismus widersetzt sich ebenso der zentralisierten bürokratisch-kommunistischen Organisation wie der halbdemokratischen liberalen. Ein starkes Element der Spontaneität, ja des Anarchismus ist in dieser Rebellion enthalten. Es drückt die neue Sensibilität, die Reizbarkeit gegenüber Herrschaft aus: das Gefühl und das Bewußtsein, daß die Freude an Freiheit und das Bedürfnis, frei zu sein, der Befreiung vorangehen müssen. Daher die Abneigung gegen bereits etablierte Führer, Apparatschiks jeder Sorte und Politiker, wie weit links sie auch stehen mögen.«

X) Gewissheit

Von Heidegger nichts zu verstehen, heißt noch lange nicht, ihn nicht auch gebrauchen zu können, als Sinnspruch für den Konferenzraum der »taz« etwa (kann aber auch auf Kissen gestickt werden und mit nach Hause genommen werden).

»Die hohle Mitte ist das Bestimmend-Prägende und Tragende für die Wandung der Wände und ihrer Ränder.«

A.S.H. | 28.01.11 12:13 | Permalink