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UNO:Brasilien bekämpft Rassismus nicht

"Sozioökonomische Diskriminierung weiter gravierend"
Schwarzenkultur von Weißen kommerziell vereinnahmt

von Klaus Hart, Sao Paulo

Die vierjährige Amtszeit der auch von den deutschen Kommerzmedien als links und progressiv eingestuften Mitte-Rechts-Regierung von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva nähert sich dem Ende - innerhalb und außerhalb des Tropenlandes wird derzeit nachgeprüft, ob die Wahlversprechen erfüllt wurden. Der aus Senegal stammende Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, Doudou Diene, widmete sich dem Rassismusproblem. Seine Schlußfolgerung: Der Rassismus wird von den Autoritäten nicht nennenswert bekämpft, spürbare Verbesserungen sind ausgeblieben.

Durch Brasilien zu reisen, ist so, als ob man ständig zwischen zwei entfernten Planeten hin-und herpendelt, sagt Diene. Unten auf den Straßen lebendige Farben, Rassenmischung – doch oben in den Chefetagen der Politik, der Wirtschaft und der Medien finde man nur Weiße. Dabei ist Brasilien nach Nigeria immerhin das Land mit den meisten Dunkelhäutigen - rund die Hälfte der Bevölkerung, etwa neunzig Millionen. In seinem Bericht betont der UNO-Experte, die Lula-Regierung räume zwar öffentlich ein, daß es Rassismus gebe, verzichte aber auf effiziente Gegenmaßnahmen. Brasiliens Elite propagiere nach wie vor erfolgreich die Ideologie der angeblichen Rassendemokratie – auch deshalb sei es so schwierig, die rassistische Mentalität zu ändern. Selbst Schwarzenkultur werde heute von den Weißen kommerziell vereinnahmt – der Karneval sei ein Spektakel für Weiße geworden. Laut Carlos Lopes, UNO-Repräsentant in Brasilia, genügt ein Blick auf die scharfen Sozialkontraste in der immerhin elftgrößten Wirtschaftsnation: “Jene Brasilianer, die am meisten unter Misere und Diskriminierung leiden, sind größtenteils Dunkelhäutige. Elend und Not betrifft zu siebzig Prozent Schwarze. Zwar wird über Rassismus debattiert, doch er existiert weiter in jeder Form. Die sozioökonomische Diskriminierung ist besonders auffällig.“

Schwarze werden für gleiche Arbeit deutlich schlechter bezahlt als Weiße, Schwarze sind die typischen Hilfsarbeiter, die typischen Slumbewohner, haben die niedrigste Schulbildung. Der Zugang zu höher bewerteten Berufen wird weiter enorm erschwert. An Brasiliens bester Bundesuniversität in Sao Paulo sind unter den 4700 Professoren gerade fünf Dunkelhäutige. Auf dem UNO-Index für menschliche Entwicklung liegt Brasilien auf dem 73. Platz deutlich abgeschlagen hinter Ländern wie Kuba und Argentinien. Nähme man indessen nur das weiße Brasilien, so wurde errechnet, läge dies auf einem komfortablen 44. Platz in der Gruppe jener Staaten mit hohem Entwicklungsniveau. Das schwarze Brasilien rangierte auf dem UNO-Index dagegen nur auf Platz 105, hinter El Salvador und Palästina. Unter Staatschef Lula sanken die Sozialausgaben gegenüber der Vorgängerregierung von Fernando Henrique Cardoso – schlecht für die Schwarzen.

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Landlosenbewegung

Der sozialkritische Streifen „City of God“, der auch in Deutschland mit Erfolg lief, basiert auf einem Roman des schwarzen Schriftstellers Paulo Lins, der just in dieser Gottesstadt, einem Slum von Rio de Janeiro aufgewachsen war: “Eine Geschmacklosigkeit zu sagen, hier in Brasilien gebe es keinen Rassismus. Dieses Problem ist sehr ernst hier, ich habe viel darunter gelitten. Im Fernsehen sieht man so gut wie keine Schwarzen – die wichtigen Posten in Brasilien sind nur mit Weißen besetzt. Und es scheint so, als habe man sich daran gewöhnt.“

Dunkelhäutige Profifußball-Aufsteiger machen für Großbanken Propaganda

Aber haben nicht viele schwarze Brasilianer den sozialen Aufstieg geschafft, werden gerade im Fußball oder im Showgeschäft sehr hoch bezahlt? Vor der Fußball-WM heimsen die dunkelhäutigen Profi-Fußball-Millionäre Ronaldo und Ronaldinho Gaucho nach Pelè-Vorbild weitere Unsummen ein, indem sie auf eklig-schleimige Art in allen Medien Brasiliens Propaganda für die Bank Santander Banespa machen, die sich den Coup 100 Millionen Dollar kosten läßt. Die Rolle von Banken wie Santander Banespa im neoliberalen sozioökonomischen Kontext Brasiliens ist diesen Fußballprofis bestens bekannt – daß sie dennoch für diese Geldinstitute Reklame machen, sagt genug. Gemäß neuesten Einstufungen ist Ronaldinho Gaucho derzeit der Profifußballer mit dem höchsten Marktwert für Unternehmerpropaganda. Der PR-Wert wurde mit 47,6 Millionen Euro angegeben. Ronaldo folgt auf dem siebten Platz, mit einem Werbewert von 29,8 Millionen Euro. Für Paulo Lins handelt es sich bei solcherart Aufsteigern um Ausnahmen, täuscht der oberflächliche Eindruck:

“Bis heute fühle ich diesen Rassismus. Gehe ich in ein abgesperrtes, bewachtes Wohnviertel von Bessergestellten, werde ich übel behandelt. Sitze ich mit Weißen im Auto, werden wir von der Polizei nicht angehalten. Sind wir aber nur Schwarze im Wagen, stoppen sie uns.“

Im brasilianischen Fußball werden in letzter Zeit dunkelhäutige Spieler und Schiedsrichter häufig rassistisch beschimpft. Und erst nach zehn Jahren Prozeßdauer wurde der Sony-Musikkonzern kürzlich wegen eines rassistischen Lieds über eine, wie es im Text heißt, häßliche, stinkende Negerin Brasiliens verurteilt. Sony ging in Berufung.

Klaus | 28.03.06 23:02 | Permalink