« Nach vier Jahren: Am 14. Juni 2005 steht die Online-Demonstration gegen Lufthansa von 2001 vor Gericht | Hauptseite | Deutschland: Spitzenplatz im Spitzeln »

Menschenrechtsaktivisten der USA und Brasiliens: UNO-Truppe in Haiti deckt Polizeiterror gegen Zivilbevölkerung

--von Klaus Hart, Rio de Janeiro--
"Brutalste Übergriffe der Polizei, summarische Exekutionen, Massengräber - die UNO-Truppe Minustah schaut zu wie, internationale Menschenrechtsnormen offen verletzt werden!" So schildert der nordamerikanische Anwalt und Rechtsdozent James Cavallaro von der renommierten Harvard-Universität jetzt in Rio de Janeiro die Zustände im Karibikstaat Haiti. Lateinamerika-Fachmann Cavallaro arbeitet in der brasilianischen Menschenrechtsorganisation "Centro de Justica Global" mit, untersuchte die letzten Monate auf Haiti gemeinsam mit Expertenteams das Vorgehen der von Brasilien geführten Minustah, stieß sogar auf geheime Friedhöfe. Nahe der Hauptstadt Port-au-Prince grub er Leichenteile aus, sogar ein getötetes Kind.

Im Juni letzten Jahres hatte der Sicherheitsrat den UNO-Einheiten das Mandat erteilt, in Haiti für Sicherheit und demokratische Entwicklung zu sorgen, Kämpfer der aufgelösten Streitkräfte ebenso wie Banden zu entwaffnen, die Menschenrechte zu garantieren. „Nichts davon geschieht, die Minustah erfüllt ihr Mandat nicht“, betont Cavallaro bei der Vorstellung des auch in den USA und in der Schweiz veröffentlichten Haiti-Berichts, „in dem Karibikstaat herrschen weiter Chaos und Anarchie.“ Nach rund neun Monaten UNO-Mandat existiere nicht einmal ein Entwaffnungsplan, würden weite Gebiete Haitis immer noch von den Ex-Militärs kontrolliert. „Wir haben mit ihnen gesprochen, waren in deren Regionen – die sind gut gerüstet, ihrer wachsenden Stärke bewußt, die geben nicht auf.“ Die jüngsten Gefechte, bei denen auch UNO-Soldaten getötet wurden, scheinen Anwalt Cavallaro zu bestätigen.
Er verurteilt zudem, wie die Minustah Operationen der „extrem gewalttätigen und sehr korrupten“ Polizei Haitis unterstütze – vor den Augen der UNO-Soldaten werde die Zivilbevölkerung terrorisiert. „Doch die Minustah schaut zu, statt es zu unterbinden – die Verbrechen bleiben straflos. Menschenrechtsverletzungen werden von den Einheiten nicht einmal dokumentiert - unsere Anzeigen, unsere Bitten um Ermittlung blieben unbeantwortet.“ Dies alles sei schockierend.
Der Bericht beschreibt, wie die Polizei selbst Krankenhauspatienten tötet, deren Leichen in Massengräbern verschwinden läßt. Zudem verbreite die Minustah selber Terror unter der Bevölkerung, indem sie in dichtbesiedelten Armenvierteln von Städten wie Port-au-Prince völlig unbegründet und ziellos das Feuer eröffne, wobei zahlreiche unschuldige Zivilisten getötet worden seien.
Cavallaro zieht Vergleiche zu Blauhelm-Einsätzen in Sierra Leone und Liberia – unter viel schwierigeren Bedingungen als in Haiti sei es dort gelungen, zehntausende Kämpfer zu entwaffnen, den demokratischen Prozeß zu fördern – doch auf der Karibikinsel fehle den Minustah-Militärs dafür der politische Wille. „Entweder haben sie ihr Mandat nicht verstanden - oder wollen es nicht verstehen.“
Laut Anwalt Cavallaro ist gut möglich, daß Brasilien einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat bekommt. Dann hätte das Tropenland eine zunehmend wichtigere Rolle in internationalen Angelegenheiten. „Doch leider ist die brasilianische Zivilgesellschaft überhaupt noch nicht fähig, zu kontrollieren, was das Land außerhalb der eigenen Grenzen tut. Und das wäre bei einem Sitz im Sicherheitsrat umso dringlicher.“ Der jetzt vorgestellte Bericht sei der bisher einzige über Brasiliens Aktivitäten in Haiti – denn die brasilianische Presse verhalte sich völlig unkritisch. „Was Brasilien in Haiti anrichtet, ist nun einmal eine extrem unglückliche Sache.“ Amnesty International beurteilt die Lage ähnlich.
Brasiliens Staatschef Lula rühmt die Truppenentsendung nach Haiti als international anerkannten Beitrag für den Frieden auf der Welt – doch zahlreiche prominente Brasilianer, Kongreßabgeordnete seiner eigenen Arbeiterpartei, Intellektuelle und Bischöfe der katholischen Kirche verurteilen seine Entscheidung als schweren politischen Fehler. „Wir können nicht akzeptieren, daß brasilianische Einheiten an einer Okkupation teilnehmen“, warnten sie Lula in einem Manifest bereits lange vor dem Verschiffen der 1200 Soldaten des Tropenlandes. Die bereits auf Haiti stationierten Soldaten aus den USA, Kanada, Frankreich und Chile seien Interventionstruppen, die eine Marionettenregierung installiert hätten. Die Bush-Regierung wolle in der Region grenzenlose Hegemonie – was durch die Haiti-Intervention nur noch unterstützt werde. Deutliche Worte an den „Excelentissimo Senhor Presidente da Republica, Luis Inacio Lula da Silva“, der, wie viele meinten, ein solches Manifest noch vor mehreren Jahren, als Führer der wichtigsten Oppositionspartei Brasiliens, sicherlich mit unterschrieben hätte. Auf Druck von Großmächten wie den USA und Frankreich, wie die Manifestunterzeichner fest überzeugt sind, übernahm Brasilien mit General Augusto Pereira im Juni 2004 sogar das Kommando der bislang von den USA geführten Haiti-Truppen. Für die befreiungstheologisch orientierten Bischöfe Demetrio Valentino und Tomas Balduino weckt das alles schlimme Erinnerungen. Denn 1965 war das damalige brasilianische Militärregime den US-Truppen in der Dominikanischen Republik zu Hilfe gekommen, als der rechtmäßig gewählte Präsident Juan Bosch gestürzt und eine diktatorische Regierung eingesetzt worden war. „Wir verurteilen diesen Putsch von 1965 – doch jetzt hilft Brasilien mit beim Putsch in Haiti, gegen Präsident Aristide!“, kritisiert Balduino, „die USA haben ihr Vorgehen in Lateinamerika seit den 60er Jahren nicht geändert, befürworten immer wieder solche Staatsstreiche.Auch hinter den Vorgängen in Venezuela stecken die USA, um die gewählte Regierung von Präsident Hugo Chavez zu beseitigen.“
Lula entschied aus politischem Kalkül, sind sich alle Manifestunterzeichner einig. Denn Brasilia will seit Jahren einen ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat – der sei, so Bischof Balduino, von den USA jetzt als Gegenleistung für die brasilianische Truppenentsendung in Aussicht gestellt worden. „Keineswegs geholfen haben die USA indessen der legalen Regierung von Aristide - welcher viele Fehler machte, doch bereits dabei war, sie zu korrigieren.“
Wenn die brasilianische Regierung hinter einem Sicherheitsratssitz her ist, so Bischof Valentino ironisch, müsse sie in solchen Situationen wie jetzt in Haiti natürlich aktiv werden. „Doch es ist eine Intervention, gegen alle von Brasilien stets verteidigten Prinzipien – und damals in der Dominikanischen Republik hat sie uns nur die Antipathie der Bevölkerung eingebracht – bis heute mag man uns dort nicht.“ In Haiti drohe dasselbe. Enttäuschung über die Friedenstruppe nennen selbst brasilianische Generalstäbler ein großes Risiko. Bischof Valentino sieht zudem Parallelen zum US-Truppeneinsatz im Irak und in Afghanistan. „Die USA spielen sich als Welt-Richter auf, mit dem Auftrag, die Weltordnung zu stützen – in Wahrheit gemäß eigenen Interessen. Einem Land, das sich über die UNO hinwegsetzt, sollte man jedoch niemals vertrauen.“
Haiti ist hier – Lula weiß das, doch will es ignorieren - steht jetzt täglich in den brasilianischen Zeitungen. Der unerklärte Bürgerkrieg in Brasilien fordere weit mehr Opfer als in Haiti – oder im Irak. „Brasilianische Truppen müssen unser Territorium befrieden, nicht das anderer Länder“, schreibt der auflagenstarke „O Globo“ in Rio de Janeiro. Der Kon greßabgeordnete Fernando Gabeira, der wegen Lulas neoliberalem Kurs aus dessen Arbeiterpartei austrat, schlug dem Justizminister Thomaz Bastos vor, die die für den Haiti-Einsatz vorgesehenen Gelder besser in den Kampf gegen die Gewalt in Rio zu investieren:“Die Bush-Regierung arbeitete ernsthaft darauf hin, Aristide zu stürzen . Doch Haiti ist hier – in Rio sterben mehr Menschen durch Gewalt als bei den politischen Unruhen in dem Karibikstaat.“
Ende März ereignet sich in Rio das bisher größte Blutbad – Todesschwadronen ermordeten in einer einzigen Nacht mindestens 27 Menschen.

Klaus | 01.04.05 17:06 | Permalink