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Liebte der Osten anders?

Zur ARD-Doku über Sex in BRD und DDR
--von Klaus Hart--
Sie hatten mehr Geld, ihre ausgefeilte Ersatzbefriedigungsgesellschaft - wir hatten den viel besseren Sex, erotisch und heiß. Was war besser? Professor Kurt Starkes Kollegen verkündeten schon morgens um acht im DDR-Schulfernsehen:"Geschlechtsverkehr ist die schönste Freizeitbeschäftigung." Ich habs noch im Ohr. Verglichen mit Wessiland, war die DDR ein Sexparadies, die UdSSR, sofern man die sexuell verkorksten islamischen Regionen abzieht, sowieso. Brasilianische Stewardessen aus Rio de Janeiro, die regelmäßig nach Moskau flogen, berichteten jedesmal auch von unerhört ausschweifenden, frivolen Feten und Festen, die im vergleichsweise prüden Brasilien undenkbar seien.

Als DDR-ler wußte man das längst, hatte genügend eigene Erfahrungen. Die allermeisten Westdeutschen, wegen ihrer ganz anderen, kapitalistischen Sozialisation, ihrer Fixierung auf Erscheinungsebenen, Äußerlichkeiten, haben all das schon damals weder wahrgenommen noch begriffen, in jedem Gespräch bekam man es erneut bestätigt. Die erste Sex-Erfahrung vieler junger Männer im Westen ausgerechnet mit ner Nutte – eine grausige Vorstellung für jemanden aus der DDR. Ekliger Hurensex, igitt. Jetzt, wo die Brisanz aus dem Thema raus ist, die Sex-Qualität im Osten durch gravierende Verschlechterung des soziokulturellen Ambientes(Wirtschafts-und Naturzerstörung, forcierte Arbeitslosigkeit, Streß, Arbeitshetze, Mobbing, Existenzangst etc.)weitgehend auf Westniveau runtergefahren wurde, die älteren DDR-Jahrgänge gottseidank ausgenommen, läßt man siebzehn Jahre nach dem Anschluß einen TV-Ossi an das einst so heikle Tabuthema. Wer die allesamt lächerlich-stumpfen Texte der Kommerzmedien zur ARD-Doku querliest, konstatiert ein weiteres Mal, daß Westdeutschen, von Ausnahmen abgesehen, weniger denn je zu vermitteln ist, was da auf der anderen Grenzseite in vierzig DDR-Jahren eigentlich gelaufen war. Wir könnens ertragen, so ist Geschichte.
Im Februar 2007 veröffentlichte die Illustrierte Stern eine Reportage von Walter Wüllenweber mit dem Titel "Voll Porno!" über sexuelle Verwahrlosung in Deutschland. Die ist, banale Feststellung, Resultat gezielter Gesellschaftspolitik durch die Machteliten, die politisch verantwortlichen Autoritäten und Parteien - auf der Basis bestimmter, klar definierter Wertvorstellungen und Leitbilder. "Mit Freiheit und mit Liebe hat es nichts zu tun. Der Motor für diese Umwälzung der Sexualität sind keine Ideale. Es ist Pornographie", schreibt Wüllenweber. Nicht zufällig wird die Pornographie, besonders die Gewalt-Pornographie in Deutschland von den politisch-wirtschaftlich Zuständigen stark gefördert. Wollenweber über Porno-Rapper und ihre vorwiegend von Kindern und Jugendlichen gehörten Bestseller:"Sido ist der berühmteste. Der Hit, der ihn bekannt machte, ist der Arschficksong. Darin besingt er, wie er ein kleines Mädchen, die Katrin, anal vergewaltigt: Katrin hat geschrien vor Schmerz. Mir hats gefallen... Ihr Arsch hat geblutet. Und ich bin gekommen."
Als Resultat dieser zielstrebig betriebenen Staatspolitik steigt die Zahl der Sexualstraftäter steil an.
Wollenweber befragte Laszlo Pota, Vizepräsident des Berufsverbandes deutscher Psychologinnen und Psychologen:"Wir erleben derzeit eine Verrohung weiter Bereiche des Lebens. Das betrifft sowohl die Sprache als auch den Umgang miteinander. Wenn Jugendliche diese Fäkalsprache benutzen, die Gewalt verherrlicht, dann bereitet das die Verrohung im Verhalten vor. Der Schritt vom Sprechen zum Tun ist da sehr klein."
Verrohung weiter Bereiche des Lebens...Wie weit die kriminelle Energie kapitalistischer Machteliten reicht, sah man besonders deutlich zur Nazizeit und nachfolgend im Kalten Krieg.
Ostdeutsche vergleichen natürlich. Welcher Sex ist besser - der erotische von damals, zu DDR-Zeiten, oder der westliche, heute geförderte, gemäß neoliberalen Werten und Leitbildern?
Der peruanische Literatur-Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa:"Erotik ist ein Zeichen von Zivilisation, ist Rückzugs-und Zufluchtsort des Individuums, gegen die Normierung, Vereinheitlichung des Lebens von heute...Pornographie dagegen beerdigt die Erotik, entindividualisiert die Liebe, eigene Phantasien werden durch Massenprodukte ersetzt."
Die Verroher kennen wir, ihre Motive auch.

http://www.stern.de/politik/deutschland/581936.html?nv=ct_mt
Zwei Texte aus den Jahren 2000 bis 2002.

Kommentar
Ossi-Wessi-Sex

von Klaus Hart

Karin aus Berlin-Schöneberg ist seit zwei Jahren mit einem Ost-Mann liiert, erschreckt ihre Bekannten mit frechen Sprüchen wider übliche Klischees. „Wenn das mit dem mal in die Brüche geht, muß es wieder einer von drüben sein – unsere sind beim Sex meist viel zu kompliziert, zu verkorkst im Kopf – das tue ich mir nicht mehr an!“ Leute aus dem Ostteil erlebt sie generell natürlicher, authentischer, „mit mehr Herzensbildung“. Und bestätigt indirekt damit nur, was der Leipziger Sexualwissenschaftler Kurt Starke herausfand: Im Bett sind die Ostdeutschen weiterhin agiler, phantasiereicher, zufriedener – trotz aller neuen Probleme. Und widersetzen sich „nachholender Modernisierung“ dort hoffentlich noch lange. Schon vor der Wende nimmt er auch das Sex-Leben der Westdeutschen unter die Lupe, nach 89 legt er mit vergleichenden Untersuchungen erst richtig los, knackt Klischees am laufenden Band. Typisch Wissenschaftler, warnt er erst mal vor Schwarz-Weiß-Sicht, unzulässigen Verallgemeinerungen bei einem so unendlich komplexen Thema, weist auf Schichtenspezifik, sucht es dann aber trotzdem auf den Punkt zu bringen. Der ideale Ort für Sex werde in der Ex-DDR nach wie vor in der Liebesbeziehung gesehen – „und dort geschieht orgiastisches Erleben wie bisher natürlich in einer ganz anderen Qualität.“ Die Alt-68er beispielsweise hätten eher Quantitäten, Partner gesammelt. Eindeutige Ost-West-Unterschiede gebe es schon bei männlichen Jugendlichen, auch denen der Großstadt – Berührungsängste im sexuellen Kontakt, Kompetenz-und Versagensängste vor dem Mädchen, der Frau, in den Alt-Bundesländern erheblich größer. „Die psychologisierenden, von den herrschenden Geschlechterbildern geschurigelten jungen Männer sagen dann auch eher, ich lasse das lieber.“ Jungen in Frankfurt/Main oder Hamburg begännen später, täten es seltener als die im Osten.
Wenn Karin aus Schöneberg immer ärgerte, daß ihren Partnern der eigene Orgasmus das Wichtigste war, er zielstrebig und wortlos angesteuert wurde, sie deshalb fast immer zu kurz kam - es jetzt mit dem Neuen endlich richtig gut klappt, und der auch noch gerne dabei scherzt, sich mit ihr austauscht – Sex-Prof Starke hat dafür die wissenschaftlichen Belege.“Der Ossi genießt am meisten beider Lust am Sex, und viel spontaner, spielerischer, argloser - der Wessi-Mann dagegen ist darauf bedacht, daß vor allem seine Lust „stimmt“, sehr ich-bezogen, hat immer den Verdacht, wenn der andere sich sehr gut fühlt, man selber zu kurz kommt.“ Auch im Sexuellen neigen danach die Westdeutschen eher zum Präsentieren, die Ostdeutschen dagegen eher zum Sein. Das, so Starke, sei eine ganz gravierende Sache, hänge mit der westlichen Individualisierungsgesellschaft zusammen, wo man sich ständig unter Wert verkauft vorkomme, nicht dauernd Sieger sei. „Dieses Denken nehmen die Leute mit ins Bett – den Ossis ist derlei viel fremder.“ Denen sei besonders die erotische, sinnliche Gesamtsituation wichtig, nicht nur der Orgasmus – „den kriegen sie“. Wessis meinten nur zu oft, daß man die „wunderbarsten technischen, sexuologischen Tricks und Details“ kennen müsse, um zu einem zufriedenen Sexualleben zu kommen – „vieles davon interessiert Ossis überhaupt nicht.“ Ost-Männer mögens länger – kann das sein? Für Starke durchaus – denn zuviele West-Männer verbrachten das erste, zweite, dritte Mal im Leben mit einer Prostituierten, wo es immer sehr schnell gehen muß, und gewöhnten sich dran. „Wer große Erfahrung mit Prostituierten hat, wo`s nur ums Abspritzen geht, ist anders, als einer, der gerne bei Kerzenschein stundenlang schmust.“ Westliche, darunter nordamerikanische Fachkollegen traf Starke schon zu DDR-Zeiten auf internationalen Sexuologenkongressen, mußte sich selbst von denen lächerlich Klischeehaftes über den angeblich so verklemmten, miefig-provinziellen Sex-Alltag seiner Landsleute anhören. Die und verklemmt? Zum Totlachen. „Die Frauen mit ihrem damals so hohen Selbstbewußtsein haben einfach zugegriffen, wenn ihnen danach war, aber gutgewählt, es ging nicht ins Beliebige“. Ob in den Fabriken oder auf den Universitäten. Das selbst alternativen, links-progressiven Wessis zu verklickern, ist, wie die Erfahrung zeigt, meist schier unmöglich. Starke kennt das: „Im Grunde genommen, hatte sich in der DDR ein Verhältnis zwischen den Geschlechtern herausgebildet, das mit westlichen Maßstäben nicht meßbar und von marktwirtschaftlich Sozialisierten nicht nachvollziehbar ist.“ Peng. Daß deutsch-deutsche Eheschließungen wieder stark zurückgehen, habe natürlich sehr viel mit Sex zu tun.
Als ganz entscheidend beim Benennen von Unterschieden betont Starke den „bemerkenswerten Zusammenhang zwischen der eigenen Reproduktion, Kinder zu haben, und der sexuellen Aktivität, der Zufriedenheit mit Sex – und dem allgemeinen Lebensglück.“ Es sei, durch Studien belegt, überhaupt nicht so, daß „Muttis und Vatis“ sexuell inaktiver seien als der Durchschnitt, sondern ganz im Gegenteil, aktiver. Unter den Ost-Akademikerinnen um die 45 gebe es lediglich etwa fünf Prozent ohne Kinder, bei denen im Westen jedoch 50 bis 54 Prozent! „Diese Frauen haben nicht die große Lust zu sexuellen Aktivitäten.“Dies zeige eine ganz andere „demographische Kultur“, da werde der Ost-West-Unterschied nicht verschwinden. Wenngleich die stark absinkenden Geburtenraten bei den Jüngeren im Osten zeigen, wie es derzeit um Lebensglück und Optimismus steht.
1995 betont Starkes Fachkollege, der Ostberliner Uni-Prof Dietrich Mühlberg, die Ossis seien unterm Strich sexuell aktiver, mobiler – vier- bis sechsmal pro Woche gingen im Westen neunzehn Prozent miteinander ins Bett, im Osten aber genau doppelt so viele. Stimmt denn das 2001 noch? Trotz aller sozialen Einschnitte, Frustrationen durch Arbeitslosigkeit; Mobbing, Streß und berufliche Abwertung, „einer Menge neuer, familienfeindlicher Faktoren“, der wachsenden, lusttötenden Rolle des Geldes, ist für Starke an Mühlbergs Befund nach wie vor viel dran, gilt vor allem für die Erwachsenen. Ganz einfach: Nachweislich sind weit mehr Ossis fest liiert als Wessis, leben zusammen, gibt es im Osten viel weniger Singles. „Da der meiste Sex aber in richtigen Beziehungen passiert, sind die, die eine haben, natürlich überlegen.“ Nach Starkes neuester Studie tun es gerade zwischen fünfundzwanzig und fünfundvierzig Jahren die Frauen im Osten deutlich häufiger als die im Westen. Die von München bis Kiel durchschnittlich nur etwas mehr als fünfmal im Monat, die von Rostock bis Dresden dagegen fast achtmal. Und auch das noch: Nicht nur für Starke scheint festzustehen, daß die Ossis auch künftig im Bett anders sind.
Eine Chemnitzerin bemerkte in ihrem Bekanntenkreis, daß Frauen, die nach der Wende „rüberheirateten“, in den letzten Jahren wiederkamen, nicht hinnehmen wollten, sich von Westmännern auch beim Sex herumkommandieren zu lassen. „Dazu sind unsere viel zu selbstbewußt.“ Doch auch der Osten verändere sich. „Sexualität, Sinnlichkeit, Erotik – da hat die Wende den Leuten bereits vieles zerstört.“

Ausführlicheres zum Thema:
• Erotik im Alltag – intensiv wie ein Tropengewitter, in: Klaus Hart, Unter dem Zuckerhut:Brasilianische Abgründe, Picus-Verlag Wien, 2001,
• Klaus Hart, Eros am Abgrund, in: Fernstenliebe – Ehen zwischen den Kontinenten/Drei Berichte, Eichborn-Verlag, „Die Andere Bibliothek“, Herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger, 1999


Die enterotisierte Gesellschaft
Ohne Begehren keine Erotik – den Deutschen kommt derzeit beides abhanden, sagen die Experten , sehen darin einen enormen Kulturverlust. Abnehmende Libido, sei Regel, nicht Ausnahme – man blicke nur in Gesichter, im Alltag, in der Freizeit. Rühr-mich-nicht-an-Ambiente selbst in Bars und Diskotheken. Die schönste Sache der Welt kommt aus der Mode. Der Zauber ist ziemlich hinüber, Sexualität, Erotik werden trivialisiert, banalisiert, entwertet. Sinnliches Verhalten, Verführen werde verlernt. Schon die Jüngeren sind durch aufgestanzte Schönheitsideale, den Sexismus der Werbung tief verunsichert, erleben Ängste als größte Lust-und Erotikkiller.

Sabine Bertram aus Berlin-Charlottenburg, Anfang Zwanzig, freut sich aufs Studium, jobbt bis dahin weiter in der Theaterzsene, macht Workshops, übernimmt kleine Rollen, wirkt offen, natürlich, voller Lebenslust. Doch im Alltag, auf der Straße, vergeht ihr die jäh, fühlt sie sich hilf-und wehrlos, wenn ein Mann ganz nahe vorbeigeht, ihr „geile Titten“ und ähnlich Obszönes direkt ins Gesicht sagt. „Da denke ich, na super, danke, wie schön, wieder mal auf meine Oberweite reduziert zu werden. Das passiert mir wirklich einmal am Tag – ich bin sogar schon betatscht worden, manche flüstern mir eklige Sachen direkt ins Ohr. Lust auf Männer macht mir das nicht gerade.“ Fünf Jahre früher hatte sie die noch reichlich, war neugierig auf die schönste, prickelndste Sache der Welt, bekam indessen schnell eine aufs Dach:“Ein paarmal sind Dinge absolut gegen meinen Willen passiert – ich wills nicht deutlicher ausdrücken – bin ich extrem sexistisch behandelt worden. Nach diesen Erlebnissen habe ich eine richtige Barriere, traue mich nicht mehr, denke, ich werde wieder verletzt. Diese schönen kleinen Signale, so wie früher, wenn mir einer gefiel – die sende ich schon lange nicht mehr aus.“
Am noblen Kurfürstendamm schiebt ein Sozialarbeiter eine schwerbehinderte junge Frau im Rollstuhl an einer hohen, sich drehenden, nachts beleuchteten Litfaßsäule vorbei – auch Sabine Bertram muß dort fast täglich entlang, ärgert sich jedesmal. „Auf allen Werbepostern nur nackte Frauen, mit großer Oberweite, richtig prall, drauf steht Kurvenreich und 100% Streckeneinsicht – damit machen sie Reklame für Motorradrennen auf dem Eurospeedway Lausitz“. Ganz Berlin ist voll mit solchen Plakaten – die ekligen Titten-Sprüche, meint die absolut nicht kämpferisch-feministisch Gesinnte, kommen von solcher Vermarktung. „Die beeinflußt Männer, aber die Frauen eben auch – nur anders.“
Einst strömte Ostberlins Jugend zu Nina Hagen und Manfred Krug, Karat oder den Puhdys zum Schwoofen in die Kongreßhalle am Alexanderplatz – seit der Wende gibts dort stattdessen jetzt fast jeden Monat „Deutschlands größte Erotikmesse“ mit Go-Go-Dance und „Striptease/SM“, die neue westliche Wertvorstellungen über Sexualität, Sinnlichkeit propagiert. Alles banal und platt und kommerziell – das Gegenteil von denen der DDR. Die tausenden Farbposter dafür kleben mit dem Segen der Kulturbehörden auch direkt vor den Amtssitzen von Schröder, Fischer und Trittin. Kindergartenkinder, Schüler, alte Frauen bleiben stehen, schauen sich die enormen nackten Brüste eines appellativen Models an, das, ohne Höschen, die Beine ganz, ganz weit aufspreizt. Aha, vermuten da schon manche Minderjährigen, das ist also heutzutage, in rot-grünen Zeiten, Erotik – sowas, denken sich Mädchen, erwarten also die Jungen, die Männer von unsereinem, so müßten wir aussehen, uns geben, weil die das wohl erotisch finden. Auf manchen Postern im Osten klebt auf den Schamhaaren ein weißer Protest-Zettel:“Atomkraftwerke zerstören die Umwelt! Pornographie zerstört die Seele!“ Sabine Bertram ärgert auch diese Reklame – eher aus dem Bauch heraus – Sexualforscher wie der Hamburger Gunter Schmidt oder Kurt Starke aus Leipzig, Vorsitzender der Gesellschaft für Sexualwissenschaften, haben durch Untersuchungen herausgefunden, daß Deutschlands Erotik auch wegen solcher Brutal-Reklame rapide verödet. „Die Vermarktung, Entwertung des Sexuellen, von weiblichen Körpern besonders in der Werbung“, so Starke im Interview, „ist außerordentlich gefährlich für Lust. Also insbesondere Frauenfleisch wird ja vermarktet, es wird alles sexualisiert. Da läuft als Gegenprozeß dann die Entsinnlichung, Desexualisierung, sinkt das Maß an Sinnlichkeit einer Gesellschaft. Das ist ne ganz eigenartige Geschichte – daß nämlich die ständige Präsenz des Sexuellen in der Öffentlichkeit das Maß an Sinnlichkeit einer Gesellschaft nicht erhöht, sondern senkt. Es wird eigentlich auch Begehren von Männern mißbraucht, man kommt in `ne ganz eigenartige Situation.“ Westjournalisten werden bis heute nicht müde, just jene fehlende Kommerz-Präsenz des Sexuellen, die in der DDR fehlende Frauenvermarktung als schlagenden Beweis für damalige Lustfeindlichkeit, verordneten Puritanismus hinzustellen.
Und heute? Was läuft im Kopfe von Durchschnittsfrauen ab, die täglich, an Zeitungskiosken, Werbetafeln, im Fernsehen umzingelt sind von nackten Models, in sogenannten verführerischen Posen? „Also wenn man das beobachtet, da steht dann ne einfache Frau – und sie sieht die tausend Frauen, die alle viel schöner sind, und viel nackter sind. Dann ist die klein, ein Nichts. Und das ist nicht gerade selbstbewußtseinsfördernd.“
--kryptofaschistische Leitbilder—
Diese vorgestanzten Leitbilder von Erotik und Schönheit, die nachdenklichen Zeitgenossen sogar kryptofaschistisch vorkommen, an die SS-Idealmenschen erinnern – diese aggressiv wie nie propagierten Leitbilder in einer neoliberalen Gesellschaft sorgen heute für beträchtliche Ängste und Leidensdruck. Nicht nur bei älteren, erwachsenen Frauen, sondern auch bei ganz jungen Mädchen. Erika Maas, Lektorin, wird von ihren grade erwachsenen Jungs gefragt, ob sie und ihre Freundinnen damals auch so kompliziert im Bett gewesen sind:“Die Mädchen von meinen Söhnen haben alle Angst, Idealen nicht zu entsprechen. Daß sie nicht schlank genug sind, daß der Busen zu klein oder zu groß ist, nicht fest genug, der Bauch nicht richtig flach, die Beine nicht schön lang, die Haare nicht so glänzen, wie man sichs vorstellt. All das, womit sie ja in den Medien, den Hochglanzzeitschriften, in Filmen berieselt werden. Und deshalb eben nicht wie wir damals entspannt, wollüstig, erotisch im Bett liegen, sondern sich im Hinterkopf überlegen, wie muß ich mich jetzt ausstrecken, damit mein Rücken schön grade, mein Bauch gut rauskommt, die Haare sich um mein Gesicht schlängeln. Der Trend geht doch dahin, daß sie sich die Lippen aufspritzen, die Brüste verkleinern, vergrößern lassen – und das ist natürlich total unerotisch – du bist ja nicht mehr du selbst. Das sind doch alles Dinge, die einen fertigmachen. Und auch das ist neu für uns aus dem Osten – heute empfinden ne Menge Leute Sexualität als schmutzig, weil sie oft so eklig, dreckig, brutal und so ordinär unter die Leute gebracht wird – daß es gar nicht schön ist, was man da miteinander treibt. Man wächst heute nicht mehr unbedingt mit dem Gedanken auf, Erotik, Sinnlichkeit und Sex seien was Tolles, Aufregendes.“
Schon manche Siebzehnjährigen meinen, daß einem da die Lust auf Sexualität vergehen kann. „Alles wird brutal und demütigend dargestellt.“
Sabine Bertram, Jahrzehnte jünger, bestätigts, sechs von zehn Mädchen, so ihre Erfahrung, könnten sich selbst nicht leiden, just wegen des Diktats der Leitbilder. Und blockten dann jeden noch so ehrlich gemeinten Annäherungsversuch ab, kämen überhaupt nicht auf die Idee, erotische Signale auszusenden. Kalkül:“Früher oder später würde der ja im Bett mitkriegen, wie furchtbar ich aussehe, ich womöglich noch ungeschminkt.“
Auch Ulrike Brandenburg, Sexualwissenschaftlerin am Universitätsklinikum Aachen, registriert gerade bei jungen Frauen zunehmende Angst vor Hingabe und Intimität. „Wir kriegen eine Höllenangst, wenn es darum geht, uns schutzlos und intim zu zeigen.“ Man fühle große emotionale Unsicherheit, leugne sie aber meistens weg.
Wir leben in einem freien Land, heißt es immer, nie sei die persönliche Freiheit größer gewesen als heute. Doch ausgerechnet für Lust und Erotik gilt das nicht, da trauen sich die Leute immer weniger, wie Professor Starke herausfand.Zwanzig-bis Dreißigjährige, stellte er fest, schlafen heute seltener mit jemandem, den sie mögen, als Fünfzigjährige.
“Angst ist der größte Lustkiller - Angst ist der größte Erotikkiller. Diese latente Kriminalisierung von Erotik, die Tatsache, daß man dem anderen nur Schlechtes zutraut, vorwiegend den Männern, wirkt sich so aus, daß Männer verunsichert werden. Die haben wirklich Angst, sich mit dem anderen Geschlecht einzulassen, haben Angst vorm ersten Mal, haben Berührungsängste, Ängste zu versagen, Ängste, nicht so zu sein, wie das öffentliche Bild vom überlegenen Mann das darstellt – und da lassen sies dann ganz einfach.“
Starke sieht das Hauptproblem in den „Grundlagen der Gesellschaft – wie Menschen sich in eine Gesellschaft einbringen können, wie sie diese gestalten können. Wenn Jugendliche wissen, ich werde ja garnicht gebraucht, ich kriege keine Lehrstelle, ich werde nicht gebraucht - das ist doch wirklich das allerletzte. In einer Gesellschaft, wo nur Sieger zählen, ist der Unterlegene nichts.“
Der spürt laut Starke besonders im Osten Arbeitslosigkeit, Mobbing, Streß, berufliche Abwertung, die wachsende lusttötende Rolle des Geldes. Alles, was früher unbekannt war. Es gebe wieder viel mehr Hierarchien, man müsse sich mehr ducken. Und komme sich daher persönlich lieber nicht so nahe, weil man dadurch verletzlich werde - etwas von sich zeigen könnte, das andere dann ausnutzen. Also lieber sehr selbstkontrolliert sein. Wie empfinden das junge Leute?
Eigene Erotik als Marktwert
Benjamin Walther, Student in Berlin: “Diese Belastung, die man im täglichen Alltagsstreß hat, diese Selbstvermarktung - wie man seinen Marktwert aufbaut – ich denke, daß sich viele da ver-drehen, und im Endeffekt garnicht mehr wissen, wer sie selber sind. Dieser Trend in der Gesellschaft – alles immer schneller, mehr technokratisch - wie soll da noch Erotik aufkommen? Wieviele erotische Situationen ergeben sich in so einem Alltag? So gut wie null. Die Leute sehen ihre Erotik, ihr Aussehen wie einen Marktwert an – und das ist enterotisierend. Wenn Erotik als Marktwert gesehen wird, eine Frau sich nicht mehr wie selbstverständlich als erotisch, schön, attraktiv, begehrenswert empfindet, sondern weiß, das ist heutzutage ein Marktwert - da blitzt du einfach nur knallhart ab, da prallste ab.“
Angst als Lust-und Erotikkiller – das bestätigen alle, die ich befragte. Die Grundstimmung in der deutschen Gesellschaft habe natürlich Einfluß darauf, wie erotisch, wie lustvoll die Leute seien. Erika Maas:“Wenn du Angst vor Arbeitslosigkeit hast, wenn du arbeitslos bist, wenn du in nem Kreis von Leuten arbeitest, wo du Druck ausgesetzt bist, oder dich zu alt fühlst – und heute fühlt man sich ja schon mit vierzig als alter Knochen. Das sind Dinge, wo man über sich nachdenkt - und findet sich nicht mehr arbeitsmarktfähig - und eben auch nicht mehr begehrenswert. Wie sollste denn ein Selbstwertgefühl entwickeln, wenn du an keiner Stelle in dieser Gesellschaft gebraucht wirst? Wenn Menschen sich selber infragestellen, sind sie natürlich verschlossen. Und wenn Leute keine Kinder mehr kriegen wollen, hat das mit der Angst zu tun, nicht mehr alles im Griff zu haben.“
Clever und effizient und cool zu sein, und immer selbstkontrolliert – das wird heute belohnt. Sehr anstrengend, weil man dann nicht mehr echt, bestenfalls geheuchelt spontan sein kann. Deutliche, interessante erotische Signale aussenden, jemandem, den man mag, Lust und Begehren, Lust auf Verführen zu signalisieren – das passiert dann natürlich nicht mehr. Wer sich in den bewegendsten Situationen gelassen, scheinbar gefühllos verhält, cool eben, der wird dann auch so, analysiert Starke. Wer hats nicht schon erlebt? Die Parties immer langweiliger, nichts knistert und prickelt, nichts passiert da mehr – in der Disco-Szene meist das gleiche. Bestenfalls manchmal grotesker, lächerlicher Narzißmus, wie auf der Love-Parade. Die Partnersuche – deshalb unerhört schwierig, meint nicht nur Starke. Männer, Frauen, soviele Singles, die gerne einen Partner hätten, gehen selbst in feurige Salsa-Discos, lassen sich aber nichts anmerken. Kommen alleine, tanzen ab, gehen alleine, manchmal jahrelang. Ganz extrem in der Technoszene.
Kunst des Verführens in Mißkredit
Professor Starke: “Man zeigt sich da, man präsentiert sich, großes Körperbewußtsein, sehr freier Umgang. Aber die Körper kommen nicht zueinander, sind eigentlich isolierte Wesen. Eine ganz schwierige Geschichte, daß die Menschen, wohin man auch immer heutzutage geht, nicht sofort aufeinander fliegen. Daß es so schwer ist, so schwer geworden ist – selbst bei einem per Annonce geplanten Rendezvous. Spontan sein, aber mit einer inneren erotischen Kultur – das fällt Menschen heute sehr schwer – und das ist auch nicht so ohne weiteres erlernbar. Die Kunst des Verführens ist in Mißkredit geraten. Und das ist ein Kulturverlust.“
Nur zu viele stimmen Starke aus leidvoller eigener Erfahrung, von Parties oder Festen, mit Jüngeren oder Älteren, zu.
Karin Belling etwa, Westberlinerin, hat viele Beispiele parat, stieß auf so einen scheinbar Coolen: “Dieser Mann möchte so gerne jemanden kennenlernen, hätte jetzt mal die Gelegenheit bei zwei, drei Frauen, die er besonders gut findet. Doch er tut eben cool, als hätte er keine Probleme, gar ne Freundin irgendwo, die er nur nicht mitgebracht hat Er unterhält sich total sachlich - wenn es überhaupt soweit kommt. Häufig ist es ja so, daß nur noch geguckt wird, so indirekt, bloß aus Angst, näher auf jemanden zuzugehen. Die Jungs gehen erst mal ganz cool auf die Mädchen zu – aber dann entwickelt sich nicht mehr, die Berührungsängste sind einfach zu groß. Bei den Jungen totales Imponiergehabe, Hahnenkampf, aber nichts dahinter. Wenns wirklich draufankommt, sind sie weg. Blasen sich eben nur auf. Getanzt wird ganz wenig, es passiert nichts mehr. Seit den Achtzigern geht es so bergab. . Wichtiger wurde Business, Erfolg zu haben – und ein Körperimage auf Kosten der Sinnlichkeit. Vorbei ist dieses Aufeinanderzugehen, sich aufeinander einlassen, gefühlsmäßig etwas riskieren. Das ist es - bloß nichts riskieren!“
Benjamin Walther, der Student, kennt die Clubs, die HipHop-Szene:
“Es sind jede Menge schöne Menschen unterwegs in den Clubs – aber erscheinen unnahbar. Sie steigern sich in ein High-Society-Feeling rein - man ist hip und darin geht man auf - man braucht niemanden mehr. Die Leute ballern sich zu mit Ego-Drogen - wie soll das erotische Stimmung fördern? So viele schöne Frauen, aber soviele unfähig, sich selbst zu genießen . Auch unfähig, zu genießen, wie Männer sie anschauen. Wie viele Frauen sind denn noch fähig zur Zärtlichkeit – nicht mehr selbstverständlich. Es existiert so wenig Liebe in der Gesellschaft.“
Enterotisierung im Osten – Nachwende-Kulturverluste
Selbst im tiefsten Sachsen, im früheren Karl-Marx-Stadt, kam offenbar dieser Enterotisierungstrend an, klingt bei Befragten sehr viel Nostalgie durch. Sabine Saleck arbeitet täglich mit jungen Leuten, vergleicht mit ihrer Jugend, stellt gravierende Veränderungen fest: “Was Sex, Sinnlichkeit, Erotik der Ostdeutschen betrifft, hat die Wende vieles zerstört. Was ich beobachte, ist einfach traurig. Die Ostjugendlichen heute haben weniger Geschlechtsverkehr als wir damals. Sie spielen den coolen Typ, aber trauen sich nicht - das ganze Verhältnis untereinander, die zwischenmenschlichen Beziehungen sind ja kälter geworden. Lächerlich, wie das in den Discos heute abläuft - da tanzen die Jungs für sich, die Mädchen für sich - es ist grauenhaft. Da prickelt nichts mehr. Die Mädchen reden viel über andere, über diesen und jenen süßen geilen Typ, gehen aber alleine nach Hause – wir hätten ihn uns geschnappt. Bei uns war das prickelnder. Daß, und wie der Junge anders fühlt, die Erfahrung mußt du erst mal machen – die machen die jetzt alle nicht.“ Westdeutschen auch diese ganz speziellen Nachwende-Kulturverluste zu vermitteln – gewöhnlich so gut wie unmöglich.
Erika Maas in Berlin fällt auf, daß es für die Männer viel anstrengender geworden ist, ihnen viel mehr Abneigung, Ablehnung entgegenschlägt – und sie daher direkt Angst haben, erotisch eine Frau zu erobern.
“Wenn ich in Cafes bin oder unterwegs, empfinde ich sehr selten, daß Leute erotische Signale ausstrahlen – eher sind die doch alle verschlossen. Eine freie Atmosphäre, wie man sie etwa in Italien erlebt, mit Blickkontakt und Komplimenten – das findet ja leider hier nicht statt. In meinem Kollegen-und Freundeskreis sind ne Menge Leute mit jener Flexibilität, die heute Arbeitskräften abverlangt wird. Die arbeiten fürn halbes Jahr in Hamburg, dann zwei Jahre in Köln, und dann vielleicht fürn halbes Jahr in New York. Das sind Menschen, die ohne Sexualität und Erotik leben. Wenn du immerzu in ner fremden Stadt bist, immerzu unter neuen Kollegen abchecken mußt, wie du dich in diesen Kreisen zu bewegen hast, bleibt für Erotik und Sexualität weder Zeit noch Raum. Und auch gar keine Offenheit. Und so viele Menschen gibts gar nicht auf der Welt, die für dich so spannend, so erotisierend, so vertraut sind, daß du bereit bist, dich zu öffnen. Das kann nicht klappen.“
Das Verrückte dabei - Professor Starke hats in Untersuchungen ermittelt: So viele träumen in Wahrheit vom freien Ausleben erotischer Gefühle, möglichst romantisch, vom Verführen, vom Erobern oder Erobertwerden. Müssen wir diese neue enterotisierte Gesellschaft nun leider Gottes hinnehmen, gibts keinen Ausweg? Starke sieht einen, nimmt sich den modernen Kapitalismus vor.
“Wir müssen aus dieser angstsozialisierten Gesellschaft, aus den angstsozialisierten Individuen freie Individuen machen. Sicherlich muß man ständig auch dafür kämpfen, daß lust-und glücksverheißende Bedingungen geschaffen werden. Zum Beispiel dafür, daß Menschen gerne Kinder kriegen – auch etwas sehr Lustvolles, Lebenszugewandtes. Wenn Menschen optimistisch in die Zukunft schauen – ist auch die Erotik gesichert, die Sinnlichkeit. Dann geht diese Angst weg – und die Menschen können sich fröhlich ineinander verlieben.“

Klaus | 28.11.06 20:53 | Permalink

Kommentare

Ich frage mich, was dieser Mist auf dem Ostblog zu suchen hat. Dümmer als die beiden Texte ist nur noch die Einführung dazu.

Verfasst von: b.b. | 30.11.06 16:09

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