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CDU/CSU-Entwurf verharmlost NS-Völkermord

"An die Stelle der konkreten, differenzierten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Nationalsozialismus und SED-Diktatur beachtenden Aufarbeitung, wie sie im Sinne des antitolatitären Konsenses zwingend ist, tritt eine platte Totalitarismusdoktrin, die beide Diktaturen weitestgehend gleichsetzt. Durch pauschalisierende und verwischende Redeweisen wie etwa der von den "ungezählten Opfern der beiden Diktaturen" wird der Eindruck erweckt, es handele sich um jeweils die gleichen Opfer. So werden die quantitativen und qualitativen Unterschiede von nationalsozialistischer Verfolgung und Ausrottungspolitik einerseits und Verfolgung in SBZ und DDR andererseits nivelliert. Die NS-Verbrechen und der NS-Völkermord gewollt oder ungewollt verharmlost."


Bild: Konrad-Adenauer-Stiftung

Die Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland lehnt auch das neue "Gedenkstättenkonzept" ab.

www.gedenkstaettenforum.de
Das Verhältnis der DDR-Dissidenz zur Shoah
Nooke: Diktaturgeschichte ist nationale Aufgabe
Gedenkstättenstreit in Sachsen: Waagschalen-Mentalität

Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland

Stellungnahme zum Antrag von Abgeordneten der CDU/CSU zur "Förderung von
Gedenkstätten zur Diktaturgeschichte in Deutschland - Gesamtkonzept für ein
würdiges Gedenken aller Opfer der beiden deutschen Diktaturen"

(Deutscher Bundestag, Drucksache 15/3048)

Die Beschlußvorlage, die von einer Gruppe CDU-Abgeordneter unter
Federführung des Berliner Abgeordneten Günter Nooke ausgearbeitet worden
ist, soll am 17. Juni im Bundestag beraten werden. Sie ersetzt in nur
geringfügig veränderter Fassung eine Vorlage unter gleichem Titel vom 4.
November 2003 (Drucksache 15/1874), die zuerst am 9. November 2003 und dann am 30. Januar 2004 in den Bundestag eingebracht werden sollte. In direkter Anlehnung an das "Gesetz zur Errichtung der Stiftung Sächsische
Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft"
sollte ein neues inhaltliches, administratives und finanzielles
Gesamtkonzept für die Gedenkstättenförderung durch den Bund auf den Weg
gebracht werden. Auf Grund der heftigen Kritik an diesem Gesetz sowie an der
Arbeit der Gremien der sächsischen Stiftung seitens des Zentralrates der
Juden in Deutschland, des Zentralrates deutscher Sinti und Roma und aller
mit der sächsischen Stiftung verbundenen NS-Opferverbände ist diese Vorlage,
die darüber hinaus u. a. nachdrücklich vom International Commitee for
Memorial Museums for the Remembrance of Victims of Public Crimes im
International Council of Museums (ICOM) kritisiert worden ist, damals
zurückgezogen worden. Auch wenn der Bezug auf die sächsische Stiftung
nunmehr fehlt, hat sich die Beschlußvorlage inhaltlich so wenig geändert,
daß die Arbeitsgemeinschaft sich veranlaßt sieht, ihre im Januar öffentlich
formulierte Kritik - nicht zuletzt an dem mit diesem Antrag verbundenen
erinnerungspolitischen Paradigmenwechsel - aufrecht zu erhalten.

1.. Die Vorlage kündigt ohne Grund die im Rahmen der noch in der
Regierungszeit Bundeskanzler Kohls eingesetzten Enquetekommission
"Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit"
1995 - 1998 in einem breiten, pluralen Diskussionsprozeß unter Anhörung
aller Opferverbände und zahlreicher Sachverständiger gefundenen Grundlagen
für die Gedenkstättenarbeit einseitig auf.

b.. Der durch die Beschlußvorlage unterstellte Befund, die finanzielle
Förderung von Gedenkstätten zur Auseinandersetzung mit den kommunistischen
Formen von Diktatur und Unrecht auf deutschem Boden komme wegen
überproportionaler Förderung von NS-Gedenkstätten zu kurz, ist sachlich
nicht zutreffend. Die in enger Rückbindung an die Empfehlungen der
Enquetekommission entstandene Konzeption der Gedenkstättenförderung des
Bundes (1999 im Bundestag vorgestellt) privilegiert weder die eine noch die
andere Seite. Sie folgt der historisch und ethisch begründeten Leitlinie,
die nationalsozialistischen Verbrechen nicht zu relativieren und
kommunistisches Unrecht nicht zu bagatellisieren.

c.. Voraussetzungen für die Förderung durch den Bund sind seit 1999:

a.. daß sich die Gedenkstätten "an einem Ort von herausragender
historischer Bedeutung, der im öffentlichen Bewußtsein exemplarisch für
einen bestimmten Verfolgungskomplex steht", befinden,

b.. daß sie "über ein spezifisches, unverwechselbares Profil, das sich
auf die Authentizität des Ortes gründet", verfügen,

c.. ihre Arbeit auf einem "wissenschaftlich, museologisch und
gedenkstättenpädagogisch fundiertem Konzept" beruht,

d.. Komplementärförderung durch das jeweilige Sitzland gewährt wird,
- Förderanträge von einem Sachverständigengremium befürwortet werden.

Diese Standards haben sich bewährt und sollten aufrecht erhalten werden.
Sofern Förderanträge gestellt und nicht befürwortet worden sind, sind diese
an mangelnder fachlicher Qualität oder fehlender Komplementärfinanzierung,
nicht aber an parteiischer Erinnerungspolitik gescheitert. Mangelnde
Bereitschaft zur Komplementärfinanzierung war auch ein Grund dafür, daß
wünschenswerte Anträge im NS- wie im SBZ/DDR-Bereich erst gar nicht zustande gekommen sind.

a.. Es ist sachlich falsch, wenn behauptet wird, der Kreis vom Bund
mitzufördernder Gedenkstätten sei limitiert. Es gelten vielmehr die o. g.
Förderkriterien und die Förderkonzeption erlaubt darüber hinaus zur
Unterstützung des mit der Gedenkstättenarbeit eng verbundenen
bürgerschaftlichen Engagements auch die Anschubfinanzierung von
herausragenden Vorhaben in Gedenkstätten ohne bundesweite Bedeutung.

b.. Die Erinnerungskultur der Bundesrepublik hat in den vergangenen
Jahrzehnten - nicht zuletzt auch durch gesellschaftliche
Auseinandersetzungen und Debatten - immer mehr an historischer Tiefenschärfe
und Konkretion gewonnen. Darin liegt ein Grund für ihre Glaubwürdigkeit. Im
Gegensatz dazu ist die Beschlußvorlage von einer Unschärfe gekennzeichnet,
die entweder weitgehende Unkenntnis - schon in Bezug auf die existierenden
Gedenkstätten und ihre Bedeutung - widerspiegelt, oder die gewollt die
eigentlich hinter der Beschlußvorlage stehenden Absichten verschleiert. An
die Stelle der konkreten, differenzierten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede
von Nationalsozialismus und SED-Diktatur beachtenden Aufarbeitung, wie sie
im Sinne des antitolatitären Konsenses zwingend ist, tritt eine platte
Totalitarismusdoktrin, die beide Diktaturen weitestgehend gleichsetzt. Durch
pauschalisierende und verwischende Redeweisen wie etwa der von den
"ungezählten Opfern der beiden Diktaturen" wird der Eindruck erweckt, es
handele sich um jeweils die gleichen Opfer. So werden die quantitativen und
qualitativen Unterschiede von nationalsozialistischer Verfolgung und
Ausrottungspolitik einerseits und Verfolgung in SBZ und DDR andererseits
nivelliert. Die NS-Verbrechen und der NS-Völkermord gewollt oder ungewollt
verharmlost.

c.. Ein Beispiel: Was soll etwa heißen, daß der "Zusammenhang zwischen
den Diktaturen" an Orten (gemeint sind ehemalige Lager) die von "beiden
Diktaturen zur Unterdrückung von Opposition und Widerstand genutzt wurden,
"evident" sei? Räumliche Kontinuität als Beweise der Gleichheit von
politischen und gesellschaftlichen Systemen zu interpretieren, hätte z. B.
zur Folge, die Gleichheit von britischer und amerikanischer Demokratie und
Nationalsozialismus zu behaupten, weil beide Länder ehemalige KZ als
Internierungslager genutzt haben. Erinnerungskultur auf solchem Niveau
widerlegt sich selbst.

d.. Eine weitere gravierende Folge von historischer Entkonkretisierung
und Entdifferenzierung ist die nationale Engführung, ist die
Renationalisierung der Erinnerungskultur. Gerade die Erinnerung des
Nationalsozialismus muß aber auf Grund dessen Geschichte und der Geschichte
seiner Opfer europäisch-dialogisch verfaßt sein und darf auch die
betroffenen außereuropäischen Länder aus diesem Diskurs nicht ausschließen.
Wer dies nicht berücksichtigt, zerstört nach Ende des Zweiten Weltkrieges
mühsam wiedergewonnenes Vertrauen.

e.. Nationaler Engführung und Renationalisierung entsprechen die
deutsche Verantwortung verunklarende Anknüpfung der Beschlußvorlage an die
seit einiger Zeit zu beobachtende Wiederbelebung des deutschen Opfermythos,
insofern die Vorlage auch auf die Errichtung nationaler Gedenkstätten für
"die Opfer von Krieg und Vertreibung" sowie die "zivilen Opfer der
alliierten Luftangriffe des Zweiten Weltkriegs" abzielt. Hier knüpft das
Papier direkt an frühe, überwunden geglaubte (west-) deutsche
Schuldentlastungsmechanismen an. Auch die Reduktion der Erinnerung auf ein
"würdiges Gedenken aller Opfer", d. h. die Außerachtlassung, daß die
deutsche Erinnerung an den Nationalsozialismus zwingend selbstkritische
Auseinandersetzung mit Tat und Täterschaft sowie deren Aus- und
Nachwirkungen auf die Geschichte der Bundesrepublik sein muß, steht ganz in
dieser Tradition. So wird - gewollt oder ungewollt - revisionistischen
Geschichtsbildern der Weg bereitet, anstatt durch konkrete und
differenzierte Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit auch das
in Folge von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg über Deutsche
gekommene Leid angemessen und tatsächlich enttraumatisierend zur Sprache zu bringen.

f.. Eine Säule demokratischer Erinnerungskultur ist deren
geschichtswissenschaftliche Fundierung. Nicht die Politik - wie in der DDR -
entscheidet über die Haltbarkeit oder Unhaltbarkeit von Aussagen über
Geschichte sondern historische Forschung und geschichtswissenschaftlich
informierte Debatte. Die in dem Entwurf zum Ausdruck kommende Tendenz, die
Geschichtswissenschaft dadurch zu marginalisieren, daß die Politik als
entscheidende Regelungsinstanz aufgefaßt wird, die die Wissenschaft an der
Gedenkstättenarbeit nur mehr "angemessen beteiligt", gibt deshalb zu denken.

g.. Das in der Vorlage angesprochene Problem der ungleichgewichtigen
Mitfinanzierung der Gedenkstättenarbeit durch die einzelnen Bundesländer -
auf dem Gebiet der alten Bundesländer gibt es keine auf SBZ/DDR-Unrecht
bezogene authentischen Erinnerungsorte, Konzentrationshauptlager befanden
sich nicht auf den Gebieten aller Bundesländer - betrifft nicht nur
kommunismusbezogene Gedenkstätten und läßt sich auch ohne fragwürdige
geschichtspolitische Umgewichtungen lösen. Es müßte nur ein
Finanzierungsschlüssel gefunden und gemeinsam gewollt werden.

h.. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Auseinandersetzung mit
den beiden deutschen Diktaturen zu den Kernelementen gesamtdeutscher
demokratischer Geschichtskultur gehört und gehören muß. Wer diese
Auseinandersetzung befördern will, sollte jeden Anschein vermeiden, er wolle
Erinnerung politisch dominieren und verordnen. Gerade der Umstand, daß die
kommunistische Unrechtserfahrung im Gegensatz zur nationalsozialistischen
keine gesamtdeutsche gewesen ist, läßt sich nur durch seriöse, einladende,
Interesse und Neugier erweckende Sacharbeit, nicht durch Ressentiments und
Konkurrenzdenken lösen. Hierzu gehört auch, die für diese Arbeit nach
1989/90 geschaffenen Ressourcen - u. a. schnelle und hochgradige
Intensivierung der SBZ/DDR-Forschung, Gauck-Behörde, Stiftung zur
Aufarbeitung der DDR-Diktatur, entsprechende Gedenkstättengründungen -, zu
denen es in Bezug auf die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zum
Teil kein Gegenstück gibt (Gauck-Behörde, Stiftung Aufarbeitung), nicht
klein zu reden. Nicht die Politisierung der Erinnerungskultur steht auf der
Tagesordnung sondern deren Versachlichung und Professionalisierung. Hierzu
leistet die Beschlußvorlage in ihrer rückwärtsgewandeten Unkenntnis bzw.
verzerrten Darstellung der bundesrepublikanischen Erinnerungskultur sowie
ihrer einzelgängerischen Aufkündigung des mit großer Anstrengung
erarbeiteten parteienübergreifenden Enquetekommissionskonsenses keinen
Beitrag.

Prof. Dr. Volkhard Knigge
Sprecher der Arbeitsgemeinschaft
Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora

Dr. h.c. Barbara Distel, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau; Dr. Detlef
Garbe, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme; Prof. Dr. Sigrid Jacobeit,
Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück; Thomas Lutz,
Gedenkstättenreferent der Stiftung Topographie des Terrors; Prof. Dr. Günter
Morsch, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten; Leiter der
Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen; Jörg Skriebeleit, Leiter der
KZ-Gedenkstätte Flossenbürg; Dr. Jens Wagner, Leiter der KZ-Gedenkstätte
Mittelbau-Dora; LRD Wilfried Wiedemann, Leiter der Gedenkstätte
Bergen-Belsen / Landeszentrale für politische Bildung Niedersachsen

A.S.H. | 07.06.04 15:37 | Permalink

Kommentare

Eine derartiges Statement würde mehr Sinn stiften wenn man die Fachmeinungen von Gedenkstättenverantwortlichen der SBZ/ SED-Diktatur einbezogen hätte. Zudem vermisse ich die fehlende Einschätzung der Opferverbände (besonders der UOKG). Die Mühen der jahrzentelangen Aufarbeitung des Nationalsozialismus und Faschismus lehren uns das eine nachhaltige und unnachgiebige Aufarbeitung in unserer Gesellschaft vonnöten ist und bleibt.

Die SBZ und DDR als totalitäres Regime und selbstbenamte "Diktatur des Proletariats" wird teilweise nicht einmal als solche reflektiert. Hier ist es 17 Jahre nach der friedlichen Revolution vonnöten keine Konkurrenz der Aufarbeitung beider Diktaturen zu befördern. Es ist noch ein weiter Weg, hin zu objektiver Erkenntnis über die Zeit von 1945 bis 1989. Auf diesen Mangel hinzuweisen ist keine Relativierung der notwendigen Aufarbeitung der Nazibarbarei.

Das konkrete Gedenken an die Opfer jeglicher Form von Totalitarismus, Diktatur und Rassismus kann nur befürwortet werden. Es gibt keine Opfer erster und zweiter Klasse - zumindest dieser Grundkonsens sollte nicht für parteiliche oder institutionelle Zwecke missbraucht werden.

Statt dessen sollten die beiden Extreme der deutschen Geschichte - in ihren Unterschiedlichkeiten und Ähnlichkeiten - der Bewusstseinsbildung und Weiterentwicklung unserer Demokratie dienen. Hierfür einen wichtigen Beitrag zu leisten - dies würde ich mir mehr wünschen als parteiliche Dispute und Schuldzuweisungen einzelner Institutionen.

Ideologie hat in der Aufarbeitung von Ideologien eben nichts zu suchen.

Verfasst von: Mario Falcke | 15.07.06 22:00

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