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Kloster oder Leben

Der Petersberg thront wie eine Krone über der Altstadt Erfurts. Er ermöglicht einen einzigartigen Blick über die Landeshauptstadt und darüber hinaus. Der Petersberg ist zwar physisch im Stadtraum anwesend, aber für die Einwohner und Touristen Erfurts durchaus nicht präsent.
Immer wieder wurde in den letzten 40 Jahren der Versuch unternommen mit unterschiedlichen Konzepten den Petersberg einschließlich der benachbarten Gebäude stärker zu einem öffentlicher Raum werden zu lassen, der von einem breiten Spektrum der Erfurter Bevölkerung genutzt wird.

Vor 35 Jahren entwarf Herman Henselmann, Stararchitekt der DDR, einen ikonografischen Turm der Wissenschaft für den Petersberg, der Erfurt als Stadt der Forschung und der Jugend markieren sollte. Auf dem Petersberg ein Zentrum für Kinder, Jugend und Forschung einzurichten, wäre auch heute mutig und symbolträchtig. Erfurt ist eine Universitätsstadt, wenngleich die Universität in der Innenstadt nicht spürbar ist. Erfurt ist eine Stadt der Kinder, die nur am Martinstag das Bild der Altstadt prägen.
In einem vom Erfurter Stadtrat verabschiedeten Rahmenplan Petersberg sind Leitmotive und Ziele zur stärkeren Verortung im Bewusstsein der Erfurter festgeschrieben. Erste Ergebnisse dieser verbindlichen Leitplanung sind eine bessere infrastrukturelle Vernetzung mit dem Stadtgefüge und eine Nutzung als öffentlicher Grünraum.

Die Pläne des Vereins "Geschichtsort Peterskirche" in der Kirche eine Art Heimatmuseum einzurichten, konnten bisher glücklicherweise nicht realisiert werden. Neueste Vorschläge einer Nutzung, unter dem Arbeitstitel Nachbarschaftsprojekt St. Peter & Paul sehen für die ehemalige Defensionskaserne, das Gebäude des Landesamt für Denkmalpflege und die Peterskirche ein ökumenisches Collegiat vor. Wissend, dass die Stadt Erfurt genügend Kirchen und Klöster hat und nur 20% der Erfurter Bevölkerung konfessionell gebunden sind. Das im Konzept formulierte Ziel einer dauerhaften Wohnnutzung in den ehemaligen Kasernengebäuden widerspricht dem Gedanken einer Öffnung des Petersberges für alle Erfurter Bürger.

Die Ideengeber des Nachbarschaftsprojekt St. Peter & Paul formulieren ihr Anliegen so: "…im Zentrum dieser Überlegungen der kultur- und geistesgeschichtliche Rückgriff auf die älteste und geschichtsprägendste Epoche des Petersberges: die 700 Jahre währende Zeit des Benediktinerklosters. In Zukunft kann dieser einzigartige Dachgarten Erfurts und die … Kirche nur gewinnen, wenn man behutsam und entschlossen anknüpft an die jahrhundertealte Tradition dieses Ortes - und zwar in doppelter Hinsicht: geistig-geistlich und baulich-infrastrukturell. Geistig-geistlich mit der Gründung einer christlichen Gemeinschaft, die an vor-benediktinische (Collegiatstift) und benediktische Traditionen anknüpft. … indem man diese Kirche wieder zu dem macht, wofür sie gedacht und gebaut wurde: zu einem Ort der Besinnung, des Chor-Gesangs und der geistigen Orientierung - als ein lebendiges Denkmal und eine spirituelle, kulturelle und soziale Oase in der Stadt und für die Stadt. … Dass an diesem Ort - nächst dem Augustiner- und Ursulinenkloster - eine weitere Pilger-Herberge für die Pilger des Jakobs-Pilgerweges eingerichtet werden müsste, versteht sich beinahe von selbst."

Beide Projektideen für den Petersberg thematisieren nicht, dass es seit 15 Jahren in der Peterskirche eine der wenigen Orte für Gegenwartskunst in Erfurt gibt, ein städtisches Museum, das Forum Konkrete Kunst. Die außergewöhnliche räumliche Situation, verbunden mit der wechselvollen Geschichte, inspirierte 120 Künstler aus 15 Ländern zu einer alternativen Präsentation der Kunstwerke und schuf ein einmaliges Museum. Das Forum Konkrete Kunst ist eine wichtige Plattform für Präsentation neuer Arbeiten der Konstruktiv-Konkreten Kunst sowie für internationale Kolloquien zur Theorieaufarbeitung der Entwicklung auf diesem Gebiet. Im Jahre 1992 unterbreitete der Künstler und Projektmacher Jürgen Blum-Kwiatkowski der Kulturdirektion Erfurt die Idee, dieses Museum zu schaffen. In der Eröffnungsrede vor 15 Jahren sagte der Kunstwissenschaftler Dietrich Mahlow: "Die Kunst gehört zur Wirklichkeit unseres Lebens. Das zeigt diese Stadt mit diesem neuen Museum in einer Zeit, in der solche Wagnisse selten geworden sind…".
Wurde bei der Eröffnung des Forums noch das spannende Miteinander von moderner Kunst und romanischer Architektur gewürdigt, gibt es seit Jahren kaum städtische Unterstützung für das Museum. Und über die neuen Pläne, die den Verbleib des Forums nicht vorsehen, erfuhren die Betreiber aus den Medien, und das, obwohl der Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein über die Beratergruppe in das Nachbarschaftsprojekt St. Peter& Paul involviert ist. Unklar ist allerdings, warum das "Nachbarschaftsprojekt" die Konzepte der konkreten Kunst nicht mit ihren Ideen in einen Zusammenhang gebracht haben, ist doch gerade die konkrete Kunst purer Ausdruck des Geistigen, eine Kunstform, die sich mit Maß, Harmonie und ordnenden Systemen befasst.

Eine weitere Belebung des Petersbergs ist notwendig. Ansätze gab es in letzter Zeit immer wieder, wie im Kleinen die Errichtung eines Bürgerparks mit Boulebahnen auf dem unteren Plateau. Dort entstand ein einzigartiger und kulturvoller Picknickort.
Es versteht sich von selbst, dass die Erfurter nicht nur über zwei bisher vorliegende Konzepte debattieren sollten. Der Klub 500 schlägt eine öffentliche, überregionale Ausschreibung zur Findung zeitgemäßer Nutzungsmodelle für das städtebaulich bedeutsame Areal Petersberg vor. Eine darüber befindende Jury sollte sich aus Mitgliedern des Stadtrates, Architekten, Vertretern der Universität und der Fachhochschulen, Künstlern und Kulturvermittlern zusammensetzen.

Der Petersberg ist die letzte große innerstädtische Entwicklungsfläche. Dieses schlummernde Potential muss unbedingt einer nachhaltigen, sensiblen und zukunftsgewanden Nutzung zugeführt werden. Auf der Krone Erfurts muss auch ein Zentrum und Treffpunkt der Erfurter Bevölkerung entstehen, welches in seiner Art einmalig ist.

natter | 25.11.08 14:31 | Permalink