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Naziverbrechen verharmlost

"So peinlich solche Rückfälle scheinen mögen, überraschen können sie nicht. Erschreckender noch ist die Ignoranz ostdeutscher Geschichts- und »Aufarbeitungs«-Initiativen, die mit dem Hinweis auf Bildungsreisen nach Theresienstadt, Auschwitz und Israel die Ausgewogenheit ihrer Aktivitäten belegen wollen, als wäre nicht gerade diese Ausgewogenheit bereits der Skandal. Die Krönung solcher Art »kritischer« Geschichtsbetrachtung ist der Hinweis des sächischen Stasibeauftragten Michael Beleites, »die singulären NS-Untaten« könnten gar nicht relativiert werden, denn: »Jeder weiß, daß der vom NS-Deutschland ausgegangene Eroberungs- und Vernichtungskrieg überhaupt erst Ursache war für die Errichtung kommunistischer Diktaturen in den Ländern Ostmitteleuropas und in Ostdeutschland.« Nun wissen wir es: Hitler ist schuld an Ulbrichts Diktatur! Nur eines wissen wir noch nicht: Wer ist schuld an der sträflichen Dummheit ehemaliger ostdeutscher Oppositioneller? "

Sebastian Gerhardt in junge welt

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Naziverbrechen verharmlost
CDU/CSU will mit Totalitarismuskeule die Mahn- und Gedenkstättenpolitik verändern

Pünktlich zum 17. Juni soll der Deutsche Bundestag einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion beraten, der bereits mehrfach von der Tagesordnung des Parlamentes wieder verschwinden mußte. Diesmal sieht es nicht so aus, obwohl die Kritik weit über die Landesgrenzen hinausreicht und sowohl von Vertretern einzelner Gedenkstätten (Theresienstadt, Auschwitz) wie von der International Task Force for Holocaust Education, Remembrance and Research auf ihrer Tagung vom 7. bis 9.6. in Rom erhoben wurde.

Sinn des Antrags mit dem Titel »Förderung von Gedenkstätten zur Diktaturgeschichte in Deutschland – Gesamtkonzept für ein würdiges Gedenken aller Opfer der beiden deutschen Diktaturen« ist eine Umverteilung von Finanzmitteln des Bundes zugunsten der »Aufarbeitung der SED-Diktatur«. Es wird suggeriert, die bisherige Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus sei überfinanziert. Direkter Angriffspunkt der Änderungsvorhaben ist die Konzeption des Bundes für die Förderung der Gedenkstätten. Diese Konzeption war 1999 nicht zuletzt aus einem jahrelangen Streit um die Nationalen Mahn- und Gedenkstätten der DDR auf dem Gelände der Konzentrationslager Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen entstanden und ging auf Empfehlungen der »Enquetekommission zur Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit« zurück. Besondere Nähe zum »verordneten Antifaschismus« der DDR kann man den Autoren jener Empfehlungen sicher nicht unterstellen. Dafür verband sie jedoch neben dem »antitotalitären Konsens« auch jener, nicht über die Gegensätze zwischen politbürokratischer Gesellschaftsformierung einerseits, faschistischem Terror und Völkermord andererseits hinwegsehen zu wollen.

Die Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten hat eine Stellungnahme zum Antrag der CDU/CSU abgegeben. Zur Arbeitsgemeinschaft gehören die Leiter der KZ-Gedenkstätten Buchenwald, Dachau, Sachsenhausen, Neuengamme, Bergen-Belsen und Ravensbrück, Flossenbürg und Mittelbau-Dora, der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und der Gedenkstättenreferent der Stiftung »Topographie des Terrors«. In ihrem Text heißt es u. a.: »An die Stelle der konkreten, differenzierten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Nationalsozialismus und SED-Diktatur beachtenden Aufarbeitung, wie sie im Sinne des antitolatitären Konsenses zwingend ist, tritt eine platte Totalitarismusdoktrin, die beide Diktaturen weitestgehend gleichsetzt.
Durch pauschalisierende und verwischende Redeweisen wie etwa der von den ›ungezählten Opfern der beiden Diktaturen‹ wird der Eindruck erweckt, es handele sich um jeweils die gleichen Opfer. So werden die quantitativen und qualitativen Unterschiede von nationalsozialistischer Verfolgung und Ausrottungspolitik einerseits und Verfolgung in SBZ und DDR andererseits nivelliert. Die NS-Verbrechen und der NS-Völkermord gewollt oder ungewollt verharmlost.«

Auch die bewußte Anknüpfung der CDU/CSU »an die seit einiger Zeit zu beobachtende Wiederbelebung des deutschen Opfermythos, insofern die Vorlage auch auf die Errichtung nationaler Gedenkstätten für ›die Opfer von Krieg und Vertreibung‹ sowie die ›zivilen Opfer der alliierten Luftangriffe des Zweiten Weltkriegs‹ abzielt«, vermerken die Historiker
kritisch: »Hier knüpft das Papier direkt an frühe, überwunden geglaubte (west-)deutsche Schuldentlastungsmechanismen an. Auch die Reduktion der Erinnerung auf ein ›würdiges Gedenken aller Opfer‹, d.h. die Außerachtlassung, daß die deutsche Erinnerung an den Nationalsozialismus zwingend selbstkritische Auseinandersetzung mit Tat und Täterschaft sowie deren Aus- und Nachwirkungen auf die Geschichte der Bundesrepublik sein muß, steht ganz in dieser Tradition.«

So peinlich solche Rückfälle scheinen mögen, überraschen können sie nicht. Erschreckender noch ist die Ignoranz ostdeutscher Geschichts- und »Aufarbeitungs«-Initiativen, die mit dem Hinweis auf Bildungsreisen nach Theresienstadt, Auschwitz und Israel die Ausgewogenheit ihrer Aktivitäten belegen wollen, als wäre nicht gerade diese Ausgewogenheit bereits der Skandal. Die Krönung solcher Art »kritischer« Geschichtsbetrachtung ist der Hinweis des sächischen Stasibeauftragten Michael Beleites, »die singulären NS-Untaten« könnten gar nicht relativiert werden, denn: »Jeder weiß, daß der vom NS-Deutschland ausgegangene Eroberungs- und Vernichtungskrieg überhaupt erst Ursache war für die Errichtung kommunistischer Diktaturen in den Ländern Ostmitteleuropas und in Ostdeutschland.« Nun wissen wir es: Hitler ist schuld an Ulbrichts Diktatur! Nur eines wissen wir noch nicht: Wer ist schuld an der sträflichen Dummheit ehemaliger ostdeutscher Oppositioneller? Aber wahrscheinlich wird man das heute Honecker und Ulbricht in die Schuhe schieben.

junge welt, 17.06.2004

Inland
Sebastian Gerhardt

A.S.H. | 17.06.04 12:52 | Permalink