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Zouk tanzen in Sao Paulo

Ein sinnlicher lateinamerikanischer Paartanz kommt über Paris ganz langsam auch nach Deutschland
--von Klaus Hart, Rio de Janeiro--
In keiner brasilianischen Stadt kann man so gut alle lateinamerikanischen Rhythmen - von Samba bis Forrò und Tango - tanzen wie in Rio de Janeiro. Mit einer Ausnahme - Zouk. Da ist Sao Paulo landesweit unschlagbar. Sonntags ins "Buena Vista", donnerstags der Carioca-Clube ab neun - zuerst der Kurs mit dem nationalen Zouk-Idol Philip Miha, danach die Zouk-Disco - eine rauschende, wilde, sinnliche, lustvolle Ballnacht. Eine kleine Minderheit musik-und tanzbesessener Paulistanos ist verrückt nach Zouk, Brasiliens schwierigstem Paartanz, einem Rhythmus, dessen Wurzeln auf den französischen Antillen in der Karibik liegen, den man deshalb auch die französische Lambada nennt. Ein Modetanz ist Zouk aber weder dort noch in Brasilien, in Afrika, der arabischen Welt - oder gar in Paris - mit der größten, besten, vielseitigsten Zouk-Szene von Europa. Denn Zouk hat es in sich, ist nichts für banale Disco-Hopser mit Höllenangst vor Körperkontakt - Zouk ist die charmantere, elegantere, sinnlichere Version der brasilianischen Lambada - aber nicht unbedingt schwerer als Salsa.

Aus Brasilien – nach wie vor Weltspitze im Paartanz, nirgendwo ist er populärer – kommen derzeit die interessantesten Impulse für die Welt-Zouk-Szene – und eine Brasilianerin, Anna Torres, 30, ist mit ihren Zouk-Kompositionen sogar in Paris die populärste Zouk-Interpretin.
Ihr absoluter Hit heißt Liberdade, Freiheit, ist aber nicht etwa ein Politsong, sondern die stimmigste Anleitung, die beste Definition für Zouk. Im Carioca –Clube von Sao Paulo schmettert sie den Song mit Feuer und Carisma in den übervollen Saal – und die Massen singen, tanzen mit.
„Liberdade, seja livre“ – fühl dich frei, laß deinen Körper einfach mal schweben, fliegen, fließen – tanze einfach, schließ die Augen, laß dich fallen – laß deinem Körper mal freien Lauf, laß ihn ausdrücken, was er fühlt, und seine Sprache wird verstanden – du wirst es sehen. Wir beide ganz eng zusammen, Haut an Haut, meine Augen in deinen, wir genießen, wir lachen – wir schweben – und werden nicht müde vom Zouk.
“Liberdade, für mich kaum zu fassen, war die Nummer Eins auf Radio Latina in Paris“, sagt Anna Torres, „wird auch auf den französischen Antillen irre viel gespielt – ich bin mit Liberdade als einzige Brasilianerin auf der neuen CD „World of Zouk“ – und jetzt, wegen der Konzerte, halb in Paris, und halb in Brasilien. Ich glaube, in Frankreich mögen sie einfach diese südamerikanische Sinnlichkeit, wie ich ja selber auch. Liberdade hat Swing – und einen interessanten Text – obwohl den dort kaum einer versteht. Zouk heißt ja so viel wie Fest der Liebe, Zouk ist sehr romantisch – das alles fasziniert mich.“
Aber Anna Torres – wenn ich mich so umsehe bei deiner Show – dieses wogende Meer von rauschhaft ineinander verwobenen Paaren - Dreher, Schlenker - die Frauen mit ganz langen fliegenden Haaren lassen sich immer wieder nach hinten, nach den Seiten, oft über die Knie des Cavalheiro fallen, berühren dabei mit dem Kopf fast den Dielenboden, werden aufgefangen, eng umarmt, nach oben, in die Waagerechte gezogen – eine unglaubliche, wie zufällige Abfolge improvisierter, aus dem Augenblick geborener Schritte, Drehungen – wer tanzt denn sowas in Paris – das ist doch für Europäer unheimlich kompliziert?
“Dort stechen in der Zouk-Szene die Leute von den Antillen heraus, die sind unschlagbar – aber auch die normalen Franzosen tanzen Zouk – doch viel, viel simpler, nicht so brasilianisch, so ähnlich wie Lambada - die schmeißen sich nicht so wild und aufregend hin und her. Da gilt - zwei Schritte nach vorn, zwei zurück – aber auch sehr, sehr intim, sehr erotisch.“ Wie hier in Brasilien das Bein des Cavalheiro ganz tief zwischen den Schenkeln seiner Partnerin – denn so führt er ja. Und alleine das, scheint mir, ginge sicherlich vielen Frauen in Deutschland erheblich über die Hutschnur, würde womöglich als extrem machistisch, als unverschämt, provozierend, gar sexistisch empfunden. Aber davon keine Spur – man muß es im stimmigen Ambiente beobachten, oder besser noch, ausprobieren!
„Ich glaube“, so Anna Torres, „Zouk paßt sich der Tanzkultur jedes Landes an – hat ja unheimlich viel mit einer Reggae-Variante Jamaikas und dem brasilianischen Nordost-Rhythmus Embolada gemeinsam – rätselhaft, diese Ähnlichkeit.“
In Afrika tanzt man Zouk nicht paarweise, dafür aber viel schneller, und im kontinentalen Brasilien in jeder Region andere Zouk-Varianten – siehe Reggae im archaischen Nordost-Teilstaate Maranhao, aus dem Anna Torres stammt – Reggae tanzt man dort eng aneinandergeschmiegt zu zweit. Im Amazonas-Teilstaat Parà, wo die Lambada erfunden wurde, ist auch die Zouk-Szene – mit wieder anderen Schrittkombinantionen - stark, geben hervorragende Bands eine CD nach der anderen heraus – in Rio, Sao Paulo, über dreitausend Kilometer entfernt, einfach nicht zu kriegen. „So ist das eben bei einem Land mit kontinentalen Ausmaßen. Doch von einer Zouk-Szene in Deutschland habe ich noch nichts gehört – in Berlin, in Köln, und anderen Ecken Deutschlands will ich möglichst bald auftreten, schon lange mein Plan. “
Vielleicht springt der Funke ja über – denn Anna Torres hat auch traumhaft schöne Zouk-Versionen französischer Klassiker, wie „Ne me quitte pas“ im Repertoire. Oder Imagine – und sogar Gesellschaftskritisches, ein Song von Gilberto Gil über das Elend in den Slums, die Scheinheiligkeit der Landeseliten - “Nos Barracos da Cidade“.
--Zouk-Aktivist Philip Miha—
Wer in Brasilien, in Sao Paulo Zouk sagt, meint auch Philip Miha – d e r Zouk-Tanzlehrer, Zouk-Aktivist der Nation, hochgewachsen, gertenschlank, unermüdlich, geduldig, nebenbei Volleyballtrainer. Inzwischen tanzt er Zouk in TV-Serien, Theatern, verbreitet seine Zouk-Philosophie auch in den Talkshows:
„Viele Leute haben doch Angst vor Berührung, vor Körperkontakt – Zouk knackt diese Barriere auf – mit diesem sinnlichen Rhythmus, diesen sinnlichen Bewegungen. Und der Kontakt mit dem Partner ist doch nicht nur körperlich, der ist auch spirituell – und das ist eigentlich das Tollste am Zouk! Du drückst beim Tanzen aus, was Du fühlst – läßt deinen Körper einfach mal sich so bewegen, wie er will. Und je mehr Leute auf der Welt Zouk ganz verschieden tanzen, umso reicher wird doch unsere Szene, die hier wie eine große Familie funktioniert. Alle paar Wochen Zouk-Feten auch außerhalb Sao Paulos – Zouk tanzen in Badehose und Bikini – zwischendurch ein Sprung in den Pool. Bei den anderen brasilianischen Tänzen – Samba, Forrò, Bolero - hält man sich grade, aufrecht – Schultern, Arme ein bißchen steif, damit man gut führen kann. Zouk ist völlig anders – da ist der ganze Körper locker, gelöst, im Fließen – und das harmonisch! Zouk – das ist wie eine Sucht, ein Laster, eine Leidenschaft, von der man nicht mehr loskommt!“
Stimmt – mir gehts genauso. Vorher war Miha Lambada-Fan, denn dieser Rhythmus hat das gleiche Schrittmaß, wird genauso gezählt. „Aber heute ist Zouk der Lambada immer weniger ähnlich.“ Claro – Miha hat eine ganze Menge Schrittkombinationen dazuerfunden, entwickelt Zouk ständig weiter, bringt seine Zoukeiros auf immer neue Ideen. Auch ihn fasziniert die regionale Vielfalt seines Landes – weshalb es d e n Durchschnittsbrasilianer eigentlich nicht gibt. „Brasilien – das sind im Grunde mehrere Staaten – wenn man mal richtig herumreist, trifft man so ziemlich alle Kulturen der Welt hier an.“ Auch deshalb so viele nationale Zouk-Versionen:“Die Kultur jedes der sechsundzwanzig Teilstaaten ändert, beeinflußt den Tanzstil. Die Leute in Rio de Janeiro sind irgendwie lockerer, leichter, gehen schwingender, tanzen Zouk daher anders sinnlich – die in unserer Industriestadt Sao Paulo sind Arbeiter, sehr genau, Perfektionisten, wollen eben auch Zouk ganz perfekt tanzen. Und alles kein Vergleich mit Parà in Amazonien.“
Also, beim nächsten Paris- oder gar Brasilienbesuch mal in der Zouk-Szene umschauen – in Deutschland ist sie leider noch winzig.

Klaus | 26.01.05 02:44 | Permalink

Kommentare

Ich finde das sehr interessant. Die Haitianer in NY kannten das gar nicht, obwohl es fast deren Musik ist. Die tanzen das anders auf den Antillen.

Was ich bemerkenswert fand, was ich an Videos sah, dazu läuft meistens oder oft Kizomba von den Kapverden. Nachmal ganz andere Ecke.

Und das ist so ein Punkt. Das sieht zwar alles sehr fließend und zum Teil schön getanzt aus. Was mir aber bissel fehlt, ist der Groove der Musik, der Rhythmus und das Gefühl finde ich bissel gegensätzlich zu dem wie die da ihre Figuren teils abspulen.

Ich würde den Tanz eher als Lambazouk bezeichnen. Weil da viel braslianisches dabei ist, es hat wneiger mit Zouk als Musik zu tun...

Habe letztens paar Video-Links zum Them gefunden...
http://clignot.antville.org/stories/1433362/

Verfasst von: Jean-Luc | 25.07.06 15:50

Zouk oder Lambada, oder Lambazouk, es ist ganz einfach ein neuer Tanz. Lambada als Musik gab es ja nicht mehr, und so haben die Tänzer zu anderer Musik gegriffen, die in etwa den gleichen Tanzstil erlauben. In Rio hat sich ein Tanzstil entwickelt, den man z.B. zu Gipsy King, arabischer oder indischer Musik, Pop, Reaggeton etc. tanzt. Gegenüber dem Ur-Lambada wird langsamer getanzt, die Tänzer haben mehr Zeit für die vielen runden Kopf- und Körperbewegungen. So ist es auch möglich, dass auch der normale Durchschnittstänzer sich an diesen Tanz heranwagen kann. Bei Lambada war das den meisten ja viel zu schnell.

Über den Namen (Lambada, Zouk) ist man sich noch einig, aber übers Tanzen schon. In den Niederlanden und der Schwiz z.B. wird der Tanzstil aus Rio getanzt.

Der Tanz ist nicht in Stein gemeisselt, verändert sich noch, wird auch immer wieder zu anderer, neuer Musik getanzt. Und die Tänzer lieben ihn. Ist doch toll!

Hier auch ein paar Links zum Thema:

http://www.salsalegria.ch/lambada_zouk.html
http://www.salsalegria.ch/lambada_zouk_videos.html

Verfasst von: Thomas | 28.10.06 17:00

Hey, coole Tänze. Da macht ja Antifa wieder Spass. Bei der Gelegenheit frag ich mich wie z.B. tanzbegeisterte Leute aus der Schweiz auf den ost:blog in den tiefen Osten geraten?

Die Videos sind auf jeden Fall aufheiternd, insbesondere das mit dem Typ der gleich mit zwei Frauen auf ein mal tanzt. Heute also noch kein Suizid, erst wenn Nick Cave wieder in Town sein sollte ... :-)

Mein Favorit: http://www.salsalegria.ch/video_zouk_braz_paty.html

Verfasst von: Artist former known as Karol Wojtyla | 28.10.06 17:21

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