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"Schande für Brasilien"

Brasilianisches Gericht spricht Massakeroberst frei

--von Klaus Hart, Sao Paulo--

Ein Gericht in Sao Paulo hat am Mittwoch(Ortszeit) eine hohe Gefängnisstrafe gegen den Polizeiobersten und Abgeordneten Ubiratan Guimaraes annulliert, der im Oktober 1992 ein Massaker an Gefangenen der städtischen Haftanstalt Carandiru befohlen und geleitet hatte. Bei dem Blutbad hatte eine Sondereinheit der Militärpolizei nach amtlichen Angaben 111 Insassen getötet, gemäß der katholischen Gefangenenseelsorge lag die Opferzahl weit höher. Erst 2001 war Guimaraes zu 632 Jahren verurteilt worden, blieb indessen auf freiem Fuß und ging in Berufung. Der Polizeioberst und seine Anhänger feierten den jetzt erfolgten Freispruch noch im Gerichtsgebäude als "Sieg der Gerechtigkeit", Guimaraes und dessen Sondereinheit hätten seinerzeit völlig legal gehandelt. Der katholische Priester und Menschenrechtsaktivist Julio Lancelotti bezeichnete den Richterspruch indessen als "tiefe Schande für die brasilianische Gesellschaft", nicht nur die Bürgerrechtler des Landes seien entsetzt und betroffen. Das überraschende Urteil werde in aller Welt ein negatives Echo hervorrufen.
Sao Paulos Regionalkoordinator der Nationalen Bewegung für Menschenrechte, Ariel de Castro Alves, erinnerte daran, daß die Organisation Amerikanischer Staaten im Jahre 2000 Brasilien offiziell aufgefordert habe, endlich die Schuldigen des Häftlingsmassakers zu bestrafen. Nachdem weder die zuständigen Politiker noch die Todesschützen der Sondereinheit belangt worden seien, habe Sao Paulos oberstes Gericht nun schändlicherweise auch noch den hauptverantwortlichen Offizier freigesprochen. Dies dürfte dem Image Brasiliens erheblich schaden. Die Polizisten des Landes, so Alves, hätten bei Einsätzen in Gefängnissen und Jugendhaftanstalten nunmehr eine "Lizenz zum Töten". Ab jetzt gelte totale Straffreiheit. Wer Übergriffe oder Morde begehe, könne sich gemäß dem jüngsten Urteil darauf berufen, strikt nach den legalen Vorschriften gehandelt zu haben. Jedermann könne sich nach dem Richterspruch vorstellen, welche Gefühle die Überlebenden des Massakers sowie die Angehörigen der Getöteten jetzt bewegten.
Ubiratan Guimaraes ist Abgeordneter der Rechtspartei PTB, die zur Regierung von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva gehört. PTB-Politiker erhielten Ministerämter und andere hohe Posten. Im wirtschaftlich wichtigsten Teilstaat Sao Paulo unterstützt die PTB den derzeitigen Gouverneur Geraldo Alckmin von der Sozialdemokratischen Partei(PSDB).

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Klaus | 15.02.06 23:45 | Permalink