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Sampler für die Revolution

Stehen wir kurz vor einer neuen Revolution? Drei neue Bücher wollen uns in recht unterschiedlicher Art und Weise die Rebellion näher bringen. Sampler mit revolutionärer Literatur, Agitations-Lesebuch und Geschichtsbuch des Aufstandes im revolutionären West-Berlin. Das alles für die Jung-AktionistInnen von Heute als Agitationshilfe.

(Buchbesprechungen von Jochen Knoblauch)

Das Zeitalter der klandestinen Literatur, also eines geheimen, subversiven Schrifttums, welches unter der Jacke versteckt, für seinen Besitzer lebensgefährlich werden konnte, ist eigentlich vorbei – geblieben ist das Taschenbuch. Subversive Propaganda ist heute Teil der Werbeindustrie geworden, nichts scheint den Staat als solches mehr in Frage stellen zu können. Glaubten die Menschen noch im 18. Jahrhundert an die Befreiung des Menschen durch genügend Informationen und Aufklärung, so bringt uns dies heute, in einer Welt der Über-Informationen, doch eher zur Irritation, zur absoluten Sättigung. (Fast) alle Infos stehen uns heute zur Verfügung, aber was machen wir damit? Wird das menschliche Elend in der Welt dadurch geringer, oder gibt es mehr Gerechtigkeit?
Na gut, diese Fragen lassen sich jetzt vielleicht nicht so übers Knie brechend beantworten. Warum aber gerade in den letzten Monaten mindestens gleich drei Sammel-Bände zum Thema subversive Literatur erschienen sind, mag nicht zwingend auf der Hand liegen. Empfohlen seien sie aber allemal.

I. Sei realistisch, lese!
Die Hamburger Edition Nautilus feiert ihr 30jähriges Bestehen. Herzlichen Glückwunsch. Mit den „rebellischen Widerworten“(1) hat sich der Verleger Lutz Schulenburg sicherlich einen Herzenswunsch erfüllt, und seinen ungebrochenen Willen das Anliegen des Verlages zu dokumentieren. Ein Lesebuch zwischen Ton Steine Scherben, Andre Breton, Che Guevara, die Situationistische Internationale, Frantz Fanon, die westdeutsche Guerilla und Jaques Mesrine. In 12 Kapiteln wie „Auf dem Weg“ und „Aufbegehren“, „In Bewegung“ oder „Wir setzten nur auf Deserteure“ wird ein Bogen an kämpferischer Literatur geschlagen, der von Georg Büchner bis zum Subcomandante Marcos reicht.
Wenngleich sich Lutz Schulenburg im „Vorweg“ etwas geziert dafür entschuldigt mit seiner Auswahl „eine Tendenz zur Verherrlichung von Gewalttätigkeit“ (S. 8) Raum zu geben, um dann, mit den Worten des Theologen Helmut Gollwitzer über die Gewalt der Herrschenden, die Gewalt der Unterdrückten entgegenzustellen, ist ein bisschen verquer. Entweder nehme ich die Gewalt mit in Kauf, oder ich lehne sie prinzipiell ab. Weshalb dieser vorab geführte Erklärungsversuch, bei dieser enormen Bandbreite revolutionärer Agitation recht eigenartig wirkt. Als hätte es jemals einen Konsens über Gewalt und/oder Gewaltlosigkeit gegeben. Vielleicht berührt momentan diese Diskussion den Herausgeber, aber ich denke es ist trotzdem ein Buch für Alle. Die einen wie die anderen werden hier ihre Texte finden.
Dieser Sammelband zeigt nicht nur eine thematische Auswahl des 30jährigen Verlagsschaffens, es hat auch Texte aus anderen Verlagen, die als Anstoß für die Themen der Edition Nautilus durchaus wichtig waren.
Die Texte sind kurz und prägnant. Ein ausgezeichnetes Konglomerat für Neugierige, für EntdeckerInnen und zukünftige AgitatorInnen. Wenn ein solches Buch als Pflichtlektüre an die Schulen kommt, werden die Zeiten anders sein als heute.

II. Flüstern und Schreie
Wie der Untertitel andeutet – ein literarisches Rebellencamp (2) – so kommt das Buch auch etwas pfadfinderisch daher: Scheinbar haben sich zwei Literatur-Studenten ein Thema vorgenommen, zum Glück gab es noch sieben FreundInnen, die auch mal was gelesen hatten, und so kommt eben ein Buch zustande. Vollmundig werden die „wichtigsten Autoren“ des 20. Jahrhunderts präsentiert, genau 20, plus dem Vorwortschreiber Christoph Schlingensief. Die einzig rebellischen Frauen unter den „wichtigsten“ sind Kathy Acker, Sylvia Plath und Ulrike Meinhof. Und zwischen dem Kommunisten und späteren Minister Malraux und Albert Camus scheuen sich die Herausgeber nicht den „geknebelt“-aufschreienden“ nationalsozialistischen Käferliebhaber Ernst Jünger zu platzieren mit einem Auszug aus „Auf der Marmorklippe“. Dazu wird die Entschuldigung geliefert, das der Roman als „Zeugnis der inneren Immigration“ zu werten sei, blablabla.
Obligatorisch sind dann auch in diesem Buch der „wichtigsten Autoren“ noch Subcom. Marcos, Eldrige Cleaver und Che Guevara, aber auch echte Autoren, wenn wir mal bei Literaturbetrieb bleiben wollen, wie Rimbaud, Jack London, Antonin Artaud, Henry Miller, Bruce Chatwin, W. S. Burroughs, Passolini, Christian Geissler, Ilja Ehrenburg u. Allen Ginsburg.
Also ein „Rebellencamp“ schöngeistiger Literaten auf dem Abenteuerspielplatz des Uni-Geländes.
O.K., trotz allem sicherlich ein Buch mit interessanten und anregungsvollen Textpassagen aus Büchern, die zum größten Teil es wert sind zu lesen, und wenn das Buch Menschen dazu anregt, mag das sicher Sinn machen. Die Textauszüge sind im Schnitt 10 Seiten lang, aber ob sie dadurch ein Buch auch charakterisieren? Nett ist der Versuch im Anhang – hier in militärisch korrektem Jagon „Arsenal“ genannt – die AutorInnen der Leserschaft vorzustellen. Allerdings bleibt dies bei einer allgemeinen „Einschätzung“ der Herausgeber stecken, denn weder bio- noch bibliographische Daten sind hier enthalten.
Im Ganzen würde ich mal behaupten ist dieses Buch etwas für unpolitische Bohemien und LiteraturstudentInnen, die Stoff für Tresengespräche brauchen.

III. Putz und Porno
Eine andere Art von Lesebuch bietet der Kramer Verlag mit „Gefundenen Fragmente“(3). Auch diesem Buch liegt die etwa 35jährige Verlagstätigkeit von Bernd (und Karin, natürlich) Kramer zugrunde, die ihr Archiv durchstöbert haben und hier – eben jene Fragmente – zum Besten geben. Von den Flugblättern der „Umherschweifenden Haschrebellen (Ende der 60er Jahre), über die Auseinandersetzung einer ‚neuen’ Literatur mit R.D.Brinkmann (einer der schönsten Hassbriefe gegen einen Verleger, der nichts kapiert hat), Peter Handke und dem Oberbaum-Press-Verleger Hartmut Sander, bis hin zu Texten von Dutschke, der Kommune I, Bernd Kramer, und zum Schluss den Anonymen „ComicREICHstrip“-Text (samt den pornografischen Fotos) sowie dem Frankfurter Weiberrat.
Streckenweise vermisse ich Hintergrund-Infos zu den einzelnen Artikeln oder Flugblättern, oder die Datierungen lassen sich mitunter nur erahnen. Aber dieses Buch sollte ja wohl auch keine wissenschaftliche Abhandlung werden, aus jenen Tagen, als langhaarige Typen meinten, dass die Weltrevolution direkt vor ihrer Tür stand. Erschreckend oft, die Naivität und Selbstgefälligkeit, mit der wir zur damaligen Zeit Flugblätter unter die Leute gebracht haben („Zerschlagt den Staat mit dem Joint in der Hand!“ usw.), oder, dass einen Teil des Kampes auch damals schon gegen Nazis, die dort noch in Ämtern saßen, einnahm, und wie groß eigentlich damals der erkämpfte Freiraum war, trotz einer größeren Repression. Die Fronten damals waren eben noch klarer: Langhaarige untereinander solidarisch und Zivilbullen sofort erkennbar. Lernen lässt sich aus diesen Geschichten sicherlich ein Kreativität, die wenngleich heute nicht transportierbar ist, aber Mut machen könnte, dass viel machbar ist, wenn wir es angehen.
Diese Übergangszeit von der Jugendrevolte zum bewaffneten Kampf, war eine Zeit in der noch Tabus gebrochen werden konnten, wo BürgerInnen noch wirklich erschreckt werden konnten. Die AktivistInnen haben es heute vielleicht schwerer.
Die Fragmente sind ein ganz persönliches Geschichts-Lesebuch, welches zur Freude von uns älteren und hoffentlich zum Lesevergnügen für die Jüngeren wird.

Schluss: Bei allem (vielleicht ) mangelnden Geschichtsbewusstsein – welches allerdings ca. alle 10 Jahre aufs Neue bemängelt wird – bei soviel Literatur bleibt natürlich die Frage, wann sollen dann die Leute die Revolution machen? Die StubenhockerInnen haben sie jedenfalls bisher nicht zwingend vorangetragen. Also, nicht vergessen: es gibt auch ein Leben außerhalb der bedruckten Seiten.

1 Lutz Schulenburg (Hg.); Seien wir realistisch, versuchen wir das unmögliche! Rebellische Widerworte. Edition Nautilus Hamburg 2004 / 160 S. / 9,90 Euro
2 Ulf Müller / Michael Zöllner (Hg.); Rebel Yell. Ein literarisches Rebellencamp. Tropen Verlag o.O. [Göttingen] 2004 / 254 S. / 12,80 Euro
3 Bernd Kramer (Hg.); Gefundene Fragmente. 1967-1980. Band 1. Karin Kramer Verlag Berlin 2004 / 216 S. / zahlr. Abb. / 20,-- Euro

natter | 21.07.04 15:10 | Permalink