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Ächzen im Pop-Theater, Ronald Galenza

Berlin-Kreuzberg im Sommer 2003. Die Hitze lungert erbarmungslos in der Oranienstraße herum. Es ist heiß. Und seltsam. In der NGBK (Neue Gesellschaft für Bildende Kunst) stehen viele Leute auf dem Hof, denn hier wird die Ausstellung –„Lieber zuviel als zu wenig - künstlerische Strategien zwischen Hedonismus und Nihilismus 1976 bis 1985“- vernissagt. Anlaß war die Eröffnung des legendären Punk-Ladens S.O. 36 am 12. August 1977, das schräg gegenüber liegt. All die Bärte und Trendglatzen, die kurzen Hosen in Sandalen, die überall zur Eröffnung im Hof der NGBK herumstehen - dafür wäre man früher gerupft und ausgepeitscht worden.

Benannt ist die Veranstaltung nach dem berühmten Plattentitel von Alfred Hilsberg des Hamburger Zickzack Labels aus dem Jahr 1981 „lieber zu viel als zu wenig“. Aber leider beeindruckt die Ausstellung eher durch das Motto „Lieber zu wenig als zuviel“! Falls die Ausstellung den heute Jugendlichen etwas sagen will, nämlich das die frühen Achtziger in Wahrheit trist, grau und unglamourös waren, dann ist ihr das gut gelungen. Die Kuratoren scheinen sich gedacht zu haben, wenn sie schon den Punk in die Galerie holen, dann eben auch formal authentisch. Punk hieß schließlich auch Mut zum Unfertigen. Denn kein anderer Ort ist weniger dafür geeignet, Punk wirklich aufleben zu lassen, als die Galerie, denn hier versagt jede Vermittlung. Ein paar Exponate an die Wand zu tackern, ein paar Filmchen flimmern zu lassen, und dann zu sagen: So war es damals in Berlin, ist schlicht zu wenig. Durch Dilettantismus zum Erfolg, das gilt für die meisten Beteiligten der Ausstellung. Ehemalige Fanzine-Schreiber haben mittlerweile prima Jobs an der Uni; die wilden Maler vom Moritzplatz stellen in den Musterwohnungen von Möbel-Höffner aus; Thomas Roesler pinkelt in einem wackligen Performance-Film auf ein Stück Kuchen, schlingt es runter und grinst in die Kamera. Hui, jetzt sind wir aber beeindruckt! Vielleicht ist das auch nur die Sehnsucht nach Aufmerksamkeit. Aber das aus vielen der damaligen Protagonisten von damals wichtige Labelbetreiberinnen wie Gudrun Gut, Techno-Impresarios wie Dimitri Hegemann, postume Kunstsuperstars wie Kippenberger oder Kultfilmer wie Jörg Buttgereit geworden sind, die das künstlerisch-kreative Leben Berlins erstaunlicherweise immer noch prägen, hätte durchaus ein interessanter Aspekt einer derartigen Ausstellung sein können. Aber in der NGBK scheint die Vergangenheit mit all ihren Mythen für die Gegenwart verloren zu sein. Nirgends führt der Weg vom S.O. 36 zum „Tresor“, werden Parallelen zwischen der No-Wave-Ästhetik und den Anfängen von Techno gezogen. Deshalb bleibt es ein Rätsel, warum ausgerechnet die frühere Dunkel-Boheme maßgeblich an der kommerziellen Love-Parade-Gesellschaft mitgewirkt hat. Vielleicht lag das Problem der Ausstellung an zu viel Ehrfurcht vor dem Gestern. So ist die Miniplattenbox der Tödlichen Doris als Reliquie unter Glas aufbewahrt - ein abgelegtes Sammlerstück, das überhaupt nichts mehr von der seltsamen „Chöre&Soli“-Musik vermittelt. So lungerte man also auf dem heißen Teer herum, lutschte das obligatorische Becks und langweilte sich. Lebhaft wurde es erst, als einige schrill-bunte aufgetakelte Transen in den Innenhof vordrangen und aus einem Einkaufswagen die Parkettreste des S.O. 36 zum Verkauf feilboten, denn auf die hätte immerhin schon Jello Biafra gekotzt.

Der Dichter Bert Papenfuß schreibt im Katalog zur NGBK-Ausstellung: „Punk war gegen Kunst. So wie man gegen das Gekünstelte des Art- und Bombast-Rock war, wurde Bildende Kunst als Kunstkacke, und deren Macher bestenfalls als Wichser angesehen. Der Straßenpunk war nur Punk, er pflegte proletarischen Anti-Intellektualismus.“ Was ist bloß passiert? Mit Punk? Mit unseren Idealen, diesem Aufbegehren, dem sich Wehren. Eine Jugendbewegung, eine Lebenshaltung mit allen ihren damaligen Konsequenzen ist in der Ikonographie der Museen gelandet. Aber kann man ein Lebensgefühl jugendlicher Protestkultur ausstellen? Wie könnte das gehen? Denn genau diesen Scheiß hat niemand gewollt. Glühende Rituale, die wissend ins Leere laufen. Punk hieß mal Protest, Aggression und Wut. Aber hey, wie hänge ich Wut? Ist nicht letztlich eine zerstörte Lederjacke samt ihren Badges und Aufnähern nicht längst dasselbe wie die stinkenden Turnschuhe eines Alt-68ers, der es zufällig zum Außenminister gebracht hat. Wie bitte stelle ich Selbst-Aggression, Körperverstümmelung und Intensität aus?

Punk wird also nochmal zu Geschichte. Punk, der mal eine gesellschaftlicher Gegenentwurf war, wird nun von genau derselben Gesellschaft aufgesogen, vereinnahmt und handhabbar gemacht. Punk ist der Mainstream der Stunde und schick. Im Nachhinein will jeder dabei gewesen sein: Musiker, Schriftsteller, bildende Künstler, Kulturschaffende wie Kulturverwalter und die Journalisten sowieso. Gemessen an der plötzlichen Vielzahl der direkt oder indirekt Beteiligten scheinen bereits weite Teile der Öffentlichkeit von Ex-Punks unterwandert zu sein. Und der nächste Bundeskanzler war auch Punk, ist doch klar. Dabei waren die ersten Punks im Westen die Schreckgespenster einer Parallelrepublik und konnten allenfalls auf Nachruhm hoffen. Heute sind sie anerkannte Zentralfiguren der Zeithistorie, müssen aber unentwegt von früher erzählen. Punk - das ist inzwischen weit mehr als lediglich eine Spielart jugendlicher Subkultur oder eine Musikrichtung. Punk ist längst zum Forschungsobjekt von Kulturwissenschaftlern und Sozialanthropologen, von Musikhistorikern und Populärtheoretikern, von Semiotikern und selbsternannten Vordenkern avanciert. Längst kümmern sich auch die Stiftungen der großen Parteien oder die Landeszentralen für politische Bildung um Punk. Vom Bürgerschreck zum Vorlesungsthema, so läuft das.
Hey, ging es nicht mal um die Radikalität einer Jugendbewegung? Punk begann Mitte der 70er-Jahre als Revolte: Punk begann nicht als Musik-Genre, nicht einmal als halbwegs klar definierter Lebensstil, sondern als Provokation und Verweigerung. Rückblickend erscheinen die Punks als Avantgardisten einer Medien- und Öffentlichkeits-Guerilla, die virtuos mit Symbolen spielten und mit Haltungen experimentierten. Als Tabubruch der erstarrten Gesellschaft gegenüber. Punk war Protest gegen die wohlgeordnete Welt mit ihren Zustimmungszwängen und die planbaren Karrieren samt ihrer berechenbaren Gehaltsgruppe. Punk scheiterte sicherlich an seinen ursprünglichen existenziellen, politischen und ästhetischen Ansprüchen. Aber Punk veränderte die Mode, die Codes der Werbung und die Dramaturgie der Medien. Punk-Accessoires sind heute längst Normalfall jugendlicher Selbstinszenierung: bunte Haare oder Piercings schocken keinen mehr, den Müll-Chic haben schon vor einiger Zeit die teuren Boutiquen übernommen, gerade generiert sich Punk als Military-Look.

Neue Platten erschienen gut getimet. DAF und die Fehlfarben, die ihre gültigen Statements doch längst abgeliefert hatten und besser in sicherer Deckung der Zeitgeschichte geblieben wären, brauchen entweder dringend Geld oder fühlten sich berufen. Schade eigentlich. Natürlich kam sofort die Platte zum Buch „Verschwende deine Jugend“ in die Läden. Das konnte Berlin nicht einfach auf sich sitzen lassen, also gibt es jetzt den Berlin Punk-Sampler „Wenn kaputt dann wir Spaß“ (1977-89). Im Herbst 2003 ist eine 3 CD-Compilation – „Punk Rock BRD (1977-2002)“ auf Hamburger Label Weird System erschienen. Obskure Scheiben wurden rechtzeitig zum Revival fertig, wie „New Deutsch“, eine von DJ Hell zusammengestellte Compilation ausgesuchter Frühachtziger-Gassenhauer oder „Teutonik Desaster“, versprengte Sounds aus dem damaligen deutschen Underground. Schon vor fünf Jahren veröffentlichte Thomas Meinecke seine Texte aus der seit 1977 selbst herausgegebenen Zeitschrift „Mode & Verzweiflung“, aus deren Machern sich die Band Freiwillige Selbstkontrolle rekrutierte, und Diedrich Diedrichsen ließ sein Buch „Sexbeat“ aus dem Jahr 1985 neu auflegen. Der Retro-Hype ist also in vollem Galopp und was als sorgsame Recherche begann, landet wieder im recycelnden Sog der Kulturindustrie.


Verwende deine Jugend
Dann erschien 2001 ein kleines, gelbes Buch: Jürgen Teipels „Verschwende deine Jugend“, benannt nach einem DAF-Klassiker. Allerdings hatte der Autor versäumt, DAF nach den Rechten für diesen Titel zu fragen. „Doku-Roman“ steht im Untertitel auf dem Cover, das roch nach schlechtem Geschmack. Das Buch ist eine Montage aus “1000 Stunden Interviews”, die Teipel mit Veteranen der deutschen Punk-Bewegung und Szene führte. Die Zusammenstellung der Interview-Beiträge zeigt Verknüpfungen, Parallelen und Querverbindungen innerhalb und zwischen den verschiedensten Szenen und Städten, die ein Gesamtbild ergeben, ohne dem Leser eine fertigte Interpretation vorzugeben. Letztlich passiert hier eine Geschichtsschreibung in Anekdoten, die aber ganz gut funktioniert. Bis auf die Schwätzer Ben Becker, Nina Hagen und Campino, zu denen Moritz R. von Der Plan lakonisch anmerkt: “Die Toten Hosen sind halt übriggeblieben”. Das Buch hat sich sehr gut verkauft, Teipel war damit auf einer umfangreichen Lesereise samt Dia-Show unterwegs. Einige Musiker und Beteiligte (u.a. die Fehlfarben und DAF) haben sich hinterher allerdings in Interviews über die Montage, die ausgewählten Zitate und die Darstellung ihrer Szenen beklagt. Inzwischen haben ihre Erzählungen natürlich zu einer Zweitverwertung von Punk geführt. Erschienen ist die CD zum Buch, abgedreht ist der eher schlimme Film zum Buch, kuratiert auch die Ausstellung zum Buch. Der Erfolg und die Folgen von Teipels Buch zeigen: Im Jahre 2002 sind die Zentren der Meinungsbildung punk-infiziert.

Ratlosface oder wie das Dosenbier in die Kunst kam

Die Lage ist immer noch ruhig an den Innenstadtfronten und die Jugendbewegungen, mit denen man sympathisierte oder bei denen man mitmischte, landen im Museum. So geschehen in Düsseldorf. „Zurück zum Beton - Die Anfänge von Punk und New Wave in Deutschland 1977-82“ hieß eine Ausstellung vom 7.Juli bis 15.September 2002 in der Düsseldorfer Kunsthalle. Der Erfolg von Teipels Buch läßt sich zwar recht schlüssig auf den Achtziger-Retro-Kontext und auf die allgemeine Historisierung von Avantgarde nach gut zwei Jahrzehnten zurückführen, das bedeutete hier ein Mega-Star-Aufkommen des Düsseldorfer-Punk-Szenarios. Alte Veteranen, im Buch höllisch verfeindet, verrockten hier nun versöhnt und genauso stimmungsvoll wie entzaubernd ihre eigene mythisch verbrämte Vergangenheit. Was früher ultra, neu, kurz, entfremdet wie gleichermaßen hedonistisch klang, verwandelte sich dabei zu einer bierseligen Extrabreit-Rock'n'Roll-Session. „Ach so sieht er jetzt aus. Ist der alt geworden. Ach ja, der ist Professor, und der da hinten hat drei Kinder und ein Reihenhaus. Der arbeitet als Angestellter ...“ Man erkannte sich, nickte sich zu, genoß den Augenblick ein Stück Vergangenheit wieder zu erleben. Das ging runter wie Alt oder Kölsch.

Die Ausstellung bestand im Wesentlichen aus drei Räumen. Einem Multimedia-Raum, in dem diverse Dia-Shows, Videos und Konzertmitschnitte liefen, etwa vom mittlerweile legendären „Geräusche für die 80er“-Festival in Hamburg, und Punkfilme wie „Blitzkrieg Bop“. Einem Objektraum, in dem vor allem die fossilen Syntheziser und Sequenzer standen, aber auch die alte, zerschrammte Gitarre von Meikel Clauss, dem Gitarristen des KFC, das erste Schlagzeug der Einstürzenden Neubauten oder das des Verrats schuldige Keyboard von Inga Humpe. Der dritte Raum war schließlich von oben bis unten mit Fotokopien zugepflastert: Fotos, Konzertankündigungen, Song-Texte, Parolen, eine riesige, dadaistisch anmutende Collage. Meist handelt es sich bei den Exponaten nur um Fotokopien, aber zwischendrin entdeckte man immer wieder Originale, meist hinter Plexiglas. Völlig erschlagen hingegen wurde man von einer Wand mit Hunderten von Polaroids mit Schnappschüssen von Konzerten, Partys und Sonstigem. In einer Vitrine lagen diverse Badges, hübsch auch die Originalplattencover, die wie ein Vorhang von der Decke hingen. Und natürlich läuft Musik im Hintergrund. Eine „Traumfabrik“ Punk?
Aber die Szenerie ist kontaminiert. Ulli Putsch, der Schlagzeuger der Solinger Punklegende S.Y.P.H. (von denen der Slogan „Zurück zum Beton“ stammt), hat sich im Internet so seine Gedanken gemacht: „Die Ausstellung ist zwar konsequent, jedoch war und ist der Umgang der sogenannten ‚Normalen Welt’ mit diesem Thema für mich dadurch nicht gesellschaftsfähiger geworden. Vielmehr entrückt die Ausstellung nun einen Teil der jüngeren Kulturgeschichte ungewollt in die Historie. Als Betroffener kam ich nun in die Ausstellung und empfand sofort erst mal Ekel. Da kamen mir Schickimicki-Muttis im Abendroben-Outfit entgegen und fanden alles super toll. Die dazugehörigen männlichen Abbilder mit dem Blick: ‚Ich weiß zwar nicht, was hier abgeht, aber die anderen sind ja auch da und finden es toll. Da mach ich auch mal besser mit.’ Genau die ekelhafte Klientel mit der ich damals schon nichts mehr zu tun haben wollte. Und diese Typen laufen durch die Ausstellung und tun beschaulich und fachkundig. Für mich zum Kotzen.“
Da standen sie nun, die Herrschaften vergangener Heldentaten, und freuten sich an ihren jetzt heroich aufgewerteten Taten. Verquer allemal, wenn gerade die Kunst und Kulturszene, die von dieser Stadt Düsseldorf mal als Belastung und Bedrohung empfunden wurde, dem Kunstbunker zu einem Kassenschlager verhilft und somit auch zu einer neuen Einnahmequelle. Der dramatische Befund: ein matter Blick zurück auf den Zorn.

Vom Leben geschminkte Geschichtslegenden
Die alte Talkshow-Weisheit kommt wieder in Anwendung: Geschichtsschreibung sei immer die Geschichtsschreibung der Sieger. Auch die Filmschaffenden wollten nicht zurückstehen und zäumten den alten, müden Gaul Punk noch mal auf. „Wie Feuer und Flamme“ nennt sich ein Film, der sich der Punkthematik zwischen Ost und West annahm. Nadja Brunckhorst, die im Teeniealter als Darstellerin der “Christiane F.” berühmt wurde, schrieb das Drehbuch und Connie Walther führte Regie. Der Film spielt 1982 im damals geteilten Berlin: West Mädel verknallt sich in Ost Punk - Ost Punk knallt West-Mädel - Stasi - Gefängnis - Happy End. Sonderlich einfallsreich ist diese “Romeo und Julia im wilden Osten” - Story nun wahrlich nicht. Im Grunde genommen kennt man die Handlung bereits nach wenigen Minuten. Die dargestellten Konflikte wirken kaum mehr glaubhaft. Liebe ist gut, die DDR war böse! Was folgt ist eine lächerliche Darstellung einer durch und durch bösen Stasi, die unsere Liebenden auseinander zu bringen trachtet. Kein Klischee der Abrechnung mit der DDR wird da ausgelassen, der Film gerät zu einer unkritischen und wahnhaften Abrechnungen mit dem schlimmen Osten. Verkauft und vermarktet wird er vom Verleih als Liebesdrama, denn wenn da was von Punk in Ost und West draufstände, zöge das wohl eher wenige Leute ins Kino. Soviel zum Glauben der Macher an ihre Inhalte. Und warum müssen uns eigentlich zwei Damen aus dem Westen Punk in der DDR erklären wollen? Die Crux von „Wie Feuer und Flamme“ ist sein Anliegen: Er möchte ganz offensichtlich jungen Menschen, die diese Zeit nicht bewußt erlebt haben, die DDR und die Geschichte des DDR-Punks nahebringen. Diese Geschichtsstunde wird aber scheinbar zielgruppengerecht in eine harmlose und leider nicht überzeugende Teenager-Lovestory verpackt. Danke dafür.
Im Juli 2003 startete dann der Streifen „Verschwende deine Jugend“ in den deutschen Kinos. Dieser Film mit dem unvermeidlichen Robert Stadlober und Jessica Schwarz hat jedoch, bis auf Titel und 80er-Background, inhaltlich nichts mit dem Buch von Jürgen Teipel gemein. Regie führt Benjamin Quabeck. Von Teipels aufklärender Buchvorlage blieb indes nicht viel übrig, die Produzenten hofften auf einen kommerziellen Hit. Bis auf DAF, deren Song beide Werke betitelt, hat er auch nichts mit jenen Bands zu tun, ja sogar mit Musik nur am Rande. Denn obwohl Drehbuchautor Ralf Hertwig als ehemaliges Mitglied von Palais Schaumburg ein Protagonist jener subkulturellen Bewegung war, handelt die Geschichte mal wieder von adoleszenter Sehnsucht, Streben nach Anerkennung und Scheitern. Den Zorn und die Rebellion der damaligen Generation spiegelt er nicht wider, sondern wirkt bemüht gewaltfrei und familienkinotauglich. Das Punk kein Stil war, sondern eine ganze und konsequente Lebenseinstellung, hatte mal wieder keiner mitbekommen.

Nullpositionen an der Innenstadtfront
Inzwischen tauchen termingerecht auch diverse Neue Deutsche Welle-Clone auf, Langweiler wie Wir Sind Helden oder Mia. Dafür haben sich einige Grindköpfe die Bezeichnung „Punk-Pop“ ausgedacht. Au Backe! Hier geht es leider auch nicht um Rebellion, Aufstand oder Provokation, wie ungefährlich. Auch Techno ist müde. Die DJ’-Häuptlinge haben längst die 40 erreicht und quälen sich durch die ungesunden, zu langen Nächte. Und das es mittlerweile sogar eine A Capella-Combo gibt, die alte Feeling B-Schlachtrufe intoniert, kann niemand wirklich gewollt haben. Jetzt ist zur Abwechslung mal eben wieder Punk bohemy. Ein Mode-Ding, das wie alle anderen Trends am Nasenring durch die mediale Arena gezerrt wird. Was wissen ausgestellte Platten- und Kassetten-Cover von ihrem singenden, klingenden Inhalt? Aufgeklebte Band-Sticker lebten als starke Symbole des Widerstands an ungewöhnlichen Orten. Scheintot kann man die heute in Vitrinen verorten. Kuratoren, Filme- wie Ausstellungsmacher und Nachlaßverwalter hausieren mit den Überlebenszeichen einer ganzen Szene. Die Sprachen und Codes einer Szene gehen baden im Kulturbetrieb. Hatten wir das vor, war das der Plan? Genau, es gab nie einen Plan. Deshalb wird heute alles wahllos gesammelt, eingesackt und rumgezeigt. Erinnert sich noch jemand an die Unterschiede und Grabenkämpfe? Die Distanzierungen und Auslegungen, die einmal wichtig waren? Erinnert sich überhaupt noch jemand ernsthaft oder ist das auch längst egal. Hauptsache dabei gewesen. Oder davon gehört, zumindest was gelesen. Willkommen Lachleute & Nettmenschen!

Aber wir können auch anders: Die Nachrichtenagentur Reuters meldet im Oktober 2003: „Nach der Absage eines Konzerts der Punkband The Exploited haben Fans im kanadischen Montreal ihre Wut an Autos und Fensterscheiben ausgelassen. Fünf Personen wurden nach Polizeiangaben verletzt. Die aufgebrachten Fans beschädigten im Zentrum der Stadt 42 Autos und schlugen die Scheiben von elf Geschäften und Büros ein, wie die Polizei am Mittwoch weiter mitteilte. Drei Polizisten und zwei Sicherheitskräfte seien bei den Ausschreitungen am Dienstagabend leicht verletzt worden. Sieben Personen seien festgenommen worden.“

Heute regiert der totalitäre ideologische Unterhaltungsapparat, der seine Produkte selbst erzeugt. Es gibt inzwischen vieles, was sich beerdigen ließe: Die Ironie, längst verbuddelt. Popliteratur, die Neunziger, die Spaßgesellschaft und der Spaß: allesamt tot. Schrei den Namen deines Milchkaffees! Bleibt da ein utopischer Rest? Also: zurück zum Zorn!

(mehr Infos: www.beat-poet.de)

natter | 13.11.03 15:49 | Permalink

Kommentare

Da bin ich aber sehr angenehm überrascht, das es doch noch Leute gibt, die sich nicht darum scheren, was der allgemeine Trend so vorgibt und tatsächlich eine eigene Meinung mit fundiertem Hintergrundwissen kundtun.

Ein echt gelungener Text der sofort in meinen Fundus wandert.
Ronald ich find Dich klasse.

mit panischen Grüßen aus dem immer noch exisitierenden tiefsten Undergound aus Solingen

Verfasst von: Ulli Putsch | 22.11.03 21:05

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