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»Nach dem Tode, was hat da Gültigkeit?«

– Beuys’sche Parallelprozesse in Düsseldorf
von Jürgen Schneider

Mit der zweiten Quadriennale will sich Düsseldorf als Standort gegen die Kunstmetropole Berlin in Stellung bringen. Dem Berlin-Hype soll mit der Formel »Kunstgegenwärtig – Erinnerungen an die Gegenwart« Paroli geboten werden. Gegenwärtig ist dabei das Wenigste, wird der Blick doch primär auf die Arbeiten toter Künstler wie Joseph Beuys, Nam June Paik, Marcel Broodhaers und James Lee Byars gerichtet. Ein Kunstmagazin erklärte Düsseldorf zur »Heimatstadt« des 1921 in Krefeld geborenen, in Kleve ausgewachsenen und 1986 in seinem Düsseldorfer Atelier gestorbenen Beuys. Und wenn es um Standortpolitik geht, wird die Erinnerung an die Gegenwart natürlich geschönt, so getan, als sei Beuys, der 1961 an der Düsseldorfer Kunstakademie als Professor eine Klasse für »Monumentale Bildhauerei« übernahm, immer schon ein Liebling der NRW-Hauptstadt gewesen. Der Kunstkritiker Georg Jappe hat in seinem Buch »Beuys Packen« in einem Alphabet persönlicher Erinnerungen eine Düsseldorfer Marktfrau zitiert, die als Volkes Stimme gelten kann: »Da jeht die Büüs, dat is de Proffesor, wo immer so’n Terror macht.«

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Joseph Beuys, Honigpumpe am Arbeitsplatz (Honey pump at the workplace), 1977, Honig, Margarine, Schiffsmotoren, Pumpe, Stahlbehälter, Plastikschläuche, 3 Bronzekrüge, mit Zinn galvanisierte Edelstahlrohre, Kupferwalze, Maße variable, Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk, Dänemark, © VG Bild-Kunst, Bonn 2010, Foto: Achim Kukulies

Der damalige SPD-Kultusminister Johannes Rau ließ Beuys 1972 nach jahrelanger universitärer und außeruniversitärer Hetze unter Polizeieinsatz aus der Akademie entfernen, und die Stadtverwaltung hintertrieb die Überlassung einer leer stehenden Industriehalle, in der Beuys seine Lehrtätigkeit (die er im Rahmen seines erweiterten Kunstbegriffes selbst als künstlerischen Prozess verstand) fortsetzen wollte. Die Freiheit, die Beuys meinte, fand keine Parallelität in den Politikvorstellungen der SPD des repressiven und expandierenden Modells Deutschland. Wie weit Beuys’ Vorstellungen von denen der Parteipolitikanten entfernt war, zeigt auch der Titel einer Zeichnung aus dem Jahr 1969: »Work only when you feel: your work starts revolution.« »Nichts«, so hatte Georg Jappe einst notiert, »hat Beuys mehr geschmerzt und seine Kräfte verzehrt als die Verjagung von der Akademie.« Mit nur wenigen objektivierenden Sätzen wird der Rausschmiss im Katalog zur Beuys-Ausstellung »Parallelprozesse« beschrieben. Die Wunde Beuys bleibt.

Um ihre Ausstellungskonzeption abzusichern, hatten die Direktorin der Kunstsammlung Nordhein-Westfalen, Marion Ackermann, und die Kuratorin Isabelle Malz vorab Experten eingeladen, in der Vortragsreihe »Beuys ausstellen?« die Frage nach dem heutigen Umgang mit den Werken von Beuys zu beantworten. Bazon Brocks Behauptung, dessen Werke könnten heute nur noch in einer Prozession wie Monstranzen durch die Stadt getragen werden, begegnete Ackermann mit der erschrockenen Antwort: »Aber wir sind doch ein Museum!«

In ihrer Ausstellung wird jedoch deutlich, wie wenig museal das Beuys’sche Œuvre ist. Die Zeitgeistbehauptungen vom »Verblassen« werden ins Reich des wishful thinking verwiesen; die Herausforderung Beuys ist heute so groß wie zum Zeitpunkt des Entstehens seiner Werke. Anders als bei der Beuys-Show im Berliner Hamburger Bahnhof im Jahre 2008 wird dem Besucher nicht durch eine Kakophonie sich überlagernder Videotöne die Betrachtung der Exponate verleidet. Sobald man dem »Torso« einer Frauengestalt, einer Arbeit aus den Jahren 1949/51, gegenübersteht, ist man einer Stille überlassen, die Voraussetzung für eine kontemplative Begehung ist. Statt ausufernder vermeintlich museumspädagogischer Erläuterungen zu den Werken finden wir unauffällig angebrachte Schilder mit Titel, Entstehungsjahr und verwendeten Materialien. Die Kritik, dass die Rauminstallation »Zeige deine Wunden« (1974/75) zu hell und luftig geraten, das aus dem australischen Canberra entliehene Environment »Stripes from the house of the shaman« (1964-72) zu düster ausgeleuchtet sei, muss angesichts der zur ruhigen Werkbetrachtung einladenden Gesamtkonzeption in den Hintergrund treten.

Die nahezu 300 Werke umfassende Ausstellung ist in drei Teile und um zehn Rauminstallationen bzw. große skulpturale Arbeiten herum gegliedert. Zeichnungen, Objekte, Vitrinen, plastische Bilder, Buchprojekte, Multiples, wenige Videos (wie etwa das von der Coyote-Aktion in New York City) sowie Aktionsrelikte bilden Kontextfelder zu den größeren Arbeiten. Zu den Aktionsrelikten zählen etwa die »Honigpumpe am Arbeitsplatz«. Sie ist ein Überbleibsel der documenta 6 des Jahres 1977, als Beuys in dem Versuch, das Metaphorische des Begriffs der Sozialen Skulptur als einem Kreislaufprinzip das Horizontale und Verbale der Hundert-Tage-Konferenz der Free International University mit dem Vertikalen und Visuellen der Honigpumpe verband. Als »Ablegung« verweisen die Elemente der Honigpumpe – Motoren, Schläuche, Gestänge, Stahleimer – auf den einstigen Arbeitsplatz, auf die kollektive Diskussion, als warteten sie auf ihre Reaktivierung, entfalten aber zugleich eine neue, skulpturale Bedeutung. Ähnlich verhält es sich mit der »Straßenbahnhaltestelle (A Monument to the Future)«. Mit diesem Werk hat Beuys 1976 bei der Biennale in Venedig eine Plastik als zeitlich befristetes Ereignis vor Augen geführt. Das Werk geht zurück auf ein Schlüsselerlebnis der Kindheit in Kleve, als er sich an einer Straßenbahnhaltestelle »absinken« ließ in die Betrachtung eines Friedensmonumentes, er erkannte, »dass die ganze Welt abhängt von der Konstellation von ein paar brocken Material«. Die räumliche Situation in Venedig – neben dem aufrecht stehenden Kanonenrohrabguß lag der Schutt der Fundamentaushebungen – hat Beuys in eine andere Intensität überführt, sie weiterentwickelt zu einer horizontalen Plastik, die freilich die Aktion am Lido in sich bewahrt.

Wer den Ausstellungsparcours durchschreitet, stößt zwangsläufig auf die Tiere, die für Beuys eine wichtige Rolle spielten, nicht erst seit er, zum Bildhauer geworden, in der Klasse des Tiergestalters Ewald Mataré studierte. Da ist der Hirsch, der in den frühen Zeichnungen zur wichtigen Leitfigur wurde und der in der arg ratlos-gekünstelt präsentierten 39teiligen Plastik »Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch (1958-85)« silbern zwischen amorphen Urtieren erstrahlt; da ist der Hase, dem er einst die Bilder erklärte, und da ist die Biene als Ausgangspunkt für seine plastische und soziale Wärmetheorie mit dem Verweis auf den Wärmecharakter von Wachs, Honig und Pollen. Wärme, so heißt es in dem Katalogbeitrag von Gottfried Boehm, »ist das von Beuys neu ins Spiel gebrachte plastische Wirkungsquantum, sein eigentlich innovatorischer Beitrag zur Geschichte plastischen Gestaltens.«

Zu sehen sind auch einige der 355 »fast utravisiblen« (J. B.) Bleistiftzeichnungen, mit denen Beuys zwischen 1958 und 1961 »im Auftrag von James Joyce den ›Ulysses‹ um sechs weitere Kapitel« verlängerte. In diesen Heften erwähnt sind auch die Substanzen »fett/felt«, in einem Wortspiel à la Joyce, das den Beginn der kreativen Prozesse von Beuys markiert.
Das Ende dieser Prozesse markiert die Ende 1985 in Neapel entstandene Rauminstallation »Palazzo Regale«, die an eine kostbare Grabkammer erinnert und als Resümee der Beuys’schen Künstlerexistenz anzusehen ist. An den Wänden hängen sieben mit Firnis und Goldstaub überzogene Messingtafeln, die beiden vergoldeten Vitrinen enthalten »autobiographische Aspekte« (J. B.), Filz, Fett, Relikte von Aktionen. Mit dem Element Gold, das Beuys mit dem menschlichen Kopf und der Transformation des Bewusstseins verband, wollte er auf die geistige Überwindung des Todes hinweisen.

Joseph Beuys Parallelprozesse, K20, Grabbeplatz, Düsseldorf, bis zum 16. Januar 2011; Katalog, gebundene Museumsausgabe, 432 Seiten, Abbildungen aller gezeigten Werke, 49,90 Euro. www.kunstsammlung.de

A.S.H. | 18.10.10 17:37 | Permalink