« KRISEN UND JUBILÄEN - telegraph 120/121 erschienen | Hauptseite | David Harvey erklärt die Hintergründe der Krise »

BAADER starb vor 20 Jahren

wir soffen rauchten und waren unglücklich
unsre kinder zeugten wir stets im stehn
immer zwischen 7 und 10
so vergingen unsre tage
wer an etwas glaubte wurde erschossen

schappy-1.jpg
Peter Wawerzinek (telegraph-Autor und Bachmann-Preisträger 2010) bei der BAADER-Ausstellungseröffnung in Halle/S.

Eine Ausstellung erinnert im Stadtmuseum Halle/S. an „Matthias“ BAADER Holst.

Ostberlin vor 20 Jahren: kurz nach dem Höhepunkt seiner Ausschweifungen, der Fall von „Matthias“ BAADER Holst – der Fall vor eine Straßenbahn. Woran er wenige Tage später, am 30. Juni 1990 im Krankenhaus starb.
Begonnen hatte alles mit seiner Geburt und die war in Quedlinburg, einer Stadt an der Bode nördlich des Harzes. Bald verschlug es ihn nach Halle, in eine jener DDR-Städte, die bis Mitte der 80er Jahre vom Charme des Zerfalls und Patina geprägt waren. Hier gab es eine aktive Künstler-, Punk- und Saufszene. Kombiniert mit der vorherrschenden Härte politischer Oppositionsgruppen mit anarchistischem Hang, deren Ende klar umrissen war – Knast oder (und) Westen. Alles in allen ein produktiver Boden, auf dem BAADERs Tanz begann. Er hielt sich auch gar nicht mit der Phase der langen Haare auf: Kurzhaarschnitt – Tendenz Glatze, stand ihm besser. Natürlich war die Wahl seines Zusatzes BAADER eine Reminiszenz auf den Dadaisten Johannes Baader und dem RAF-Aktivisten Andreas Baader.

zwischen-bunt-und-bestialisch.jpg
"Matthias" BAADER Holst

In Halle lernte er den Beruf eines Baufacharbeiters, jobbte als Aushilfspostbote und Bibliotheksmitarbeiter und las und las und las – und fing an eigene Texte zu schreiben. Diese schmiss er seit 1983 in endlosen Wortkaskaden den ratlosen Zuhörern vor die Füße oder sang sie als Frontmann der Künstlerpunkband „Die letzten Recken“. Ab 1985 verlegt er mit Peter Winzer und Udo Wilke in einer Kleinauflage die Literaturzeitschrift „Galeere“. Nach der dritten Auflage wurde die „Galeere“ wegen „Herausgabe nicht lizensierter Druckerzeugnisse“ verboten und eine Ordnungsstrafe ausgesprochen. BAADERs Texte, eine Montage aus politischen Schlagwörtern, erotischen Träumen und Zitaten aus der Literatur, erschienen danach in literarischen Samisdat-Veröffentlichungen Ostberlins, wie „Entwerter/Oder“, „Liane“ oder „Bizarre Städte“.

traurig_presse.jpg
"Matthias" BAADER Holst

Im Jahre 1988 machte sich ein anderer Querdenker und -schreiber, Peter Wawerzinek, genannt „ScHappy“, aus Berlin auf die Suche nach BAADER, von dem er viel hörte, fand ihn in Halle und nahm ihn mit in den Prenzlauer Berg. Es folgten zwei Jahre produktiven Ärgers: Lesungen, Ausstellungseröffnungen und Konzerte der „Subkultur“ wurden besucht, gestört und gekapert. Sie mochten weder die Lederstiefel von Sascha Anderson, noch die Wichtigtuerei der Klemm-Mappen-Lesungen, auch keine Nichtrauchergalerien oder Konzerte von Bands mit Einstufung. Die beiden entwickelten ihre subversive Kraft, als die Prenzlauer Berg-Szene schon als Leiche verweste, sie tranken ihr Bier lieber in Proletenkneipen und bei den Anarchisten der „Kirche von unten“ als in den neu entstehenden Bars und den alten Künstlercafes. Manchmal sang BAADER dann doch mit seiner Band „Frigitte Hodenhorst Mundschenk“ (mit Bo Kondren und dem heutigen Keyboarder von Rammstein Flake Lorenz) bei ungeliebten Ausstellungseröffnungen. Aber was heißt sang, meist wälzte er sich auf dem Boden und näherte sich, mit seinen Fingern in Rotweinlachen kreisend, unsittlich den Schuhen der anwesenden Prominenz. Dabei verließen, manchmal verständlich hörbar, Wörter seinen Körper.

baader-wawerzinek.jpg
BAADER und ScHappy, Ende der 1980er Jahre

Am 4. November 1989 in Berlin, zur größten Demonstration der „siegreichen friedlichen Revolution“, schmetterte BAADER mit Hilfe eines Megaphons im schwarzen Block kämpferische Gedichte zu Ehren Enver Hoxhas. Sie verhalten im friedlichen Nirwana. Doch verließ auch „Matthias“ BAADER Holst die Kraft mit dem Sterben des „Vaters DDR“. Seine Performances wurden seltener, seine Auftritte lustloser. Zeit für neue Zeiten.
BAADER arbeitete zur „Wende“ an seinem ersten Buch, dessen Veröffentlichung er nicht mehr erlebte. Das erste „Koitusbonzen rotzen“, erschien im Herbst 1990, herausgegeben von Peter Wawerzinek und Freunde bei HinkelsteinDruck Berlin. Diese Druckerei wurde zur Wende von Mitgliedern des libertären Flügels der „Kirche von unten“ in Friedrichshain gegründet. Unter ihnen Silvio Meyer, der 1992 von Nazis im U-Bahnhof Samariterstraße erstochen wurde. Das Buch kam nie in den Handel. Die folgenden zwei Buchveröffentlichungen „traurig wie hans moser im sperma weinholds“und „koitusbonzen rotzen / zwischen bunt und bestialisch: all die toten albanier meines surfbretts“ erschienen im Verlag von Erich Maas, der auch zusammen mit Uwe Warnke BAADER mit einer Kamera durchs Land begleitete, das Ergebnis heißt „Briefe an die Jugend des Jahres 2017“ und wurde in einer Kleinstauflage als VHS vertrieben. Und es erschienen Siebdruckeditionen mit Moritz Götze und Jörg Herold.

Nun 20 Jahre nach seinem Tod gewinnt das Gedenkrad an Schwung. Im Stadtmuseum Halle läuft noch bis zum 30. Juli die Ausstellung „Matthias“ BAADER Holst (1962-1990. Die von Moritz Götze und Peter Lang kuratierte Ausstellung vereint alles von und über BAADER.

schappy-2.jpg
Peter Wawerzinek zur Ausstellungseröffnung im Stadtmuseum Halle/S.

In Vitrinen sind Schreibmaschinenmanuskripte zu sehen, Schulhefte mit Gedichten und Zeichnungen, Künstlerbücher, Editionen und das Hab und Gut, welches er 24. Juni 1990 bei der Einlieferung ins Krankenhaus mit sich trug: eine weißgerahmte Sonnenbrille, ein Armband, eine Schachtel Karo-Zigaretten, eine Packung "Sprachlos"-Zigarillos. In den Museumsräumen sieht man plakatierte Schwarzweißfotos oder gerahmte Originalabzüge: BAADER in Posen als Seemann oder Häftling, nackt auf einer Haustreppe, in Uniform der Volkspolizei, oder Aufnahmen zusammen mit Peter Wawerzinek. Daneben Berichte der informellen Mitarbeiter der Staatssicherheit "Dorstewitz", "Faust" oder "Elliot". Vermutlich hätte BAADER dieser „Lektüre“ nicht mal ein Gähnen gewidmet. Seine ganze Kraft, sein Witz und Wortgewitter ist in dem 4minütigen Super-8-Film Baader in Leipzig von Jörg Herold zu erleben. Einem hektischen Reiseführers ähnlich erklärt BAADER die Sehenswürdigkeiten der Leipziger Innenstadt. Oder man hört rein in die Kassetten, die den Editionen „Liane“ oder „Entwerter/Oder“ beigelegt wurden und „almdurtriefend“ oder „Miliz Christi: Nigra sum" heißen.
Während der Ausstellungszeit erscheinen im Hasenverlag Halle zwei Bücher: „Matthias“ BAADER Holst – hinter mauern lauern wir auf uns, ein Textbuch von Tom Riebe. Das Buch enthält erstmals komplett all diejenigen Texte, die noch zu BAADERs Lebzeiten in Künstlerbücher und Editionen erschienen sind. Als Sättigungsbeilage liegt dem Buch zudem eine DVD mit zwei Filmdokumenten bei. Abgerundet wird das Ganze mit einem Editionsbericht und einer biografischen Zeittafel.
Und Das Desinteresse von Peter Wawerzinek. Es beinhaltet Schappys ganz persönlichen Erinnerungen an BAADER. Gemeint ist das Desinteresse von Seiten eines Teils der Ostberliner Szene. Peter Wawerzinek: "Auf den Leibern der Gruppenmitglieder hat nur der Szenekönig selbst getanzt."

„Matthias“ BAADER Holst (1962-1990), Stadtmuseum Halle/S., Große Märkerstraße 2, bis 30. Juli, Di-So 10-17 Uhr
Baader Holst: hinter mauern lauern wir auf uns. Texte bis 1990. Tom Riebe, Hasenverlag, Halle, 276 S., geb., mit DVD, 19,80 Euro
Das Desinteresse. Der Dichter "Matthias" BAADER Holst. Peter Wawerzinek, Hasenverlag, 126 Seiten, 12,80 Euro.

natter | 02.07.10 22:58 | Permalink