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Keine Gewalt

Fast geschafft, dass erste Jubeljahr ist bald zu Ende – 20 Jahre Anfang vom Ende – und Ende vom Anfang dann nächstes Jahr. Es ist schon spaßig wie die heutigen Gesetzesschaffer und –hüter die Gesetzesbrecher von damals feiern.

Wenn es sein muss vor Polizeischülern in Zivil am Brandenburger Tor, wo von Schulklassen bemalte Pappmauern zum Einsturz gebracht wurden. Verkrampft wurde versucht einen unorganisierten Aufbruch für einen demokratischen Sozialismus im Herbst 89 zum Wiedervereinigungsvolksaufstand umzudeuten. Und um ja kein Zweifel aufkommen zu lassen, dass eigentlich Revolutionen abgelehnt werden (Unterstützung von Niederschlagung revolutionärer Bewegungen seit Staatengründung der BRD inklusive), heißt es natürlich „Friedliche Revolution“.

Ob der Herbst 89 in der DDR friedlich war oder nicht ist nicht entscheidend, in Rumänien wo mit den Despoten kurzer Prozess gemacht wurde, käme wohl niemand auf die Idee die Ereignisse vor 20 Jahren anders zu beurteilen wenn sie so wie in der DDR gelaufen wären.
Aber der Begriff „Friedliche Revolution“ in der DDR ist eine Mär. In Dresden eskalierte die Gewalt am 4. Oktober 1989. Im Zusammenhang mit der Ausreise von DDR-Flüchtlingen über die Prager Botschaft wurden am 4. Oktober 1989 vier Züge durch den Dresdner Hauptbahnhof geleitet. Vor und im Bahnhof versammelten sich ca. 5.000 Menschen, teilweise mit dem Ziel, gewaltsam in die Züge zu gelangen. Als die Polizei einschritt und den Bahnhof räumte, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen, bei denen Bürger die Polizei mit Pflastersteinen bewarfen und Teile des Bahnhofes demolierten. Ein Polizeiauto wurde dabei angezündet. Die Polizei setzte Wasserwerfer, Tränengas und Schlagstöcke ein und nahm zahlreiche Bürger fest. Diese Ereignisse führten aber nicht zur Distanzierung der oppositionellen Gruppen sondern waren der Beginn des Dresdner Dialogs. Ähnliche Vorfälle gab es am 7. Oktober in der ganzen Republik. Das es ab dem 9. Oktober 1989 zu keinen Gewaltanwendungen seitens der Demonstranten gegen Polizei- und Armeekräfte mehr kam ist dem Umstand geschuldet, dass es einfach nicht notwendig war. Erinnert sei auch an vereinzelnde Meutereien und Soldatenräte.
Was Polizeigewalt bedeutet, konnten wir dann wieder ab dem 3. Oktober 1990 erleben: Brutale Polizeieinsätze in Berlin bei der Demonstration „Deutschland halts Maul“ und der Räumung der Mainzer Straße im November 1990.
Auch gab es in den Wendezeiten1989/90 etliche Tote. Die Zahl der Selbsttötungen in Funktionärskreisen wird auf hundert geschätzt, darunter zwölf Selbstmorde hoher DDR-Funktionäre. Bauminister Wolfgang Junker und Johanna Töpfer, Vizechefin des Gewerkschaftsbunds. Johanna Töpfer schluckte am 7. Januar 1990 Gift, weil sie sich auf dem Gewerkschaftstag nicht verteidigen durfte. Ende des Monats stellte sich heraus: Die Vorwürfe des Amtsmissbrauchs waren unberechtigt. Wolfgang Junker wurde für rechtswidrige Bauten von Funktionären verantwortlich gemacht. Ob die Vorwürfe stimmten, blieb ungeklärt.
Weitere waren Gerhard Lange, Chef der Staatssicherheit in Suhl und die Stasibezirkschefs aus Dresden und Neubrandenburg Horst Böhm und Peter Koch, der SED-Kreischef Bautzens, Heinz Mieth, die SED-Kreisvorsitzenden von Köthen (Sachsen-Anhalt) und Perleberg (Brandenburg) und der Vizechef des DDR-Sportbunds, Franz Rydz.
Wie viele SED-Genossen sich töteten, ist offen: Lehrer und Universitätsangehörige, die sich vor Schülern oder Studenten schämten; Journalisten, die von Lesern oder Hörern vorgehalten bekamen, was sie früher gesagt hatten; Offiziere und Soldaten. Über deren Tod gab und gibt es keine Zeitungsmeldungen und auch kaum öffentlich zugängliche Unterlagen.
Die Herbstereignisse 89 waren aber auch auf ganz anderer Weise nicht friedlich. Seit dem Sommer 1989, und ab Oktober verstärkt, kam es zu offenen rassistischen und faschistischen Übergriffen auf Nichtdeutsche, Punks und Linke. Ab Ende Oktober wurden vor laufenden Kameras und anwesenden Polizisten Nichtdeutsche attackiert, das seit dem Sommer 1989 besetzte Haus in der Berliner Schönhauser Allee, genau neben dem Polizeipräsidium, wurde nach den Fußballspielen des BFC Dynamo, regelmäßig angegriffen. In Berlin, Erfurt und Weimar wurden Mitglieder des Neuen Forums und der VL von Nazis krankenhausreif geschlagen. Es wurde ein Haus in der Berliner Lichtenberger Weitling Straße von der faschistischen „Nationalen Alternative (NA)“ besetzt. Von dort gab es regelmäßig Überfälle auf neugegründete Kneipen und besetzte Häuser. Im Dresdner Alternativstadtteil Neustadt kam es zeitweise täglich zu faschistischen Überfällen. Die Polizei griff fast nie ein. Diese Entwicklung mündete in den uns allen bekannten pogromähnlichen Vorfällen in Rostock und Hoyerswerda.
Doch gab es den Aufruf „Keine Gewalt“ sehr wohl in allen Städten. Er richtete sich an die Polizei, die am 7. und 8. Oktober 89 die Demonstrationen auseinanderprügelten und viele Beteiligte festnahmen. Zur alles entscheidenden Montagsdemonstration am 9. Oktober 89 in Leipzig verteilten mehrere Oppositionsgruppen Leipzigs ein Flugblatt, indem die Losungen Keine Gewalt und Wir sind ein Volk auftauchten. Darin wurden die Polzisten aufgerufen keine Gewalt anzuwenden, denn: „Wir sind ein Volk“. Genau, gemeint waren an diesem Tag mit dem Volk die Bürger der DDR.
Seit dem ist viel Wasser die Spree herunter gelaufen. Klar wurde sehr schnell, nur die Polizei in parlamentarisch legitimierten kapitalistischen Staaten darf Gewalt anwenden – und das in allen Facetten. Es gibt Demosprüche die sind zeitlos, etwa: „Ich bin nichts, ich kann nichts – gib mir eine Uniform!“ Aber „Wir sind das Volk!“… Das liegt nicht nur an den Debatten zum Thema Volk und völkisch, oder der Globalisierung. Sondern auch am mangelndem Selbstvertrauen als Citoyen die Stadt und das Land mitzugestalten.

natter | 31.12.09 01:10 | Permalink