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Saturn gegen Satire

Elektrokonzern distanziert sich von Agenda 2010

Eigentlich wollte Pfarrer Dr. Hans Hubbertz auf die sozialen Folgen der Agendazwanzichzehn-Kürzungen aufmerksam machen. Der Recklinghauser Kirchenmann hatte dazu eine wirklich "plakative" Idee. Die wurde jetzt allerdings von einem großen Elektrokonzern gestoppt.

Ein Text der Zeitschrift quer

Doch der Reihe nach.
"Wir sind", sagt Hubbertz, "eine Gesellschaft von Schnäppchenjägern geworden und der Satz 'Geiz ist geil' schreit in diesem Zusammenhang nach Satire". Gesagt getan, es wurden über 20.000 blaue Plakate gedruckt und zum Selbstkostenpreis vertrieben. Oben steht in großen Lettern: "Arm sein ist geil". Und damit es keine Verwechselung gibt, steht unten "Satire - Geiz ist Geiz!". Es gibt vier Entwürfe. Ein Beispiel: Über dem Foto einer Familie steht: "Bei uns werden Arbeitslose jetzt noch billiger, früherer Preis 927,- jetzt 67,-". Und im kleiner gedruckten Text - sozusagen der Produktbeschreibung - wird erklärt: Herr Müller ist arbeitslos, Frau Müller verdient netto 636¤. Wird die Agenda 2010 Gesetz, dann erhält Herr Müller statt 927¤ Arbeitslosenhilfe nur noch 67¤ weil das Einkommen seiner Frau angerechnet wird.
Die Plakataktion bekam buchstäblich Segen von höherer Stelle, genauer gesagt von der Bischöfin der hannoverschen Landeskirche, Margot Käßmann: "Ich finde sie gut, weil sie nachdenklich macht und die Saturn-Werbung entlarvt. Die Provokation tut gut."
Ganz anders sieht das die Ingolstädter Konzernzentrale der Elektromarkt-Kette Saturn. Sie sieht eine Verwechselungsgefahr und fühlt sich in ihren "Persönlichkeitsrechten" verletzt. Ein Konzernsprecher benennt, wovor Saturn Angst hat: "Unsere Kunden bekamen den Eindruck, unsere Firma hätte etwas mit dem Sozialabbau zu tun". Hat sie natürlich nicht, denn gäbe es keinen Sozialabbau, dann könnten sie schließlich ihren Slogan verändern in "Verschwendung ist geil" und die Preise verdoppeln. Obwohl der Konzernsprecher die Plakataktion angeblich "im Kern sympatisch" findet, fuhr seine Rechtsabteilung schweres Geschütz auf: Unter Androhung untersagten sie die weitere Verbreitung des Plakates. Da die Rechtsabteilung von Saturn mutmaßlich etwas größer ist als die der quer, müssen auch wir leider auf den Abdruck der geilen Plakate verzichten. Dennoch erscheint dieser Zensurversuch im Zeitalter des Internets niedlich hilflos. Wer sich also die Plakate ansehen möchte, braucht nur "arm sein ist geil" in die Suchmaschine eingeben.
Statt eines eigenen Kommentares drucken wir im Folgenden den Text ab, der auf der Internetseite des Kirchenkreises Recklinghauen steht. Hier konnten bislang die Plakate bestellt werden.

Ende des Geiz-fakes
Wir wurden sehr deutlich angehalten, unsere fake-Prospekte zur Agenda 2010 nicht weiter zu verbreiten und zur Verfügung zu stellen, da ein grosser Elektromarkt in Deutschland durch unsere Aktivitäten einen schweren Imageschaden befürchtete.
Werfen wir also Hirn in die Waagschale. Denn "wir sind ja nicht blöd!"
Mensch kann die einfache Frage stellen:
Was haben neue Elektrogeräte schon mit der Agenda 2010 zu tun?
Oder auch die Frage nach dem Motto "Geiz ist geil": warum man sich für diesen claim entscheidet und nicht für einen anderen, welches Image man damit unterstreichen möchte. Oder ist am Ende alles nur Spaß in der Spaßgesellschaft? Lachen kost' ja nix.
Oder gehört nur der dazu, der es sich leisten kann, geizig zu sein.
Nach den Erfahrungen mit der Elektromarktkette stellt sich ein paradoxer Eindruck ein, der da lautet:
dies ist ein Spaß, den wir ernst meinen.
So sieht clevere Kommunikation aus, die sich als Vexierspiel unangreifbar macht. Nur scheinbar nicht deren Kopie, oder?
Daher ab heute, Mittwoch, dem 10.12.03, hier kein Link, kein Vertrieb, keine downloads mehr. Sorry. Aber wir wollen ja nicht klagen, denn:
Klagen wird bekanntlich immer teurer ;-(
Dies war ein ganz besonderer Tag, der Tag von Pressefreiheit, Meinungsfreit und der Freiheit der Kunst. Sparfüchse wissen: Gerade Geiz darf eben nicht zu teuer werden.
Manche Planeten sind einfach größer als die Erde...! - aber wahrscheinlich nicht bewohnbar ;-)

Link zu den Plakaten

natter | 31.03.04 00:22 | Permalink