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Ein kaputter Schalter und die Folgen

Alles für meinen Vater, Regie: Dror Zahavi

Von Angelika Nguyen

Ganz am Anfang sagt Tarek, warum er sich in Tel Aviv in einer Menschenmenge in die Luft sprengen will: Weil die Israelis ihn von Geburt an nicht mal träumen lassen. Weil sie ihn nicht Maradona werden ließen. Weil er nicht gehen kann wohin er will.
Dann passiert das Unglaubliche: nachdem er als Selbstmordattentäter auf dem Carmel Shuk, dem größten Markt in Tel Aviv, die Bombe wegen eines kaputten Schalters nicht zünden konnte, muss er eine Pause einlegen. Zu allem Überfluss ist am nächsten Tag auch noch Shabbat, wenn so gut wie keine Israelis unterwegs sind, die Straßen leer, die Shuks geschlossen, die Busse im Depot.

So bleibt Tarek, dem Palästinenser aus dem Westjordanland ein unvermutetes Wochenende in Tel Aviv. Eine Zeit, in der er auf der Suche nach der Lösung für sein Schalterproblem den Elektrohändler Katz trifft, Einwanderer aus Rumänien, der mit anderen Kleinhändlern in einem armen Viertel von Tel Aviv jenseits der strahlenden Metropole lebt. Spätestens nachdem Tarek den Fußball zu einigen Kindern gekickt hat, findet auch die Ausreißerin Keren ihn cool. Nachdem anfangs reine Notwendigkeiten ihn zu den jüdischen Bewohnern treiben – von Katz braucht er einen neuen Schalter für die Bombe, von Keren kurzes Verschnaufen auf ihrer Toilette – lernt er sie näher kennen. Auf dieser zeitlich begrenzten Entdeckungsreise mit tödlichem Untertext erzählt der Film eine der schönsten Kinogeschichten der letzten Jahre. In Keren mit den Pinksträhnen und Plateauschuhen, auf der Flucht vor den Dogmen ihrer ultraorthodoxen Gemeinde, wird Tarek sich verlieben. Tarek wird in die kleine Gemeinde aufgenommen. Ab und zu läuft Schaul durchs Bild, eine Art uniformierter Schlehmil, der andauernd Tarek enttarnen will, weil es eine Terrorwarnung gibt. Wie jeder Narr sagt Schaul die Wahrheit und wird nicht ernst genommen. Tragik und Komik liegen hier dicht beeinander. Inzwischen bekommt Tarek immerzu Einladungen - Abendbrot bei Katz und Zipora, Fahrrad fahren mit Keren. Jedoch was er da unter seinem Hemd mit sich herumträgt, ist und bleibt eine Bombe. Ständig rufen Tareks Leute an und ermahnen ihn, das Ding möglichst bald zu zünden. Der Shabbat gewährt Tarek Aufschub, den er sich mehr und mehr wünscht.
Der Film zeigt ein Stück Utopie, ein märchenhaftes Innehalten, was wäre, wenn die Israelis und Palästinenser einander umarmen statt Bomben zu zünden. Aber kann eine Geschichte, die im Westjordanland und in Tel Aviv spielt, überhaupt gut ausgehen?
Dror Zahavi inszeniert den Film mit Zärtlichkeit und Härte zugleich. In der Geschichte des verhinderten Attentäters Tarek, der friedlich ins Feindesland gerät, sind Elemente großer sowjetischer Filme wie “Der letzte Schuss”, wo sich zeitweise ein Liebesppaar aus verschiedenen Welten trifft, wie “Ballade vom Soldaten”, wo der Soldat genau wie Tarek noch das Dach reparieren will, bevor er in den Krieg zieht, aber auch des polnischen Klassikers “Asche und Diamant”, wo ein Auftragsmörder in letzter Minute die Liebe findet. Die klassischen Konstellationen bescheren dem Film “Alles für meinen Vater” große Momente. Katz zum Beispiel, der seit dem Tod seines Sohnes in der israelischen Armee immer wieder alle Hydranten in der Straße aufdreht. Oder Keren und Tarek hören, sich einen Kopfhörer teilend, gemeinsam am Meer Musik.
Die Grausamkeiten in “Alles für meinen Vater” kommen weniger vom Feind, eher von den eigenen Leuten: Keren wird von orthodoxen Nachbarn fast verprügelt. Katz’ Sohn ist als Soldat nicht etwa durch eine palästinensische Kugel, sondern an systematischem Wasserentzug gestorben. Tereks Vater wiederum wurde von Landsleuten wegen Kollaboration terrorisiert und Terek selbst zum Attentat gedrängt, notfalls per Fernzündung. Terek nämlich will nicht sterben, weil er die Israelis hasst, sondern weil er seinem Vater Ehre und Frieden wieder bringen will. Aber wie sagt Katz zu ihm: “Es wird ihm nicht helfen. Es wird deinen Vater umbringen.” Die Grenzen, zeigt Zahavi, verlaufen möglicherweise noch woanders als an den Checkpoints.

www.allesfuermeinenvater.de

A.S.H. | 10.02.09 09:03 | Permalink