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Nie wieder Monarchie!

Der Kanonenrauch ist verzogen, die Truppen aus den Straßen verschwunden, napoleonische Pferdescheiße aus dem Straßenpflaster gekratzt, der Erfurter Fürstenkongress ist vorbei.
In der Stadt Erfurt wurde der Einzug Napoleons nachgespielt, mit einem Biwak mit militärhistorischen Gruppen aus ganz Europa, Zapfenstreich und Militärkapellen. Anlass war ein Fürstenkongress aus dem Jahr 1808, als Napoleons I. sich mit dem russischen Zaren Alexander I. in Erfurt traf. Wichtigstes Ergebnis war die Unterzeichnung eines Bündnisvertrags, der später jedoch nicht eingehalten wurde.

Außer den beiden hatten sich vier Könige, eine Königin, 18 regierende Fürsten und Fürstinnen, sechs Erbprinzen und 24 weitere Prinzen in Erfurt versammelt. Die ganze Riege der damaligen Verantwortlichen für Kriege, Hunger und Unterdrückung wurde gehuldigt. Oder wie ein Vertreter der Erfurter Kulturdirektion treffend bemerkte, sie feiern heute den Tod von 4 Millionen Menschen.

Der Höhepunkt war ein Ball im Erfurter Kaisersaal. Die Gäste mussten in historischen Kostümen, Frack oder Ballkleid erscheinen. Dort finden sonst so anspruchsvolle Veranstaltungen wie „Caveman-du sammeln ich jagen“, „22. Thüringer Hochzeitskleiderball - Ball Mariage“, „DinnerKrimi: Mord an Bord, Mylord!“, „Ü 30-Party - Feiern wie früher“, oder „Tanztee mit Gerda Gabriel statt. Das klassizistischen Kultur- und Kongresszentrum ist eine Kapitalgesellschaft mit Beteiligung der Stadt. Der ehrenamtliche Beigeordnete Karl-Heinz Kindervater ist Geschäftsführer der Kaisersaal Gastronomie und Veranstaltungs GmbH und der Leiter der Erfurter Kulturdirektion Jürgen Bornmann ist Geschäftsführer der „städtischen“ Kaisersaal Erfurt GmbH. Diese ist für die Verluste zuständig und erhält nach dem aktuellen Wirtschaftsplan seit 2006 von der Stadt einen jährlichen Zuschuss in Höhe von 782.400 Euro und hat nach Auskunft der gleichen Aufstellung einen Jahresverlust in Höhe von 1.101.100 Euro. Herr Kindervater ist gleichzeitig auch Vorsitzender des Vereins Kaisersaal-Kulturförderung e.V.. Damit kommt er auch an öffentliche Geldtöpfe. Kürzlich erhielt er 25.000 Euro aus Lottomitteln für den Fürstenkongress. „Das Geld brauchen wird unbedingt", sagte er. „Es sind noch Kostüme und Kutschen zu bezahlen, Personal für Technik und Buchhaltung. Die wehrhistorischen Gruppen, die anreisen kosten genauso wie die zwei großen historischen Orchester.“
Die Ausstellung "In unserer unbeschreiblich bedrängten Lage. Erfurt als Domäne Napoleons 1806 bis 1814" im städtischen Ausstellungshaus Krönbacken sorgt indes für Diskussionen. Vorwürfe dagegen erhob Reiner Praß, Lehrbeauftragter an der Arbeitsstelle Historische Anthropologie an der Universität Erfurt. Er bezeichnete diese Ausstellung als geprägt durch eine nationalistische Geschichtsauffassung. In einem Brief an den Erfurter Bürgermeister schrieb er: „Diese nationalistische Darstellung offenbart sich durch inhaltliche Fehler, vor allem aber durch ihren polemischen Unterton“. Absichtlich würde ein Bild erzeugt wonach sich ein deutsches Volk unter Napoleons Herrschaft leidend und unterdrückt gefühlt hätte und sich von Anfang an gewehrt hätte und alle Reformbestrebungen dieser Zeit würden verschwiegen werden.
Eine für das Jahr 2010 geplante Ausstellung zum 65. Jahrestag „8. Mai - Tag der Befreiung“ im Stadtmuseum soll hingegen nach dem Willen der Kulturausschussmitglieder der CDU gestrichen werden. Ihre offizielle Begründung, die beantragten 50.000 Euro für die Ausstellung wären zu viel, es müsse gespart werden in allen Bereichen. Zur kurzen Erinnerung, für die aktuelle sechswöchige Ausstellung mit dem Titel „Feine Leute: Mode und Luxus zur Zeit des Empires“ im Erfurter Museum für Thüringer Volkskunde wurden von der Stadt 135.000 Euro bereitgestellt.

Derweil kommt die Debatte über die kulturelle Ausrichtung der Stadt und die anhaltende Zurückhaltung von Fördergeldern an das Kunsthaus immer mehr in Fahrt. Die Stadtpolitiker werden merklich nervöser. Anspielend auf die Aussage einzelner Politiker der Stadt, als Reaktion auf die taz-Artikel vom Sommer zur kulturellen Brache in der Thüringer Landeshauptstadt, dass diese Kunst sowieso nicht mehr als 500 Leute interessiert, gründet sich die Tage der Klub 500.


Das Manifest des »Klub 500« from End Pilot on Vimeo.


Erste Aktionen war eine Ausstellung von 55 Künstlerinnen und Künstler im Kunsthaus Erfurt und einem öffentlichem Sekttrinken hinter der Krämerbrücke in der verbotenen Zone. Die Medien reagierten mit dem Vorwurf der elitären Ausgrenzung. Das Spektrum der ersten Klubmitglieder reicht indes von Künstlern, Architekten, jungen Aktivisten über den Leiter der Kunsthalle, der Erfurter Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen bis zum Ratsvorsitzenden des Stadtrates. In einem Manifest heißt es: „Der Klub 500 vereint Künstler, Kulturschaffende und Kunstinteressierte mit dem Ziel, zeitgenössische Kunst und Kultur zu fördern. Er versteht sich als Netzwerk, Plattform des Austausches und Lobby.“ Und er stellt die Frage: Wem gehört die Stadt? Der öffentliche Raum, ein wichtiges Feld für Kultur, darf nicht zu Gunsten eines ungestörten Tourismus geopfert werden. Die einseitige Ausrichtung auf die Steigerung von Touristenzahlen ist der falsche Weg, in finanzieller, kultureller und soziologischer Sicht. Der Tourismus in Erfurt besteht im Alltag aus Reisebussen, deren Insassen eine Tagestour, gelenkt durch Touristenführer, durch die Gassen der Altstadt antreten. Wenig Geld kommt dadurch in die Stadt. Es wird für Eis, Törtchen und Bratwurst ausgegeben. Die Zukunft der Stadt sind nicht die Touristen sondern die Jugend. Eine Stadt die Kultur mit Mittelalter füllt und allein mit ihrem alten Stadtkern, dem Dom und der Krämerbrücke Gäste gewinnen will ist auf dem Holzweg.
Das Manifest des Klub 500 schließt mit der Aufforderung: „Lauft schneller, die alte Welt ist hinter Euch her“! Wenn sich nichts ändert - schnell weg aus Erfurt.

natter | 02.10.08 23:24 | Permalink