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Amazoniens "Agrobanditen" ermorden Menschenrechtler, Umweltschützer, Landlosenführer

Massive Urwaldvernichtung toleriert - Greenpeace für "Druck Deutschlands auf Lula"
--von Klaus Hart, Rio de Janeiro--
Unter der Mitte-Rechts-Regierung von Staatschef Lula geht der Terror gegen Umweltaktivisten und Menschenrechtler, die sich der Amazonasvernichtung widersetzen, ungehindert weiter. Im Februar wurde im Teilstaat Parà, von der dreifachen Größe Deutschlands, der Landarbeiter-Gewerkschaftsführer Soares da Costa Silva ermordet, wenige Tage zuvor die hochengagierte nordamerikanische Missionarin Dorothy Stang. Beide hatten seit langem Morddrohungen von illegalen
Holzfirmen und Großfarmern erhalten. Die brasilianische Regierung, das vom Sektenmitglied Marina Silva geleitete "Umweltministerium", haben jetzt dem Druck der Holzbranche nachgegeben und die zunächst per Dekret gestoppte, größtenteils illegale Rodung von Urwäldern wieder erlaubt. Greenpeace und WWF, aber auch die nationalen Umweltschutzverbände, verurteilen dies heftig. Sie sehen Parallelen zum Einknicken der Lula-Regierung bei Gensoja.

Dessen Anbau war zunächst zum Schein verboten worden – de facto ließen die zuständigen Behörden jedoch zu, daß massiv Gensoja gepflanzt und eine Ernte von etwa zwei Millionen Tonnen eingefahren wurde. Auf Druck des Agrobusiness gab Staatschef Lula unter Bruch von Wahlversprechen schließlich den Anbau frei.
--Amazonasvernichtung mit Gewalt und Sklaverei—
Urwald wird auch gerodet, um mehr Soja pflanzen und in Industrieländer wie Deutschland exportieren zu können. Laut Greenpeace-Experte Paulo Adario, der wegen Morddrohungen zeitweise unter Polizeischutz stand, eine kugelsichere Weste trug, wird die Vernichtung der Urwälder mit massiver Gewalt und selbst Sklaverei vorangetrieben.
Amazonien erlebte die letzten Wochen Proteste völlig neuer Art. Nicht Landlose oder Arbeiter gingen auf die Straße, sondern Holzunternehmer und Großgrundbesitzer. Sie blockierten mit ihren Angestellten die wichtigsten Verkehrswege, die schiffbaren Flüsse, besetzten Gebäude staatlicher Behörden. Die mit der Holz-und Agrarbranche liierten Politiker, darunter konservative Kongreßabgeordnete, Gouverneure und Bürgermeister, machten gleichzeitig in Brasilia Druck auf die Regierung, die zuständigen Ministerien. Man wollte Regierungsdekrete zu Fall bringen, die Wald-und Landbesitzer zwingen sollten, erstmals klipp und klar ihre Besitzrechte nachzuweisen – ein ganz heißes Eisen in Amazonien. Holzunternehmen wurde solange das Roden von Urwald untersagt. Paulo Adario, Greenpeace-Koordinator in Amazonien: „Doch jetzt gab Brasilia nach, akzeptierte Rodungsprojekte, die zu achtzig Prozent Staatswald betreffen und damit völlig illegal sind. Daß private Unternehmen Bäume in Urwäldern fällen, die der Allgemeinheit gehören, ist ja schließlich verboten. Jetzt dürfen diese Firmen ein ganzes Jahr lang weitermachen, brauchen erst später Besitzurkunden vorzulegen oder Rodungsrechte zu beantragen. Der Druck kam von jenen Wirtschaftssektoren, die seit jeher gewöhnt sind, Amazonien als eine Art Niemandsland zu behandeln, ohne Recht und Gesetz.“
Und sind die Wälder erst einmal gerodet, rücken die Großgrundbesitzer nach, pflanzen Soja und Baumwolle für den Export, legen riesige Weideflächen an. “Seit 2003 ist Brasilien der größte Rindfleischexporteur der Welt – wie bei Soja auf Kosten der Amazonasurwälder. Die Regierung verhält sich schizophren, bricht ihre Versprechen, die Umwelt zu schützen, hat nun ihre Glaubwürdigkeit verloren, ist demoralisiert. Und die Holzbranche schafft jetzt Fakten. Bei einem Rodungsstopp sagt sie, es fehle Holz, das dem Land viele Devisen einbringe – wir müssen Sägewerke schließen, Leute entlassen - welch enormer Schaden für das ganze Land! Doch diese Firmen arbeiten kriminell, illegal. Letztes Jahr hatten wir offensichtlich die zweithöchste Abholzungsrate in der Geschichte Brasiliens und 2005 wird vermutlich das gleiche passieren.“
Laut Greenpeace und den anderen Verbänden liegt die Schuld nicht allein beim Umweltministerium, das durchaus einige positive Maßnahmen traf, sondern bei der gesamten Regierungskoalition, zu der konservative und rechte Kräfte gehörten. Und für diese sei nachhaltige Entwicklung, Umweltschutz keineswegs Priorität.
Adario betont interessanterweise, daß das brasilianische Umweltministerium ebenso wie in Deutschland zu den schwächsten Ressorts gehöre. Kein Geheimnis, daß Trittins Ministerium nach der Pfeife von Banken und Großindustrie tanzt, die Zerstörung von Landschaft, Natur und Artenvielfalt durch die konservative deutsche Regierung entgegen den üblichen offiziellen PR-Sprüchen gefördert wird. Nicht zufällig liegt Deutschland gemäß einer neuen globalen Umweltstudie nur auf Platz 31, Großbritannien auf dem 66., Spanien auf dem 76. Rang.
--„Deutschland sollte Druck auf Lula machen“—
Greenpeace-Koordinator Adario lobt indessen die Rolle Deutschlands als Hauptfinanzier des Pilotprojekts der G-7-Staaten zum Schutz der Amazonas-Regenwälder.
“Die deutsche Regierung beobachtet sehr aufmerksam, was in Amazonien geschieht, überprüft derzeit die Effizienz des Pilotprojekts. Deutsche Gelder trugen entscheidend zum Schutz großer Waldgebiete bei. Die Demarkation der Indianergebiete geschah hauptsächlich durch die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit(GTZ). Es gibt hier verschiedene extrem positive deutsche Waldschutz-Investitionen. Indessen - als man das Pilotprojekt 1991/92 startete, wurden jährlich zwölftausend Quadratkilometer Urwald vernichtet – heute sind es 23000 Quadratkilometer, also etwa doppelt so viel. Trotz aller Investitionen auch von deutscher Seite. Deutschland hat als Hauptfinanzier hohes politisches Gewicht in dieser Frage, müßte mehr Druck machen. Es geht nicht nur um Druck auf das brasilianische Umweltministerium, sondern auch auf Lula selbst, damit Schutzauflagen erfüllt werden, die immerhin von dessen Umweltministerium selber erlassen worden sind – in Richtung nachhaltiger Entwicklung.“ Greenpeace Brasilien rate der deutschen Regierung, die Probleme in Amazonien nicht als Rechtfertigung zu benutzen, um weniger zu investieren und aufzugeben, die brasilianische Regierung zu unterstützen. „Im Gegenteil, Deutschland sollte die Investitionen, aber auch den politischen Druck vergrößern, damit die Lula-Regierung ihre Hausaufgaben macht.“
Auch der Amazonas-Experte vom WWF, Luis Meneses, verweist auf die unglaublich erscheinende Tatsache, daß Holzunternehmen und Großfarmer hauptsächlich Amazonasregionen okkupierten, die dem Staat gehören. Und dieser dort auch noch die Rodung genehmigt.
“Wir meinen, die Urwälder sollten zum Nutzen aller Brasilianer auch weiterhin in öffentlichem Besitz bleiben - und nicht privaten Holzfirmen gehören, die zerstörerisch und oft illegal vorgehen. Nur 1,7 Prozent des in Amazonien geschlagenen Holzes haben überhaupt ein Umweltzertifikat, stammen also aus nachhaltiger Holzwirtschaft. Extrem besorgniserregend, daß die Vernichtungsraten so stark angestiegen sind.“ Laut Meneses gibt es Waldbesitzer, denen eine Fläche so groß wie der mittelamerikanische Staat El Salvador gehört.
--Politische Morde—
Brasiliens Bischof Tomas Balduino, Präsident der Bodenpastoral, in der die nordamerikanische Missionarin Dorothy Stang zugunsten von Landlosenfamilien arbeitete, hatte scharf verurteilt, daß die Lula-Regierung nur wenige Tage vor den neuesten politischen Morden erneut gegenüber den Holzfirmen eingeknickt war. „Dadurch sieht sich die Holzbranche bestärkt – der Mord an der Missionarin ist ebenfalls eine Form des Drucks auf Brasilia, um weitere Zugeständnisse herauszuholen.“ Die allgemeine Straffreiheit stimuliere zu noch mehr kriminellen Aktionen.
Laut Bischofskonferenz werden anders als im Falle der sehr bekannten ausländischen Missionarin zahlreiche politische Morde dieser Art an brasilianischen Menschenrechtlern Amazoniens gar nicht offiziell bekanntgegeben, registriert. Gemäß Bodenpastoral sind allein im Teilstaat Parà mindestens 25 Berufskiller auf freiem Fuß, die bereits solche Taten verübten, allein letztes Jahr elf Menschen umbrachten. Dorothy Stang habe ganz oben auf einer Todesliste mit den Namen von weiteren 41 Personen gestanden. Keineswegs selten würden gleich mehrere Mitglieder der selben Familie liquidiert, verschwänden Prozeßunterlagen.
2001 reiste eine Delegation kirchlicher Menschenrechtler und Umweltexperten Brasiliens durch Deutschland, kritisierte den deutschen Sojaimport, wies auf Sklaverei und Urwaldzerstörung, Landkonflikte, die Milizen der Berufskiller. Und appellierte an bürgerliche Parteien wie Grüne, PDS oder SPD, sich gegen eine noch raschere Urwaldvernichtung zu engagieren, Sensibilität für Brasiliens Umwelt-und Menschenrechtsprobleme zu zeigen. Passiert ist vorhersehbar nichts dergleichen. Die „Agrobandidos“, so ein neuer Begriff des „Nationalforums für Agrarreform und Gerechtigkeit in den Landregionen“, haben weiter freies Schußfeld.

Klaus | 15.02.05 21:00 | Permalink