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Spione im Cafe

Neuer Stoff zu DDR-Punk

Alle die vor Jahren das Punkrevival als Eintagsfliege bezeichneten sind längst eines besseren belehrt worden. Die englischen Neopunkbands behaupten sich standhaft, alte Helden veröffentlichen neue Platten – teilweise gar nicht mal schlecht: Siouxsie, Undertones, Fehlfarben usw. Und das die Sex Pistols bald wieder ein Konzert in Originalbesetzung geben ist für einige ein Traum, der allerdings im Alptraum enden könnte.

Das die Zeiten des Punk im deutschsprachigen Raum durch Bücher, Plattenveröffentlichungen und Ausstellungen eine Auferstehung erleben ist seit Jürgen Teipels „Verschwende Deine Jugend“ (2001) Alltag. Allerdings haben die Kollegen im Westen mit schon erwähntem Buch und den Ausstellungen mit gleichnamigen Buchveröffentlichungen „Zurück zum Beton“ (2002) und „Lieber zu viel als zu wenig“ (2003) schnell ihr Pulver verschossen, während im Osten kein Ende von Punk zu sehen ist.
Neues Material liegt auf dem Tisch.

Angela Kowalczyk, genannt „China“, hat mit Wir haben gelebt! ihr fünftes Buch herausgebracht, was ihr Leben als Punkfrau in den 80er Jahren in Ostberlin thematisiert. „Oft lässt mich dieselbe Unruhe wie in den Anfangsjahren nicht schlafen. Es liegt noch immer etwas Reaktionäres in der Luft.“ Sie nennt ihre aktuelle Veröffentlichung als ihre bisher persönlichste und schildert ihren DDR-typischen Wertegang als Punk Ende der 70er Jahre, als sich in verschiedenen Städten unabhängig voneinander kleine Häufchen von jungen Menschen auf Straßen und Plätzen, ihres gleichen Aussehens wegen, kennenlernten. Das Outfit entnahmen sie dem Bravobilden englischer Punks, die Musik hörten sie zuerst bei „Radio Luxemburg“ oder „BBC“. Die Biografien vieler Ostberliner Punks der ersten Generation ähnelten sich, treffen im Plänterwald im „Kulti“, erste Konzerte, Kontakte zu Punks anderer Städte und viel Ärger mit der Polizei mit anschließender Haft und Gerichtsverfahren. Und danach nicht selten der Ausreise aus der DDR. Der Buchuntertitel –Punkerinnerungen von Frauen– deutet darauf, dass es im Buch neben Punk noch um ein anderes, bisher tabuisiertes Thema geht. Frauen berichten aus ihrer Sicht, wie sie die Männergeprägte Szene wahrnahmen. Es erzählen „V1“ aus Naumburg, „Silvi“ aus Ludwigsfelde, „Ines M.“ aus Berlin und „Major“ – endlich. Major war 1977 die erste Punkfrau der DDR, es wurde schon einiges über sie publiziert, aber jetzt spricht sie selbst. Empfehlenswert.

Der Satz „Die Frauen haben die wahre Subkultur ausgemacht“ leitet auch einen kleinen Absatz zum Thema „Geschlechterrollen“ in einer Veröffentlichung aus Dresden ein. „Renitenz in Elbflorenz – Punk in Dresden 1980-89“ heißt eine Broschüre, herausgegeben von Jörg Löffler, Mitglied der legendären Dresdener Punkband „Paranoia“. In Aufmachung eines Fanzines wird auf 40 Seiten die Szene in und um Dresden dokumentiert, Interviews und Fotos bereichern die oft zu kurz gehaltenen Texte. Auf Wunsch gibt’s noch dieMusik-CD „Im Schatten der Großstadt“ Dresdener Punkbands 1982-89 dazu, in „authentischer“ Klangqualität.

Die ist auf der Vinylveröffentlichung „Paranoia 1984“ von „Rundling“ und „Major Label“ studiotauglich. Die Aufnahmen wurden in einem Tonstudio in Hermsdorf bei Dresden 1984 gemacht, genau in dem Studio wo 1982 die erste Platte mit einer DDR-Punkband entstand, mit Schleim-Keim. Die Platte hieß „eNDe - DDR von unten“ und wurde vom Westberliner Label „Aggressiven Rockproduktionen“ 1983 veröffentlicht. Zurück zur aktuellen Paranoia-Platte. Die Aufnahmen sind gut, nicht totgesäubert und zeigen, dass Punk in der DDR auch musikalisch einiges zu bieten hatte. Ein weiteres aktuelles Vinyl heißt „Namenlos 1983-89“ und wurde von „Höhnie Records“ veröffentlicht. Namenlos aus Ostberlin war eine der politischsten Punkbands und sorgte 1983/84 bis zur kompletten Verhaftung der Band für Wirbel. Songs wie „MFS“, „Links 2 3 4“ und „Nazis wida (sic!) in Ostberlin“ erreichten Kultcharakter und gehören zu den Klassikern des DDR-Punk. Neben Schleim-Keim und Wutanfall war Namenlos DIE Punkband schlechthin. Eines unterschied sie von allen anderen Bands, zwei Frauen waren Bandmitglieder und dominierten die Band. Nach der Inhaftierung 1984 mussten Jana und A-Micha für 1,5 Jahre für ihre Texte in den Knast. Micha machte dann mit wechselnder Besetzung bis 1989 als „Namenlos“ weiter Musik. Dem Vinyl liegt ein spannendes 24seitiges bebildertes Heft bei, mit Liedtexten, Geschichten und Briefen bei plus einen Punksamisdat mit Namen „Inside“ von 1988. Inside wurde in 200 Exemplaren in Polen gedruckt und beim Grenzübertritt beschlagnahmt und vernichtet. Nur ein Exemplar tauchte später in MfS-Akten wieder auf.

Weitere Veröffentlichungen stehen ins Haus. Mit Spannung erwartet wird im Frühjahr 2008 das „Otze-Buch“, herausgegeben von Anne Hahn und Frank Willmann beim Ventil-Verlag. Damit wird Otze und seine Band – Schleim-Keim – gebührend gewürdigt. Ebenfalls im Frühjahr 2008 will Michael Boehlke ein Interviewbuch mit Punkmusikern aus Berlin und Leipzig veröffentlichen, es trägt den Arbeitstitel „East End“ und wird beim BasisDruck verlegt. Ein anderes für nächstes Jahr angekündigte Buch beleuchtet Punk + Undergroundkunst in Thüringen, Herausgeber ist das Kunsthaus Erfurt.

Und dann liegt da noch einiges auf Eis, lassen wir uns überraschen.

natter | 07.12.07 21:31 | Permalink