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Bitterfelds Biber

Betreut von Peter Ibe, erster Naturschutzwart der DDR
--von Klaus Hart--
Großer Bahnhof, Medienrummel im Aqua-Zoo von Silkeborg. Prinz Henrik von Dänemark persönlich und Umweltminister Svend Auken weihen das neue Biberfreigehege ein - die Massen bestaunen das erste Nagerpaar von der Elbe, finden die Viecher putzig und kuschlig, wundern sich, wie groß die sind, sogar aufrecht gehen, im Stehen ihre Rinde raspeln. Im fernen Biosphärenreservat "Mittlere Elbe" hat der ostdeutsche Biberexperte Peter Ibe die beiden Tiere gefangen, ist gespannt, was eine landesweite Volksbefragung ergibt - ob die Dänen tatsächlich jene Tierart wiederhaben wollen, die sie immerhin bereits vor Jahrhunderten komplett ausrotteten.

Bald kommt aus Kopenhagen grünes Licht – Ende 1999 werden zunächst achtzehn Tiere geliefert, das Jahr darauf folgen dreißig bis vierzig. Alle Auswilderungsprojekte, ob zuvor in Belgien und Holland oder im Saarland, in Hessen und im Emsland, werden stets wissenschaftlich begleitet: “Egal, wo wir meist schon vor der Wende Tiere hinlieferten – stets verdoppelten sich die Bestände in relativ kurzer Zeit.“ Mißtrauische, schlaue Biber zu fangen, ist sehr zeit-und materialaufwendig - Ibe erinnert sich noch an den Unkostenbeitrag in DDR-Währung - achthundert Mark pro Tier.
Nur komplette Familien eines ganzen Reviers, größtenteils „Problembiber“, die Hochwasserdeiche, Brücken und Bahnschienen unterhöhlen, gar zuviele Obstbäume durchnagen, werden umgesiedelt. In Ibes 43000-Hektar-Reservat gibt es heute genug. Anders nach dem Krieg – 1950 sind in ganz Deutschland nur noch die rund einhundertfünfzig reinrassigen Elbebiber übrig. Etwa einhundert ehrenamtliche DDR-Naturfreunde suchen zu retten, was zu retten ist, setzen Schutzbemühungen aus den zwanziger Jahren energisch fort. Sechstausend Hektar Biberlebensraum in der Auenlandschaft an Elbe und Mulde werden Naturschutzgebiet, Teil des Biosphärenreservats – von der Unesco bereits 1979 als eines der ersten beiden in Deutschland anerkannt. Der Biberbestand erholt sich dort zügig – bis zum Anschluß sind es über dreitausend Tiere – ein enormer Erfolg, an dem Peter Ibe seit 1973 beteiligt ist.
Man schaut auf die Karte und wundert sich – beste Biberbiotope in unmittelbarer Nachbarschaft von berüchtigten Chemieindustrie-Standorten wie Bitterfeld, Wolfen, Dessau und Coswig ? Im Dritten Reich gehören die meisten Werke zum IG-Farben-Konzern, produzieren für den Krieg, auch mit tausenden ausländischen Zwangsarbeitern, entsteht in der Bitterfelder Filmfabrik der erste Farbfilm der Welt. Vor der Wende werden ORWO-Kleinbildfilme auch in der Bundesrepublik massenhaft verkauft, beschäftigt die Produktion immerhin über 15000 Menschen. Nach dem Anschluß werden in Bitterfeld fast auf einen Schlag rund 75000 Arbeitsplätze vernichtet - derzeit hat höchstens ein Zehntel der früheren Belegschaften irgendwo noch Arbeit, meist unqualifizierte, Tristesse und Hoffnungslosigkeit sind schwer zu übersehen. Mit welcher Brutalität und Menschenfeindlichkeit eklige westdeutsche Manager auch zehntausende Frauen im Ex-und Hopp-Verfahren feuerten, für jede noch einen zynischen Spruch auf den Weg, ist in Bitterfeld unvergessen. Die Stadt und ihre Umgebung sind auch ein Symbol dafür, wie Medienmanipulation funktioniert.
“Nach 1989“, erinnert sich Ibe, „kamen auch viele Reporter her, wollten die ganze kaputte Natur und Umwelt sehen – waren baff erstaunt, wenn wir mit ihnen rausgefahren sind. Sicher gabs einige schlimme Ecken, schlimme Sachen - aber Bitterfeld heißt auch See-und Fischadler, Wanderfalken, Otter, Schwarzstorch, Kormorane, Reiher. Nicht unerhebliche Teile des Biosphärenreservats sind im Stadtgebiet, das seit jeher wunderschöne Orchideenwiesen hat. Otto Normalverbraucher würde von der Naturausstattung her nie vermuten, daß das Bitterfeld ist! Und außerdem – würde man in den alten Bundesländern die Ballungszentren einmal so untersuchen, wie man das bei uns nach der Wende tat, fände man sicher ähnlich belastete Ecken. Aber Bitterfeld – das war so`n Thema – alles kaputt – für den größten Teil der Stadt galt das nicht.“
Dem Experten liegt es fern, irgendetwas zu beschönigen – am wenigsten die Belastung etwa der Elbe, Mulde, Saale. Doch die Biber kamen damit klar. „Das spielte für sie keine Rolle, sonst hätten sie nicht überlebt.“ Er erinnert sich an eine der ersten Biber-Fangaktionen zu DDR-Zeiten, direkt neben einer Papierfabrik, wo das Wasser vor lauter Chemie schillerte. „Ein paar Tage habe ich bestimmt sehr gut gerochen – und trotzdem hatte der Biber da sein Zuhause.“
Ibe leitet tagsüber die Naturschutzstation Kapenmühle bei Dessau – das hübsche uralte Gebäude gehörte der Staatssicherheit, die von hier aus im Kalten Krieg Autobahnüberwachung betrieb – aber nur ein Mitarbeiter wurde übernommen – der Wachhund für die Nacht. Adler, Wanderfalken, Kormorane brüten wenig entfernt, Biber bauen ihre Burgen und Dämme, nagen selbst meterdicke Baumstämme außerhalb und innerhalb der Schauanlage durch. „Pappeln, doppelt so breit wie der Bürotisch hier – da haben die `ne Weile dran zu knappern. Die Zahnpaare unten und oben schleifen sich gegenseitig scharf, weil der Zahnschmelz auf der einen Seiten härter ist als auf der anderen.“ Abends in der Dämmerung kann jedermann von einem hölzernen Beobachtungsturm zusehen, wie die Tiere dort schwimmen, fressen und nagen. „Unsere Anlage ist einmalig in Deutschland, schon von der Größe her – 12000 Quadratmeter. Die Biber werden nicht gefüttert, nicht angefaßt, heißen nicht Max und Moritz, sind zwar eingezäunt, aber wildlebend.“
Durch ein Glasfenster kann man sogar in die Biberburg schauen.
Die Artgenossen draußen leben gefährlich – wegen des zunehmenden Verkehrs nach der Wende, der nahen Autobahn ohne technisch mögliche Schutzvorrichtungen:“Hauptfeind ist der Mensch, also das Auto – es verursacht um die sechzig, siebzig Prozent aller Verluste. Und ein Biber ist etwa doppelt so schwer wie ein Reh, erreicht bis zu 36 Kilo, was viele überrascht. Auf der Autobahn haben Biber, wenn sie erst mal drauf sind, Null Chancen – ein Wagen erwischt sie immer, der Crash ist heftig.“
Ibe fängt Tiere zum Auswildern stets mit seinem Kompagnon Volkmar Zeisler - über zweihundert gingen ihnen bereits in Netze und Kescher - bis man einen einzigen hat, dauerts ganze Nächte in Kälte, Regen oder Nebel, brauchts sehr viel Erfahrung, auch Glück, sitzen die beiden regungslos am aufgestellten Netz bis zu acht Stunden. „Wenn der Biber dann im Netz ist, muß man schön vorsichtig sein. Unmöglich, ihn mit der bloßen Hand festzuhalten. Wenn er zubeißt, hört man die Englein singen.“. Schon mal passiert, Peter Ibe? Er lacht: “Ja, einmal, in den Fuß, mit viermal soviel Kaukraft wie der Mensch, und das war garnicht lustig. Obwohl der Biber so träge erscheint, kann er aber ruckzuck rum – und dann ist er wie ne Rakete. Auch ein Hund hätte gegen den schlechte Karten.“
Castor fiber albicus ist mit einer Körperlänge von einhundertvierzig Zentimetern Europas größtes Nagetier, taucht bis zu zwanzig Minuten, frißt pro Tag bis zu zwei Kilo Rinde, war noch im 17.Jahrhundert an den Gewässern flächendeckend vorhanden, direkt häufig. Nicht umsonst hat man ihn damals zum Fisch erklärt, besonders in der Fastenzeit verspeist. Wie schmeckt denn Biberfleisch? „Angeblich gut – aber für mich wäre das so, als würde ich meine eigenen Kinder essen.“ Unerbittlich gejagt wird das Tier früher auch wegen seines begehrten, extrem dichten Fells und des Drüsensekrets „Bibergeil“. Das gilt als Wundermittel, soll heilen und potenzsteigernd wirken, wird deshalb teilweise mit Gold aufgewogen. Regt es tatsächlich so an? “Biberexperte Ibe hält sich zurück:“Schwer zu sagen – ich habs noch nicht probiert.“
In der DDR fesselt ihn die Natur schon als Kind, er wird „Junger Naturforscher“ wie so viele, kann exzellent auf hohe Bäume klettern, macht daher mit achtzehn Jahren seine Beringerprüfung, leitet zunächst ein Projekt für den Großtrappenschutz.
Wegen der konzernfreundlichen Umweltpolitik hat der reinrassige Biber bis heute in den westlichen Bundesländern trotz ihres vielgepriesenen Öko-Standards wenig Chancen – von den über 4300 Tieren Deutschlands leben dort gerade mal über zweihundert. Anders in Brandenburg. 1973 werden in der Schorfheide, später im Unteren Odertal Elbebiber ausgewildert, um eine starke zweite Teilpopulation aufzubauen. Das gelingt in relativ kurzer Zeit, weil Wissenschaftler und „Ehrenamtliche“ sich geradezu fieberhaft für die Art ins Zeug legen. Allen voran über Jahrzehnte bis heute beispielhaft der Ostberliner Naturschützer Wilhelm Recker – eigenhändig pflanzt er tausende Bäume, damit der vegetarische Biber was zu knabbern hat, buddelt mit dem Spaten kilometerlange Gräben, um die Biotope zu verbessern. Jedes Winterhalbjahr läuft Recker über zweitausend Kilometer, um die Bestände zu zählen:“In Berlin sinds höchstens zehn Tiere.“ Recker hilft auch der Forschung, mißt u.a. über elftausend Nagestellen an Gehölzen.
Der ganze Aufwand hat sich gelohnt – bis zum Anschluß hat Brandenburg wieder an die 1500 Biber, liegt damit deutschlandweit an zweiter Stelle nach Sachsen-Anhalt. Auch im Teich-Naturschutzgebiet am NABU-Informationszentrum „Blumberger Mühle“ bei Angermünde leben welche. Die Brandenburger freut der Zuwachs – auch wenn die Tiere hier und da recht störende Dämme errichten, Flächen unter Wasser setzen, wird aufgepaßt, daß niemand ihnen Böses tut.
“Seit wir die bayrischen Verhältnisse kennen“, so Jens Teubner, Leiter der Naturschutzstation Zippelsförde, „sind wir ganz stolz auf unsere brandenburgischen Bauern.“ Dort im Süden gibt es eine teils militante Biber-Gegnerschaft, werden sogar Strohpuppen mit den Namen von Biberbetreuern verbrannt, die es wirklich sehr schwer haben. „Hier im Osten gibt es solche Probleme überhaupt nicht – zu DDR-Zeiten wurde gute Naturschutzarbeit geleistet.“ Bayerns rund zweitausend Biber sind lediglich Mischlinge, seit den 60er Jahren zusammengewürfelt aus unangepaßten Rassen verschiedener Länder und Regionen, darunter Skandinavien und Kanada.
Ibe an der Elbe sieht das ebenso kritisch wie Diplom-Biologe Teubner:“Eine traurige Geschichte – Grundlagen der Biologie wurden einfach ignoriert; Hauptsache, die Tiere hatten Fell und Nagezähne. Heute würden die bayrischen Kollegen dies nicht mehr wiederholen.“ Für die Reinrassigen von der mittleren Elbe gibts bereits weitere Interessenten. Dr. Dietrich Heidecke von der Uni Halle, Deutschlands führender Biberexperte seit Vorwendezeiten, nennt Großbritannien, das seit 1996 bereits sachsen-anhaltinische Rotmilane auswildert, aber auch Tschechien. Er sammelt alle Daten, untersucht mit anderen Forschern die steigenden Biberverluste im Osten, fordert mehr Sensibilität von den Verkehrsplanern:“Der Biber ist weiterhin vom Aussterben bedroht, sein Bestand in Deutschland immer noch viel zu klein.“ Dennoch reagieren weder die Betonköpfe in Potsdam noch in Berlin. Vor allem die Autobahnen und Schnellstraßen bei Seen sind verhängnisvoll, da Biber ebenso wie die Fischotter von einem Gewässer ins andere wechseln. Auch in Brandenburg sind 60 bis 70 Prozent aller Totfunde Verkehrsopfer, für Teubner ein „fürchterliches Alarmsignal“. Dabei läßt sich das Risiko an Straßen und Autobahnen durch technische Maßnahmen erheblich verringern. Doch Bundesumweltministern und anderen zuständigen Amtsträgern fehlt dafür – bis zum Beweis des Gegenteils – jeglicher politische Wille.
In Europa gibt es derzeit noch etwa 6000 reinrassige Elbebiber – etwa die Hälfte davon lebt in Sachsen-Anhalt. In über dreißig Jahren wurden an die 460 „exportiert“.


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Klaus | 30.01.07 16:30 | Permalink