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Parlaments-Wahlen in Polen: Keine Veränderung in Sicht

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Aufgrund der unerwartet hohen Frequenz mussten einige Wahllokale in Polen für kurze Zeit geschlossen werden um die fehlenden Wahlkarten zu liefern. Das Warten führte in einigen Wahllokalen zu Nervosität. Hier Kreis-Wahl-Kommission Nr. 572 in der ul. Koncertowa in Warschau / Fot. PAP/Jacek Turczyk

Alle Jahre wieder kommt die Parlamenteswahl auf die demokratische Erde nieder. Im Land der praktizierenden Katholiken warten die Menschen jedoch –auch bei den vorgezogenen Neuwahlen- vergeblich auf die Heilsverkündung.


von Kamil Majchrzak

Wenn’s nichts zu wählen gibt bliebt nur die Wahl des kleineren Übels -erzählt Jadwiga vor einem Wahllokal in der deutsch-polnischen Grenz-Stadt Słubice. Ähnlich wie sie haben sich am vergangenen Wahlsonntag zahlreiche Polen -aus Protest gegen die national-konservative Recht und Gerechtigkeit (PiS)- für die neoliberale Bürgerplatform (PO) entschieden. Trotz eisiger Kälte besuchten die Schule, in der ein Wahllokal eingerichtet wurde, überraschend viele Menschen. 55% der Wahlberechtigten nahmen an ihnen Teil. Im Ausland teilweise sogar 80%.

Mit dem Wahlsieg der PO, die über 40% der Stimmen versammelte, kann die vor zwei Jahren feierlich verkündete IV. Republik noch nicht ad acta gelegt werden. Immerhin bleibt ihr Schöpfer Präsident Lech Kaczyński weiter im Amt. Verglichen mit den Wahlen im Jahre 2005 hat die PiS auch mehrere Mandate hinzugewonnen. Die PO wurde mit den Stimmen der Rechtsextremisten von der Liga der Polnischen Familien (LPR) und der Bauernpartei Samoobrona gestärkt. Beide vielen auf knapp 1,5% und flogen damit aus dem Parlament. Die Hegemonie rechter Parteien in Polen, ihr neoliberales Programm und die gegen Gewerkschaften und soziale Opposition geführte Politik werden dagegen fortgesetzt. Eine echte linke Alternative, die den Sprung ins Parlament schaffen würde, war zu keinem Zeitpunkt in Sicht. Die einzige Partei mit klar antikapitalistischem Programm, die Polnische Partei der Arbeit (PPP) erreichte nur 1%.

Die Koalition von Liberalen und Postkommunisten innerhalb der LiD (Linke und Demokraten), die zur drittstärksten Kraft wurde, ist jedenfalls für die Mehrheit der Bevölkerung, die Opfer des Transformationsprozess wurden keine Alternative. Waren es doch die Sozialdemokraten der SLD, die das Arbeitsrecht zu Gunsten der Arbeitnehmer „reformierten“, den Krieg gegen den Irak anzettelten oder restriktive Sozial-Gesetze verabschiedeten.

Interessanterweise vermieden es alle Parteien ihre faktische Befürwortung des Neoliberalismus in den Vordergrund zustellen. Die PO wehrte sich sogar mit einem Gerichtsverfahren gegen die Behauptung eines PiS-Wahlspotes, sie wolle die Notfallaufnahmen privatisieren. Die Wahlen verschleierten einmal mehr die wachsende Armut im Land und die konstant antisoziale Politik aller Parteien nach 1989. Innerhalb von 3 Jahren haben 2 Millionen PolInnen das Land verlassen. Nach Angaben des Institutes für Arbeit und Soziales (IPiSS) leben heute mehr als 59% aller Polen unter dem Sozialminimum, d.h. sie müssen mit umgerechnet ca. 228 ,- EUR im Monat auskommen. 23 Millionen Menschen können damit ihre elementarsten Bedürfnisse nicht befriedigen. Nach den Angaben des staatlichen Statistikamtes (GUS) lebten in den Jahren 2004-2005 12% aller Polen unter der Existenzminimum-Grenze.

Die PiS versuchte mit ihrer Rhetorik die sozialen Probleme nicht als Folge des Kapitalismus, sondern Konsequenzen krimineller und mafiöser Verschwörungen, zumal nicht-polnischer, darzustellen. Dies ist ihr tatsächlich gelungen. Doch die Müdigkeit der Menschen die täglich mit neuen Meldungen über Skandale und Affären gefüttert wurden und darin keine Perspektive auf Veränderung sahen, straften sie mit der Wahl einer friedlich und europäisch daherkommenden Wahlkampfsprache der PO ab.

Der Autor ist Redakteur der polnischen Edition von »Le Monde Diplomatique«.

Michal Stachura | 22.10.07 00:52 | Permalink

Kommentare

Ganz so pessimistisch würde ich die Sache nicht sehen; immerhin haben sich die Polen nicht wieder von den Kaczynskis einlullen lassen. Aber was Tusk tatsächlich ändert, ist wirklich abzuwarten. Polen hat wohl noch einen langen und schwierigen Weg vor sich. Mehr:

http://www.blogsgesang.de/2007/10/22/noch-hat-polen-nicht-gewonnen/

Verfasst von: blogsgesang | 22.10.07 19:49

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